Legt viel Wert auf seine parteipolitische Unabhängigkeit: Carsten Hansen. Foto: Patricia Sigerist

Verwaltungswissenschaftler Carsten Hansen wünscht sich in Fellbach eine aktive Grundstückspolitik und mehr Vereinsförderung.

Nicht jeder Kandidat hat tatsächlich einen Hut, den er in den Ring werfen kann. Carsten Hansen schon. Zum Wahlinterview kommt der 51-Jährige mit sommerlicher Kopfbedeckung. Ein Gespräch mit dem Verwaltungswissenschaftler, der als Referatsleiter beim Städte- und Gemeindebund arbeitet und auf den Chefsessel im Fellbacher Rathaus wechseln will.
Durch Ihre Bewerbung, Herr Hansen, gewinnt der OB-Wahlkampf deutlich an Spannung. Wie kommen Sie denn auf die Idee, in Fellbach den Finger zu heben?
Das ist relativ einfach: Man muss lediglich eine große Zuneigung zu Baden-Württemberg haben und erkennen, dass es sich um eine sehr attraktive Stadt handelt. Wenn man dann noch hört, dass der Amtsinhaber aufhören will, kommt man schnell auf den Gedanken, dass es eine gute Idee ist, sich hier zu bewerben – zumal Fellbach in den Bereichen Verkehr, Stadtentwicklung und Finanzen Herausforderungen entgegensieht, die sich sehr gut mit meiner beruflichen Erfahrung decken.
Die von Ihnen angeführte Liebe zum Ländle geht auf ihre Studienzeit zurück.
Ja, ich habe in Konstanz studiert, dort meine Frau Lydia kennengelernt....
....die aus Ilmensee in der Nähe von Sig-maringen stammt....
.... und geheiratet. Und Sie wissen ja, dass es letztlich das Ziel jedes guten Verwaltungswissenschaftlers ist, irgendwann auch Bürgermeister zu werden. Und deshalb bewerbe ich mich gern in einer Stadt, die bei der Lebensqualität ihresgleichen sucht und eine wirklich bemerkenswerte kulturelle Identität zu bieten hat.
Hatten Sie eigentlich auch schon beruflich mit Fellbach zu tun? Als Referatsleiter für Verkehr bekommt man doch bestimmt den Entwurf für den neuen Bundesverkehrs-wegeplan auf den Tisch...
Das ist richtig. Und ich habe natürlich eine klare Meinung zum Nord-Ost-Ring, die Sie aber nicht weiter verwundern wird.
Tun Sie sich bitte dennoch keinen Zwang an.
Ich halte es für eine falsche Idee, dieses Projekt weiter zu verfolgen, weil der Nord-Ost-Ring schlicht kein sinnvoller Lösungsbeitrag für die Verkehrsprobleme hier in diesem Raum ist.
Warum nicht?
Wir haben in den letzten Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass sich eine zu hohe Verkehrsdichte nicht mit zusätzlichen Straßen verringern lässt. Das funktioniert nur dann, wenn die Verkehrsmenge konstant bleibt. Aber das bleibt sie nicht, sie wächst an. Das heißt: Mehr Straße bedeuten nicht mehr Problemlösung, sondern mehr Straßen bedeuten mehr Verkehr. Wenn wir Verkehrsprobleme haben, die wir ernsthaft bewältigen wollen, müssen wir Mobilität fördern. Das hieße in Fellbach beispielsweise, dass wir regionale Angebote auf Schiene und Straße brauchen – also Bus und Bahn, um die Stadt vom Durchgangsverkehr zu befreien. Das wäre ein Ansatz.
Das Schlagwort von den Straßen, die Verkehr anziehen, kennt man von Naturschutzorganisationen und den Grünen. Würden Sie sich als besonders ökologisch orientiert bezeichnen?
Ich sage das aus rein verkehrsfachlicher Sicht. Mein Ziel für Fellbach ist kein ökologischer Umbau. Mein Ziel ist, die Lebensqualität zu verbessern. Und: Ich bin ein unabhängiger Kandidat, darauf lege ich Wert. Natürlich haben die Grünen das auch erkannt, das ist ja auch nicht verkehrt. Aber es gibt hier keine Begriffshoheit. Und mal ganz abgesehen, dass ein Nord-Ost-Ring mit seinem Lärm und der Beeinträchtigung für Umwelt und Freiraum eine erhebliche Belastung für Fellbach bedeuten würde, ist noch ein Punkt wichtig: Wir brauchen ja dringend mehr Fläche für den Wohnungsbau, die können wir nicht für neue Straßen verschwenden.
Muss die Stadt aus ihrer Sicht jetzt groß in den Wohnungsbau einsteigen?
Es gibt einen großen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und ich habe ein großes Interesse daran, dass Fellbach eine Stadt für alle Fellbacher wird. Das heißt aber auch, dass man sich nicht darauf beschränken darf, nur dann einzugreifen, wenn der Markt es nicht richtet. Fellbach muss künftig die Chance besser nutzen, eine aktive Grundstückspolitik zu betreiben. Und das bedeutet auch, mit kommunalen Unternehmen tätig zu werden, wenn es einen Bedarf gibt. Und den gibt es wie gesagt.
Auffällig ist ja auch, dass Sie bei der Stadtentwicklung den Klimawandel als Herausforderung so in den Vordergrund rücken.
Das gehört einfach in den Vordergrund: Wir werden in Zukunft immer stärker damit zu tun bekommen, dass die Sommertemperaturen innerorts kontinuierlich ansteigen. Das ist für junge Leute überhaupt kein Problem, für ältere Menschen kann das aber eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung nach sich ziehen. Da halte ich es für erforderlich, dass wir unsere Stadtentwicklung darauf ausrichten. Und der zweite Punkt sind Extrem-Regenfälle wie im Frühsommer. In Schorndorf gab es Todesfälle. Ich möchte nicht, dass das künftig ein regelmäßiges Thema im Sommer wird, deshalb muss man das frühzeitig angehen. Nicht von jetzt auf gleich, aber man muss mal anfangen, denn das geht uns alle an.
Was müsste eine städtebauliche Reaktion auf den Klimawandel aussehen?
Das fängt an mit der Wasserbewirtschaftung. Wir stellen jetzt fest, dass die in der Vergangenheit fürs Abwasser gebaute Kanalisation nicht mehr in der Lage ist, die großen Wassermengen bei Extrem-Regenfällen aufzunehmen. Da muss man baulich was tun. Wenn ich vorher die Hitze ansprach, heißt das, man kann durch eine veränderte Stadtgestaltung – durch noch mehr Grün, mehr Verschattung und durch mehr Wasser im öffentlichen Bereich – auch zur Kühlung beitragen. Das sind alles keine Maßnahmen, die alleine das Problem lösen. Aber in der Gesamtsicht führt das dazu, eine Stadt robuster, oder besser gesagt, klimafester zu machen. Nur als Beispiel: Bei einem ebenerdig angelegten Spielplatz läuft Regenwasser vergleichsweise schnell ab. Wenn ich ihn aber in einer Mulde anlege, habe ich sofort ein Rückhaltebecken. Ich bin der Meinung, dass das nicht nur die Lebensqualität erhöht, sondern auch Eigentum schützen kann. Aber das kann man natürlich nicht von oben verordnen, das muss mit den Bürgern geschehen – denn die entscheiden letztlich, was sie in ihre Häuser und Wohnungen investieren.
Nachholbedarf bei Wohnungsbau und Verkehr, nötige Impulse bei der Stadtentwicklung. Wo fehlt es aus Ihrer Sicht noch?
Die Lebensqualität ist sehr hoch hier, das lässt sich mit dem Blick von Außen zweifellos sagen. Ich bin in Pinneberg bei Hamburg aufgewachsen, das ist mit der Fell-bacher Situation in der direkten Nachbarschaft zu Stuttgart durchaus vergleichbar. Was mich hier begeistert hat, ist die Vereinslandschaft, das unglaublich große ehrenamtliche Engagement, das hier zu spüren ist. Das ist ein großer Vorteil dieser Stadt – und schon etwas sehr Besonderes. Deshalb bin ich auch etwas überrascht, dass die Förderung von Ehrenamt und Vereinen in den vergangenen Jahren auf dem gleichen Stand geblieben ist. Denn faktisch geht die Unterstützung durch die Stadt damit zurück. Ich glaube aber, dass die Wertschätzung sehr wichtig ist und gefördert werden sollte, denn was die Vereine hier machen, ist schlicht beeindruckend. Das hält die Stadt letztlich zusammen.
Sie haben das SPD-Parteibuch in der Tasche, treten aber als unabhängiger Kandidat auf. Wie passt das zusammen?
Meine Mitgliedschaft in der SPD erklärt sich durch meine persönliche Vita: Mein Vater war Handwerker, meine Mutter war Hausfrau und hatte vier Kinder. Das war auch in früherer Zeit keine einfache Sache, die alle gut auszubilden. Auch dank der Bildungspolitik der SPD hatten wir die Chance, dass wir alle auf weiterführende Schulen gehen und studieren konnten. Das ist der wesentliche Grund, weshalb ich Parteimitglied bin – zumal ich Grundwerte wie Chancengerechtigkeit und Solidarität teile.
Dennoch taucht die Mitgliedschaft in ihrem aktuellen Wahlflyer nicht mal auf...
Ich habe durch meine 22 Jahre Berufserfahrung gelernt, dass Parteipolitik im Gemeinderat gut aufgehoben ist. An der Verwaltungsspitze ist es aber keine gute Idee, parteipolitisch gebunden zu sein. Alle erfolgreichen Oberbürgermeister, die ich kenne, arbeiten mit dem gesamten Gemeinderat zusammen, mit allen Gruppierungen. Wenn sich ein OB auf eine Fraktion stützt, fangen früher oder später die Probleme an, weil es naheliegend ist, dass nicht die ganze Bandbreite der Bürgerschaft berücksichtigt wird in der politischen Meinungsbildung. Deshalb lege ich Wert auf Unabhängigkeit- und darauf, mit allen im Gespräch zu sein.
Bemerkenswert ist an Ihrer Kandidatur zweifellos, dass Sie zur Wahl antreten, obwohl die Favoritenrolle bereits vergeben schien. Zeichnet Sie ein besonderer Wagemut aus?
Natürlich weiß ich, wie die Mehrheitsverhältnisse im Fellbacher Gemeinderat sind. Und ich habe selbstverständlich auch wahrgenommen, dass sich zwei Fraktionen sehr früh für einen anderen Weg entschieden haben. Aber das soll nicht heißen, dass ich mit denen nicht im Gespräch wäre. Und man darf auch nicht verkennen, wie Eigenheiten und Traditionen sind. In Baden-Württemberg gibt es nun mal die sehr gute Tradition, dass das Amt der Bürgermeister durch direkte Volkswahl vergeben wird. Und da steht die Persönlichkeit im Mittelpunkt – und nicht der Gemeinderat.