Erich und Steffen Alber (von links) bei der Kartoffelernte in Sielmingen: Sie erklären, warum immer wieder auch einzelne Kartoffeln auf den Feldern zurückbleiben. Foto: Caroline Holowiecki

Die Kartoffelernte auf den Fildern läuft. Bisweilen bleiben auf den Feldern Knollen liegen, in diesem Jahr mehr als sonst. Manch einer wittert hier Verschwendung, doch es ist komplizierter.

Steffen Alber kneift die Augen zusammen. Der Acker ist derart trocken, dass der Landwirt, während sein Sohn Alexander den Traktor vorbeisteuert und mit dem Vollernter die rotschalige Laura aus dem Boden holt, in einer Staubwolke verschwindet. Hitze und Wasserarmut machen die Kartoffelernte in diesem Jahr zu einer extremen. „Die Kartoffel hat gelitten“, sagt der Sielminger Landwirt. Immer wieder habe er seine Felder beregnen müssen. Dennoch ist die Knolle früh dran. Zwei bis drei Wochen eher als sonst wird sie aktuell aus dem Boden geholt. Die Ernte ist durch die Trockenheit erschwert, sagt Erich Alber, der Senior. „Die Erde ist wie Schmirgelpapier“, erklärt er, auf eine Beregnung, die die Kartoffel schonen würde, verzichte man aber aus Wasserspargründen.

Die Kartoffel ist dieses Jahr extrem gestresst

Die Kartoffelernte auf der Filderebene läuft. Und überall ist es dasselbe: Erdäpfel, die gestresst sind und früher gerodet – so der Fachbegriff – werden müssen, die kleiner ausfallen und sich nicht so gut lagern lassen werden. „Die Hitze hat etwas ausgemacht“, sagt Philipp Bär, der mit seiner angeheirateten Familie Bayha in Leinfelden-Echterdingen auf gut drei Hektar Kartoffeln anbaut. Viele Knollen weisen ungenießbare grüne Stellen auf, da sie durch den aufgerissenen Boden der Sonne ausgesetzt waren. Sie werden vor Ort aussortiert und später quasi als Dünger untergepflügt.

So kommt es, dass auf dem Acker etliche Kartoffeln zurückbleiben, auch vom Drahtwurm befallene. „Sie können davon ausgehen, dass jede vermarktungsfähige Kartoffel mitgenommen wird. Man macht das Ganze ja nicht zum Spaß“, sagt Steffen Alber. Durch die Hitze gibt es in diesem Jahr aber eine Sondersituation. Besonders viele der tendenziell kleineren Kartoffeln können vom Vollernter nicht aufgenommen werden. Das kennt auch Jochen Hemminger aus Denkendorf. Der Landwirt erklärt: Nachdem die Knollen aus dem Boden geholt werden, landen sie auf der sogenannten Siebkette, die Löcher hat, um Erdklumpen loszuwerden.

Die kleinen, glatten Kartoffeln fallen durch das Sieb

Die heuer extra vielen kleinen und glatten Kartoffeln fallen ebenfalls durch. „Das technisch zu ändern, ist unbezahlbar“, sagt er, selbst wenn er ungern auf die Minis verzichtet. „In Jahren, in denen man Unterertrag hat, hätten wir Erzeuger sie gern“, ein händisches Auflesen sei indes unwirtschaftlich. Das bestätigt Philipp Bär. Das rare Personal könne er dafür nicht abstellen, „ich brauche die alle auf dem Roder“.

Mancher wittert jedoch Verschwendung. „Kartoffeln sind Lebensmittel“, mahnt der Filderstädter SPD-Stadtrat Walter Bauer bei Facebook. Jedes Jahr sei es „das gleiche traurige Ereignis: Kartoffeln, die nicht den gewünschten Marktgrößen entsprechen“, würden zurückgelassen und vergammelten. Bauern sollten abgeerntete Felder zum Stoppeln, wie das Aufklauben landläufig genannt wird, freigeben, regt er an.

Zehn Sorten auf bis zu fünf Hektar

Die Filder-Landwirte sehen dies aber kritisch. „Das Problem ist, dass die Leute nicht sehen, wo schon geerntet wurde“, sagt Philipp Bär. Seine Kollegen pflichten ihm bei. „Wo fängt man an, wo hört man auf?“, fragt Steffen Alber. Schließlich lebe er vom Verkauf der Waren. Auf vier, fünf Hektar bauen die Albers in Filderstadt zehn Kartoffelsorten an. „Das ist unser Hauptgeschäft“, sagt Erich Alber. Der Preis sei für die Kunden stabil – trotz massiver Kostensteigerungen bei Diesel, Wasser oder Dünger.

Die Bauern betonen: Wer freundlich fragt, der darf sich ein paar übrige Kartoffeln gern nehmen. „Dann sage ich noch, welche Sorte es ist, damit er weiß, wie er sie kochen muss“, sagt Philipp Bär. Gleichwohl stellt das Trio klar: An Dreistigkeit seien manche Pfennigfuchser nicht zu überbieten. Von „ganzen Armadas“, die mit teuren Autos vorfahren und über seine Felder herfallen, berichtet Steffen Alber. Jochen Hemminger habe einmal eine neunköpfige Gruppe mit Eimern und Waschkörben vom Acker vertrieben. „Das hat dann nichts mehr von ‚Schade um das Lebensmittel‘“, sagt er. Er stellt klar: Rein rechtlich ist das Diebstahl. Einem Bedürftigen, der sich etwas Gemüse nehme, wolle keiner etwas Böses. Viele bedienten sich aber schamlos im großen Stil. „Wenn man hinten erntet, und vorne liest einer die Kartoffeln auf, das ärgert einen“, sagt Erich Alber.

Die Deutschen und die Kartoffel

Verzehr
In Deutschland ist die Kartoffel überaus beliebt. Im Zeitraum 2019/20 verzehrte jeder Bundesbürger laut dem Statistikportal Statista 35,7 Kilogramm Kartoffelerzeugnisse. Der gesamte Pro-Kopf-Verbrauch bezifferte sich auf rund 57 Kilogramm, denn die Kartoffel wird auch als Futtermittel und Industrierohstoff genutzt.

Anbau
2021 wurden in Deutschland laut Statista auf einer Fläche von rund 259 300 Hektar Kartoffeln angebaut. Demnach konnten deutsche Bauern im vergangenen Jahr mit 43,79 Tonnen pro Hektar EU-weit die höchsten Hektarerträge in der Kartoffelernte erzielen. Für Baden-Württemberg spricht Martin Hauß, der Vorsitzende der Erzeugergemeinschaft für Früh- und Spätkartoffeln, von etwa 5500 Hektar. Der Selbstversorgungsgrad liege bei 70 bis 80 Prozent. Besonders stark sei die Kartoffel etwa im Heilbronner Unterland. car