Die Staats- und Regierungschefs stehen für das Familienfoto beim Informellen EU-Gipfel zusammen. Foto: Kay Nietfeld/dpa/Kay Nietfeld

Ungarns Premier droht beim Gipfeltreffen der EU im spanischen Granada ein Veto gegen die Milliardenhilfen für die Ukraine an.

Am Ende steht doch noch eine Gipfelerklärung. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben darin nach ihrem Treffen im spanischen Granada auch die gemeinsamen Ziele der Migrationspolitik bekräftigt. Allerdings war die abschließende Pressekonferenz ein zähes Ringen um die richtigen diplomatischen Formulierungen, hinter denen die offensichtlich sehr großen Meinungsverschiedenheiten in der Frage der Asylpolitik kaum zu verbergen waren.

Ungarns Premierminister Viktor Orbán hatte am Freitagmorgen noch angekündigt, eine geplante gemeinsame Erklärung nicht mitzutragen. Schon während der Verhandlungen postete er auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) mehrere kurze Videos mit seiner zornigen Botschaft. Ungarn werde von Brüssel „politisch vergewaltigt“, kritisierte Orban die EU-Einigung auf einen Teil der Asylreform gegen die Stimmen Ungarns und Polens in drastischen Worten. „Wenn man vergewaltigt wird – rechtlich gezwungen wird, etwas zu akzeptieren, was man nicht will –, wie soll es dann einen Kompromiss und eine Einigung geben?“, fragte der rechtskonservative Politiker. „Das ist unmöglich.“ Budapest und Warschau hatten am Mittwoch in Brüssel als einzige EU-Länder gegen die sogenannte Krisenverordnung gestimmt, die verschärfte Maßnahmen im Fall der Ankunft besonders vieler Migranten in Europa vorsieht. So könnte etwa Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden abgenommen werden. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen.

Von der Leyen bleibt optimistisch

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchte, den Stand der Verhandlungen nach dem Treffen in freundliche Worte zu packen. „Migration hat es immer gegeben und es wird sie immer geben, die Frage ist: Wie managen wir sie als Team Europa?“, sagte sie am Freitag in Granada. Die geplante Asylreform sei auf dem Weg und „die Chancen stehen gut, dass wir sie über die Ziellinie bringen“.

Doch Ungarns Premier blockte offenbar jeden Vermittlungsversuch ab und kündigte erneut seine Gegenwehr gegen die Pläne an. Aus seiner Sicht gebe es keinerlei Chance mehr auf Kompromisse und Vereinbarungen. Assistiert wurde ihm vom polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki, der die Einigung zuvor als „Diktat aus Brüssel und Berlin“ bezeichnete.

Stein des Anstoßes war, dass Ungarn wie Polen fordern, dass alle Beschlüsse in Migrationsfragen einstimmig auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gefällt werden. Laut EU-Vertrag reicht aber eine qualifizierte Mehrheit aus, also 15 EU-Länder, die für 65 Prozent der europäischen Bevölkerung stehen. Doch nicht nur die EU-Migrationspolitik wird von Viktor Orban torpediert. In einem seiner Videos auf dem Kurznachrichtendienst X kritisierte er die Budgetvorschläge aus Brüssel als eine einzige „Schlamperei“. Dabei ging es ihm um die Hilfe für die Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland. „Brüssel ist auf die Idee gekommen, der Ukraine bedingungslos Kriegsgeld für weitere vier Jahre zu geben“, tobte er in dem Filmchen, das mit düsterer Musik unterlegt ist. „Statt Frieden wollen sie dieses Geld, um das fortgesetzte Töten zu unterstützen.“ Die EU-Kommission schlägt für die kommenden Jahre weitere 70 Milliarden Euro an Ukraine-Hilfen vor. Ein Teil davon soll aus einem erweiterten EU-Budget fließen, auf das sich die Mitgliedsländer noch einstimmig einigen müssen. Ungarn hat also eine Vetomöglichkeit. Nicht nur die Hilfen für die Ukraine, auch eine mögliche Aufnahme des kriegsgeplagten Landes in die EU beschäftigt die Staats- und Regierungschefs. Bundeskanzler Olaf Scholz drang in Granada erneut auf eine Reform der EU, um sie für die Aufnahme weiterer Länder fit zu machen. „Wir müssen dann auch mit qualifizierten Mehrheiten Entscheidungen treffen können, damit die Souveränität und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gewährleistet ist“, sagte er. Derzeit können viele Entscheidungen nur bei Zustimmung aller 27 Mitgliedstaaten getroffen werden. Vor allem Ungarn hatte zuletzt immer wieder von der Möglichkeit eines Vetos Gebrauch gemacht. Es kursieren Gerüchte, dass Orban den Ukraine-Hilfen zustimmen könnte, wenn im Gegenzug EU-Gelder freigegeben würden, die derzeit wegen rechtsstaatlichen Defiziten in Ungarn eingefroren sind.