Olli (rechts) im „Dorf der Stille“ – Szene aus dem gleichnamigen Film Foto: Umbreit

Olli macht schöne Hunde aus Ton. Er kann nichts sehen und nichts hören. Der Film „Das Dorf der Stille“ dokumentiert sein Schicksal, aber auch seine Lebenslust. Unser Kolumnist Uwe Bogen traf den Regisseur Bernd Umbreit.

Stuttgart - Seit 1983 trägt er keine Uhr mehr, und er wüsste nicht, warum er sich ein Smartphone anschaffen sollte. Der schwäbische Regisseur und Kameramann Bernd Umbreit ist keiner, der sich von der Zeit oder gar vom Zeitgeist treiben lässt. Der 65-Jährige will sich für Dinge, die ihm wichtig sind, Zeit ohne Limit nehmen – nie käme er auf die Idee, sie zu messen.

Im evangelischen Gemeindezentrum West in Echterdingen ist Umbreit überrascht, wie spät es geworden ist, da er mit den Zuschauern über seinen Film „Das Dorf der Stille“ gesprochen hat – über einen Dokumentarfilm, der von taubblinden Menschen handelt, die kaum einer aus seiner Umgebung kennt. So intensiv sind die Bilder, dass man sie so schnell nicht mehr aus dem Kopf rausbekommt, weil sie etwas mit einem machen.

Die einen spüren, wie gut es ihnen geht und wie dankbar sie für ihr Leben sein sollten, das ihnen oft als gar nicht außergewöhnlich vorkommt.

Andere sind wütend, dass es Menschen gibt, die auf so tragische Weise benachteiligt sind. Auf der Stelle wollen sie was tun und sind froh, dass sie kleine Tonhunde kaufen können, die Filmemacher Umbreit mitgebracht hat.

Olli, einer der Bewohner im „Dorf der Stille“ und ein großer Freund von Hunden, hat die putzigen Vierbeiner gemacht, die er nie sehen wird. Der Verkaufserlös, der bei den Vorstellungen des Films zusammenkommt, geht an Olli und seine Freunde, die sich davon eine Pizza oder einen Kuchen gönnen können.

Die Umbreits haben über 70 Filme gemacht

In dem Dorf für Taubblinde, das in der Nähe von Hannover liegt, haben Bernd und seine Frau Heidi Umbreit über ein Jahr lang Menschen beobachtet, die mit drei Sinnen ihre Welt erleben und verstehen: tastend, riechend, schmeckend.

Etliche sind darunter, die „Frühchen“ waren oder die gehörlos und blind zur Welt kamen, weil ihre Mutter in der Schwangerschaft an Röteln erkrankt waren. Sie leben in ihrer eigenen Welt, in der es nicht auf Smartphones und Uhren ankommt, dafür aber umso mehr auf Berührung.

Das Leben geht oft eigenartige Wege. In vielen ihrer bisher 70 Filme hat das Ehepaar Umbreit verschlungene Wege aufgespürt, die oft nur schwer zu begreifen sind. Weitere Themen ihrer ungewöhnlichen Betrachtungsweise, die ohne erklärende Worte aus dem Off auskommen und immer wieder Gesichter in Großaufnahme zeigen, waren unter anderem der nahende Krebstod, Ärztefehler, tödliche Ehedramen, Kindesmissbrauch. Heidi und Bernd Umbreit leben in dem Dorf Oberstenfeld, etwa 40 Kilometer von Stuttgart entfernt. Als ein hiesiger Autokonzern die beiden für einen Werbefilm engagieren wollte, sagten sie ab. Lieber machen sie Filme für Arte und für die Reihe „37 Grad“, die zur späten Stunde laufen. Sie schielen nicht auf die Quote. Es geht ihnen nicht um die Zeit und den Zeitgeist, sondern um Härten des Lebens, die sich beim genauen Hinschauen als Geschenk erweisen, als Rehabilitierung von Benachteiligen. Eine Behinderung ist für die Umbreits nicht nur ein normaler Bestandteil der Gesellschaft – sondern eine Bereicherung im Sinne der Vielfalt. Hoffentlich schmeckt die Pizza, lieber Olli! Die Betreuer können unseren Wunsch mit Handbewegung übersetzen.