Beim EU-Gipfel am Montag hat der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu klare Forderungen seines Landes an die Mitgliedsstaaten gestellt. Foto:  

Der Vorstoß der Türkei auf dem Gipfel in Brüssel Anfang der Woche haben viele überrascht. Nun erklärt Ministerpräsident Ahmet Davutoglu die Motive, die hinter den türkischen Forderungen stecken.

Istanbul - Ahmet Davutoglu ist da, wo er sein will: mittendrin im Kreis der wichtigsten europäischen Spitzenpolitiker. Beim EU-Gipfel von Brüssel Anfang der Woche habe er SMS-Nachrichten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgetauscht, berichtet der türkische Ministerpräsident auf dem Rückflug aus Belgien mitreisenden türkischen Journalisten. „Das Flüchtlingsproblem hat Europa die Bedeutung der Türkei vor Augen geführt“, sagt Davutoglu. Nun hofft er auf eine rasche Aufhebung des Visazwangs für Türken im Schengen-Raum. Doch es geht der Türkei nicht nur um Anerkennung in Europa. Davutoglu hat erkannt, dass sein Land aus Eigeninteresse etwas gegen das Flüchtlingsproblem tun muss.

Auch bei dieser Erkenntnis spielten Handies eine Rolle. Im Flugzeug berichtet Davutoglu den türkischen Reportern von Handy-Gesprächen zwischen afghanischen Flüchtlingen in Griechenland und deren Angehörigen. „Du gehst dahin und nimmst ein Boot von dort“, werde da gesagt – die Türkei werde unabhängig vom Syrien-Konflikt immer mehr zur Bühne eines gewaltigen Flüchtlingsstroms nach Westen. Das müsse aufhören.

Syrer stellen nur rund die Hälfte der Flüchtlinge, die im Boot aus der Türkei nach Griechenland kommen. Afghanen, Iraker, Iraner und Pakistaner nutzen das türkische Staatsgebiet ebenfalls. Bisher versuchte die türkische Regierung, diese Migranten durch eine Verschärfung der Visabestimmungen abzuschrecken. Doch vor allem im Falle der Afghanen, die über den östlichen Nachbarn Iran in die Türkei kommen, hat das bisher nicht viel gebracht: Sie stellen 25 Prozent der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge.

Die Türkei will die Schlepper schärfer bekämpfen

„Die Flüchtlinge werden auch für uns zu einer schweren Last“, sagte Davutoglu nach eigenen Worten seinen EU-Kollegen in Brüssel. Deshalb gehen die türkischen Behörden inzwischen schärfer gegen Schlepper vor. Eine 3000 Polizisten starke Sondereinheit des Innenministeriums soll den Menschenhandel gezielt bekämpfen. Nach UN-Angaben ist die durchschnittliche Zahl der täglich in Griechenland ankommenden Flüchtlinge von 1900 im Februar auf 1500 im März gesunken.

In Brüssel versuchte Davutoglu, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Flüchtlingen soll der Anreiz genommen werden, über die Türkei nach Griechenland zu gelangen. Auf diese Weise würde das Land weniger attraktiv für Durchreise-Migranten. Gleichzeitig sollen die Europäer in die Bewältigung der Krise eingebunden und ein weiterer Anstieg der Flüchtlingszahlen in der Türkei verhindert werden. Außerdem will die Türkei nicht, dass Ungarn und andere Zaun-Anhänger in der EU die Oberhand gewinnen – denn dann könnte die Türkei wegen des Rückstaus von Menschen plötzlich noch viel mehr Flüchtlinge im Land haben als ohnehin schon. Das waren die Hauptmotive für den türkischen Überraschungsvorstoß von Brüssel: Ankara nimmt alle Flüchtlinge aus Griechenland zurück, wenn sich die EU verpflichtet, für jeden zurückgenommenen Syrer einen anderen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehmen.

Nach dem türkischen Plan sollen nur Syrer nach Europa umgesiedelt werden, die schon vor dem 29. November – dem Tag der Grundsatzeinigung zwischen EU und Ankara – in die Türkei gekommen waren. Die aus Griechenland zurückgeschickten Syrer will die Türkei in Lagern unterbringen, die Menschen aus anderen Ländern auf Kosten der EU in ihre jeweilige Heimat zurückschicken. Verhandlungen über entsprechende Abkommen zwischen der Türkei und 14 Herkunftsländern der Flüchtlinge laufen.

Nicht alle in der Türkei unterstützen den Vorstoß Davutoglus in Brüssel

Zufrieden beschrieb Davutoglu die harten Verhandlungen von Brüssel, bei denen es auch um die türkische Forderung nach einer Verdopplung der EU-Finanzhilfen von drei auf sechs Milliarden Euro ging. Es sei gefeilscht worden, aber am Ende habe die Türkei ihre Ziele erreicht.

Das sehen dort nicht alle so. Die EU wolle die Türkei in ein gigantisches Flüchtlingslager verwandeln, schrieb der Politologe Sedat Laciner in einem Beitrag für das Online-Portal Haberdar. Davutoglu habe in Brüssel Zusagen gemacht, die er nicht halten könne. Da EU und Türkei sich nicht um das Grundübel des Chaos in Nahost kümmerten, werde der Flüchtlingsstrom weiter anhalten.