Die Sonne kämpft sich durch: Blick vom Küchenbalkon des Regisseurs Charles C. Urban im Stuttgarter Westen auf den Fernsehturm Foto:  

Die Natur liebt großes Kino. Kaum dramatischer könnte ein Maler den Farbenrausch rund um den Fernsehturm erschaffen, den Charles C. Urban seit Jahren mit der Kamera festhält. Nicht nur die Weitsicht von der Plattform oben ist traumhaft. Auch von unten ist das Himmelsschauspiel oft atemberaubend.

Stuttgart - Sein Küchenbalkon im obersten Stockwerk eines Hauses im Stuttgarter Westen ist sein „Logenplatz zum Fernsehturm-Gucken“, wie Charles C. Urban sagt. Der Leiter des New English American Theatre wohnt vis-à-vis des Stuttgarter Stolzes.

Wenn er sich an dem berühmten Zeugnis der Ingenieurbaukunst erfreut, kann er oft nicht anders, als nach der Kamera zu greifen. Spektakulär wird’s immer wieder, wenn die Kulissen aus Sonnenstrahlen und Wolken für das Stuttgarter Wahrzeichen wie von Zauberhand auf- und zugezogen werden.

Sind Engel mit ihrer Staffelei unterwegs? Pinseln sich voller Inbrunst mal blau, mal violett, mal grün, mal orangefarben durch die Atmosphäre? Nicht so poetisch, dafür mit Physik erklären Wissenschaftler die Buntphänomene. Das Licht wird gestreut, lernen wir von ihnen. Wenn wir nicht direkt in die Sonne blicken, sehen wir gebrochenes Licht, das über Umwege von der Sonne ins menschliche Auge gelangt. Das gestreute Licht bestimmt also die Farbe des Himmels. Außerdem hängt’s vom Sonnenstand ab, von Wassertropfen und Eiskristallen in den Wolken.

Aufrecht wie eine Eins

Eiffelturm und Fernsehturm – Urban scheut den Vergleich nicht. „Ein bisschen ist es bei uns, wie in Paris zu wohnen, wenn man den Eiffelturm sehen kann“, sagt er. Kein Tag vergeht, an dem er nicht zum Betonhünen schaut, der aufrecht wie eine Eins dasteht– als vertrauter Teil der Hügelsilhouette. Wer aus dem Urlaub kommt, freut sich auf der Autobahn, wenn der Turm am Horizont auftaucht: endlich daheim.

„Die beste Zeit für Fernsehturmfotos ist früh am Morgen“, sagt der Regisseur, „kurz bevor die Sonne aufgeht oder kurz danach.“ Da sei das Licht am schönsten, und die Wolkenformationen wirkten oft skurril. In Vollmondnächten ist der gebürtige Amerikaner besonders gefordert. Er liebt es, wenn der der Vollmond um und hinter dem Fernsehturm leuchtet. Noch immer wartet der Fotograf aber auf den „perfekten Schuss“.

Das ewige Rauf und Runter in dieser fast bis in den Himmel ragenden Touristenattraktion war jäh gestoppt worden – von einem Mann, der unten im Kessel hockt. Jetzt, da Gefahren für Leib und Leben der Besucher offiziell gebannt sind, beteuert OB Fritz Kuhn gern: Eine Marketing-Aktion sei die Schließung des 1956 eröffneten Turms nicht gewesen, obwohl die neuen Besucherrekorde Kalkül vermuten ließen. Dass der Grüne wenige Wochen nach seinem Amtsantritt im März 2013 dem Leuchtturm Stuttgarts das Licht ausgeknipst hat, habe wirklich nur am Brandschutz gelegen. Nach dem Umbau erlebt der Turm nun einen Boom, wie es ihn nur in der Anfangszeit gab.

Nur 320 dürfen gleichzeitig oben sein

Wahre Liebe erzeugt Sehnsucht. Wie sehr hatten die Fans des eleganten Giganten darunter gelitten, dass er fast drei Jahre geschlossen war. „Erstarrt, weil unbeleuchtet“ – so hat Charles C. Urban den Turm in jener traurigen Phase gesehen. „Qualvoll“ spürte er, „da ist kein Leben mehr drin“. Seit das Wahrzeichen neu erwacht ist, kommen täglich bis zu 3000 zahlende Gäste. Die neuen, strengen Sicherheitsregeln verlangen, dass maximal 320 Menschen gleichzeitig oben sein dürfen – der Rest steht unten Schlange.

Der von Fritz Leonhardt geschaffene Fernsehturm ist Baukunst – und Teil von Natur-Kunst. Zu einem Höchstmaß an atmosphärischen Farb- und Helligkeitsabstufungen ist der Himmel fähig. Ein Besuch dieser Open-Air-Ausstellung lohnt immer. Wer hinter das Geheimnis der Wolken und Lichtbrechungen kommt, kann’s sehen: Manchmal hängt der Himmel voller Geigen.

Aber im nächsten Moment wird daraus schon ein großes Durcheinander. Gerade weil um den Turm herum so viel kommt und geht: Eine Konstante im Leben tut gut.