Ein Kirchentag gibt Kraft für Jahre: Ellen Ueberschär Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Evangelische Kirchentag Anfang Juni 2015 in Stuttgart soll ein Zeichen des Friedens setzen. „Ich wünsche mir, dass Stuttgart als weltoffene Stadt in Erinnerung bleibt und der Kirchentag politische Akzente setzen konnte“, sagt Generalsekretärin Ellen Ueberschär.

- Frau Ueberschär, wir befinden uns im Haus der Katholischen Kirche. Was sagt Ihnen dieser Ort?
Das Haus der Katholischen Kirche ist der Ort, an dem wir den Träger des Kirchentags gegründet haben. Daher haben wir eine ganz enge Verbindung zu diesem Haus. Zudem erleben wir in Stuttgart eine tief verwurzelte Ökumene. Das ist für den Kirchentag eine ganz wichtige Voraussetzung.
An diesem Ort schlägt das Herz der Katholiken in Stuttgart. Hat der Kirchentag 2015 auch so ein Kraftzentrum?
Klar, wir haben ein solches Zentrum im Neckarpark – dort als Zeltstadt. Aber natürlich vor allem in der Innenstadt. Es soll schließlich ein Kirchentag der kurzen Wege sein.
Nehmen wir den Begriff „Kraftzelle“. Geht vom Kirchentag auch eine besondere Kraft aus?
Genau das spüren viele Menschen. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Kirchentag kann eine Kraftquelle für die zwei Jahre sein, in denen kein Kirchentag ist.
Dann müsste eigentlich jährlich Kirchentag stattfinden. Was spricht dagegen?
Es war ja in der 1950er Jahren so. Aber schließlich sollen ja auch die Katholiken alle zwei Jahre zu ihrem Recht kommen. Und bedenken Sie, manche opfern für den Kirchentag ihren Jahresurlaub. Das kann man nicht jedes Jahr leisten. Auch die organisatorische Seite ist so komplex und groß geworden, dass ein Jahr Vorbereitung gar nicht mehr ausreicht.
Was macht der Kirchentag mit Ihnen?
Er macht mich schlauer. Ich habe durch die Arbeit viel dazugelernt.
Das passt zu dem Motto des Kirchentags: „Damit wir klug werden“. Sind Sie glücklich damit?
Durchaus. Es soll ja dazu anregen zu überlegen, wie der ganze Satz lautet. Man soll sich die Frage stellen: Was soll passieren, damit wir klug werden?
Und was?
Der Psalm 90 hat aktuelle Bezüge. Er zeigt, dass die Ressourcen und das Leben endlich sind. Darüber soll nachgedacht werden.
Mit welchem Ergebnis?
Dass jeder eine Idee davon bekommt, was es bedeutet, sein Leben zu verschwenden. Stattdessen sollte man lieber da verschwenderisch sein, wo es um Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität geht.
Ist es eine Fortsetzung des Mottos von 2013 „So viel du brauchst“?
Ganz genau. Da war die Idee, Maß zu halten und der Gier nicht freien Lauf zu lassen, die anderen ihre Lebensmöglichkeiten beschneidet. Jetzt soll die andere Seite betrachtet werden. Was bedeutet Herzensklugheit im Umgang mit anderen.
Wie politisch wird der Stuttgarter Kirchentag – gerade vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik?
In Stuttgart dürfen wir uns nicht nur mit der Frage beschäftigen, wie kümmern wir uns um das, was der Krieg übrig lässt? Stattdessen ist es besser zu fragen: Was muss passieren, damit Menschen erst gar nicht in die Situation kommen, dass sie ihre Heimat verlassen müssen. Was kann unser Beitrag dazu sein? Der Beitrag zum Frieden könnte zum zentralen Thema und zu einer Zeitansage des Stuttgarter Kirchentags werden.
Der Stuttgarter Kirchentag 1999 hatte einen großen Salzberg als Symbol für das Bibelwort „Ihr seid das Salz der Erde“. Planen Sie wieder so ein Zeichen zu setzen?
Ich könnte mir so ein Symbol vorstellen, das die Verantwortung der Christen in der Welt zeigt. Wir wollen zeigen: Wir haben etwas Besseres als eine Religion des Konsums anzubieten. Etwas, das viel länger hält.
Das sind Botschaften nach außen. Welche Akzente wollen Sie nach innen setzen? Viele erleben derzeit eine zerrissene Evangelische Kirche. Zum Beispiel in der Frage zur Sterbehilfe oder zur Bedeutung der Familie.
Wir sind nicht zerrissen. Das Grundmerkmal der Evangelischen Kirche ist die Pluralität. Deshalb müssen wir solche Diskussionen aushalten und uns letztlich fragen: Geben wir als Kirche die richtigen Antworten auf solche Fragen? Deshalb wird so ein Thema wie Sterbehilfe auf dem Kirchentag präsent sein.
Sie werben für den Kirchentag mit der Losung zur Klugheit und dem Symbol einer Lupe. Was bedeutet die Lupe?
Dass man bei allen Aufgeregtheiten in unserer schnelllebigen Zeit genauer hinschauen soll. Es werden zu schnell irgendwelche Thesen und Schlagworte ohne Hinterfragen für richtig gehalten. Aber mit der Lupe soll man auch das sehen, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Das Kleine, Unbeachtete. Außerdem ist sie ein Zeichen von Integration von allen, die Einschränkungen haben – zum Beispiel beim Sehen oder Gehen.
Was erwarten Sie insbesondere von Stuttgartern?
Dass sich das traditionelle Interesse der Württemberger an Bibel und Bibelthemen auf den Kirchentag auswirkt. Ich hoffe aber auch, dass sich durch den Kirchentag herumspricht, wie vorbildlich die Integrationsbereitschaft der Menschen hier ist.
Was gefällt Ihnen an Stuttgart?
Die Stüfchen.
Wie bitte?
Entschuldigen Sie meine Berliner Übersetzung. Ich meine natürlich die Stäffele. Mir gefällt auch das Schwäbische, weil es Charakter hat, den es zu erhalten lohnt.
Was zieht immer wieder mehr als 100 000 Menschen zu einem Kirchentag?
Die Verbindung aus dem Bedürfnis nach Information und einem spirituellen Erlebnis.
Womit soll dieser Kirchentag in die Geschichte eingehen?
Ich wünsche mir, dass Stuttgart als weltoffene Stadt in Erinnerung bleibt und der Kirchentag politische Akzente setzen konnte.