Unser Star für Wien: Ann Sophie tritt für Deutschland beim Eurovision Song Contest an. Foto: dpa

Wer dem Eurovision Song Contest gleichgültig bis ablehnend gegenüber steht, hat am Samstagabend genau zwei Möglichkeiten: Abschalten oder notgedrungen mitmachen. Wer sich für Zweiteres entscheidet, sollte weiterlesen...

Stuttgart - Samstagabend, 21 Uhr: Die Eurovision-Hymne ertönt. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten - ausschalten oder mitmachen. Wer sich für Letzteres entscheidet, prinzipiell aber mit dem Eurovision Song Contest so gar nichts am Hut hat, der sollte jetzt weiterlesen: Unsere schnelle ESC-Halbwissen-Vermittlung für die Sofa-Klugscheißer.

ESC-Gewinner: Was, die haben da mitgemacht?

Ein kurzer Überblick über das Regelwerk

1. Wer die Kohle gibt, ist gesetzt: Einen garantierten Startplatz im Finale haben die größten Eurovisions-Geldgeber Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien. Auch das Gastgeberland, in diesem Fall Österreich, ist gesetzt.

2. Geographisch sieht man es nicht so eng: Dank seiner treuen und engagierten Fans darf Australien beim diesjährigen ESC mitmachen. Warum das toll für Deutschland sein könnte, erklären wir später...

3. Fass dich kurz: Jeder Wettbewerbssong darf maximal drei Minuten lang sein. Die Sprache kann frei gewählt werden. Gesungen wird live, die Musik kommt vom Band.

4. Bitte keine Werbung: Ob auf T-Shirts, Bannern oder im Songtext - Werbung oder politische Botschaften sind verboten. Auch Tiere haben auf der Bühne nichts zu suchen.

5. "Twelve Points to...": Alle Teilnehmer-Länder dürfen im Finale ihre Punkte vergeben - auch wenn ihre Vertreter bereits ausgeschieden sind. Die Zuschauer können erst dann für ihren Favoriten anrufen oder eine SMS schicken, wenn alle Finalisten gesungen haben. Das Votum der Zuschauer zählt 50 Prozent der Gesamtwertung, die restlichen 50 werden von den nationalen Fachjurys bestimmt.

6. Und bei einem Patt? Sollten mehrere Teilnehmer die gleiche Punktzahl haben, dann gewinnt derjenige, der häufiger die Höchstwertung bekommen hat.

Wer ist diese Ann Sophie - und warum sieht sie aus wie Lena?

Wäre alles so gelaufen wie geplant, würde jetzt ein dicker kleiner Mann mit Fusselbart und großer Stimme für Deutschland auf der ESC-Bühne stehen: Doch Vorentscheidgewinner Andreas Kümmert wollte dann doch nicht mehr und machte den Weg frei für die Nummer zwei: Ann Sophie aus Hamburg.

Das ist vielleicht gar nicht so übel, denn die dunkelhaarige 24-Jährige erinnert doch frappierend an unser ESC-Goldmädchen Lena Meyer-Landrut, das 2010 für den zweiten deutschen Sieg nach Nicoles "Ein bisschen Frieden" sorgte. Das könnte ein gutes Omen sein!

"Black Smoke" heißt das Lied, mit dem Ann Sophie in Wien antritt. Die Hamburgerin sieht ihr zwar ähnlich, hat aber lang nicht so einen eigenwilligen englischen Akzent wie Lena. Das könnte daran liegen, dass Ann Sophie in London geboren wurde und in New York eine Schauspielausbildung absolviert hat.

Warum wir Australien die Daumen drücken sollten

Einen gedrückten Daumen für Ann Sophie, einen für "Down under": Sollte der Australier Guy Sebastian den ESC-Sieg einfahren, wäre das auch für Deutschland gut.

Denn üblicherweise richtet das Gewinnerland den Song Contest im kommenden Jahr aus. Allerdings werden die Veranstalter kaum mehrere Flugzeuge chartern, um die ganze Chose in Sydney abzuhalten. Der nächste ESC soll auf jeden Fall in Europa ausgetragen werden. Zusammen mit dem australischen Sender SBS wäre der deutsche NDR ein möglicher Ausrichter.

Das ist die deutsche ESC-Jury

Die Fernsehzuschauer bestimmen nur 50 Prozent des deutschen Votings. Die andere Hälfte wird von einer Jury bestimmt: In der sitzen die Musiker Mark Forster, Ferris MC, Johannes Strate, Leslie Clio und der Produzent Swen Meyer.

Innige ESC-Hassliebe zwischen Österreich und Deutschland

Beim Eurovision Song Contest zeigen sich die Nachbarn Deutschland und Österreich gerne die kalte Schulter.

In 47 Finals gab Deutschland den Liedern aus der Alpenrepublik 30 Mal null Punkte. Umgekehrt hat sich auch Österreich nicht gerade generös gezeigt: 21 Mal "zéro points" für die Bundesrepublik.

Die Deutschen machen nicht mal für Udo Jürgens eine Ausnahme: Drei Mal teilgenommen, bekam der vergangenes Jahr verstorbene Sänger keinen einzigen Punkt aus Deutschland.

Peter Urban - die deutsche Stimme des ESC

Wenn seine Stimme erklingt, ist ESC: Peter Urban kommentiert seit 1997 für die ARD. Eigentlich ist der Moderator mit der unverwechselbaren Stimme seit zwei Jahren in Rente - aber den ESC lässt sich "Mister Grand Prix" nicht entgehen: "Es ist ein Ausflug in eine andere Welt, der mich an ein großes Sportereignis erinnert - wie eine musikalische Europameisterschaft."

Nur einmal konnte er seit 1997 den Song Contest nicht kommentieren - das war 2009 in Moskau, als er wegen einer Hüftoperation im Krankenhaus lag.

Auf diese ESC-Kandidaten sollten wir achten

Maraaya mit "Here For You", Slowenien: Einen Spitzen-Act bringt Slowenien an den Start. Maraaya ist verschroben, ihr Markenzeichen sind riesige Kopfhörer. Neben ihr fidelt eine Frau wie wild eine Luft-Geige. Eine Stimme, die stark an Duffy erinnert. Das Lied ist ein genialer Popsong, der beim ESC viele Zuschauer überzeugen wird.

Elina Born & Stig Rästa mit "Goodbye To Yesterday", Estland: Es gibt sie noch, die guten ESC-Lieder. Die Esten singen ein Popduett mit melancholischem Nick-Cave-Sound und viel Tempo. Erinnert etwas an den holländischen Top-Act Common Linnets vom Vorjahr. Vielversprechend.

Monika Linkyte & Vaidas Baumila, "This Time", Litauen: Schöner Einfall, so eine Bühnennummer mit einem Kuss in der Mitte. Dennoch: In diesem (gecasteten) Paar herrscht ungefähr so viel Erotik wie beim "Musikantenstadl". Das nimmt der fröhlichen Neo-Folk-Nummer nichts von ihrem Schwung. "This Time" hat gute Chancen, viel zu erreichen. Das Kleid von Monika Linkyte gleicht einem explodierten Tuschkasten.

Mørland & Debrah Scarlett, "A Monster Like Me", Norwegen: Was für schöne Stimmen, was für eine starke Melodie. Das Duett klingt wie ein Coldplay-Album aus besseren Tagen. Dazu das exotische Thema: Ein Mord aus Kindertagen. Mindestens Top Five. Mehr wohl nicht. Nächstes Jahr werden sich aber beim Thema ESC 2015 viele nur an das hier erinnern.

Måns Zelmerlöw, "Heroes", Schweden: Alle mal mitgrölen, bitte! Mit einem kräftigen "Hiiii-Oh-Wow-Wow-Wow-Ow-Wow" empfiehlt sich Måns Zelmerlöw für den ESC-Sieg und alle Großraumdiscos der westlichen Welt. Die Buchmacher sehen das Lied auf dem Siegerplatz. Das hat auch viel mit der fantastischen 3D-Animation bei diesem Auftritt zu tun.

Guy Sebastian, "Tonight Again", Australien: Der Mann aus Down Under ist ein Vollprofi und trat schon vor dem Papst und Queen Elizabeth auf. Und "Tonight Again" ist ein Ohrwurm und wird den ESC garantiert rocken. Der Pferdefuß: Guy Sebastian kann selbst mit einem Sieg den ESC nicht in sein Land holen. Denn der ESC findet 2016 definitiv in Europa statt. Möglicherweise würde Deutschland als Gastgeber einspringen.

The Makemakes, "I Am Yours", Österreich: Zwischen Castingsiegern und zusammengewürfelten ESC-Projekten sind die drei mit Vollbart und wallendem Haar fast schon Ausnahmen. Zwei von ihnen kennen sich seit der Kindheit. Das Trio kann einen Chart-Hit und Bühnenerfolge vorweisen. "I Am Yours" erinnert viele Zuhörer ein bisschen zu sehr an den Hit "The Scientist" von Coldplay (2002). Dennoch sehr stark.

Ann Sophie, "Black Smoke", Deutschland: Es ist viel geschrieben worden über den Skandal-Rücktritt von Andreas Kümmert, durch den für die zweitplatzierte Ann Sophie der Weg frei wurde. Die Hamburgerin hat einen kraftvollen Auftritt. Sie ist nicht zu unterschätzen, auch wenn Buchmacher sie weit hinten sehen.

Monika Kuszynska, "In The Name Of Love", Polen: Das gab's noch nie: Eine Rollstuhlfahrerin auf der ESC-Bühne. Monika Kuszynska ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt und wirbt mit einem zuckersüßen Lied für mehr Toleranz. ESC-Beobachter sehen aber wenig Siegerpotenzial.

Boggie, "Wars For Nothing", Ungarn: Neben dem Beitrag aus Armenien ist dies der zweite politisch angehauchte Act. Die Ungarin Boggie, deren Gesichtszüge stark an die britische Herzogin Kate erinnern, zählt zu den heißen Tipps für einen ESC-Sieg. Sie bringt eine sanft gehauchte Ballade mit, in der sie für den Weltfrieden singt. Stark!

Elnur Hüseynov, "Hour Of The Wolf", Aserbaidschan: Zunächst zaghaft und dann mit voller Wucht wirft Hüseynov sich in die schöne Ballade. Die vermutlich stärkste Stimme dieses ESC-Wettbewerbs.

Polina Gagarina, "A Million Voices", Russland: "Wenn du unsere Stimmen rufen hörst, wirst du nicht mehr einsam sein." Wenn so ein Satz 2015 aus Russland kommt, könnte sich so mancher Nachbar bedroht fühlen, frotzelten ESC-Experten jüngst. Polina Gagarina singt über Liebe und Harmonie. Und der Song ist klasse. Sie könnte gewinnen.

Il Volo, "Grande Amore", Italien: Pizzeriatauglicher Italo-Pop. Hinter dem Trio, das anfangs "I tre tenorini" (deutsch: Die drei Tenörchen) hieß, steht der Produzent von Andrea Bocelli, was man stark heraushört. Die drei haben international schon viele Konzerthallen gefüllt und besitzen das Zeug zum ESC-Sieg.