Ansicht des Hornbergbeckens I der Schluchseewerk AG in Herrischried. In unmittelbarer Nähe des bestehenden Pumpspeicherwerks soll das neue Pumpspeicherwerk Atdorf entstehen. Foto: dpa

Runder Tisch diskutiert die Alternativen zum geplanten Pumpspeicherwerk im Schwarzwald.

Stuttgart - Ist der Bau des Pumpspeicherwerks Atdorf alternativlos? Wissenschaftler bestreiten das entschieden. Vor allem die norwegischen Seen gelten als ideale Speicher für deutschen Strom. Doch die Sache hat mehrere Haken.Es war nun schon das dritte Treffen zum Milliardenprojekt Atdorf, doch Gegner wie Befürworter, Politiker wie Wissenschaftler erwarteten es mit besonderer Spannung. Denn erstmals sollte die energiepolitische Grundsatzfrage beraten werden: Braucht man solche Batterien überhaupt?

Die zum Runden Tisch geladenen Fachleute gaben darauf eine eindeutige Antwort: "Wenn wir 100 Prozent Strom aus erneuerbarer Energie wollen, kommen wir um eine Speicherung nicht herum", sagte etwa Michael Sterner vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik.

Auch die Auswahl der Technologie sehen die Experten in der Praxis äußerst eingeschränkt. Sterner hat zwar in Stuttgart eine Methode entwickelt, wie Strom in Methangas umgewandelt und somit gespeichert werden kann (power to gas), aber angesichts der hohen Kosten sieht er diese Methode nur als "letzte Option". Die sogenannte Pumpspeichertechnologie sei gegenwärtig die einzige, die auch wirtschaftlich sei, sagte Sterner: "Atdorf ist keineswegs alternativlos, aber Alternativen sind eine Frage der Kosten."

Ob solche riesigen Stauseen allerdings auf den ökologisch sensiblen Schwarzwaldhöhen entstehen müssen, ist bei den Wissenschaftlern durchaus umstritten. Vor allem der Flensburger Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft, Olav Hohmeyer, sieht in der ausgedehnten norwegischen Seenlandschaft eine realistische Alternative: "Ein Verbund mit Norwegen könnte die notwendige kurz- und langfristige Speicherleistung bereitstellen."

4500 Hochspannungsleitungen müssten gebaut werden

Angesichts des europäischen Bedarfs an Speicherkapazität könnten sich die Skandinavier "die Nasen vergolden", glaubt Hohmeyer, der auch Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen ist, der die Bundesregierung berät. Sollte es zu einer umfangreichen deutsch-norwegischen Kooperation kommen, hat er Zweifel, ob sich Atdorf noch rechnet. Hohmeyer: "Voraussichtlich ist es dann überflüssig." Er räumte allerdings ein, dass zuvor das Leitungsnetz ausgebaut werden muss. Und dagegen regt sich offenbar auch in dem skandinavischen Land selbst Protest: "Die Widerstände richten sich gegen Freileitungen, die gezogen werden müssen." Die Seen selbst allerdings und deren unterirdische Verbindungsleitungen seien kein Problem. Hohmeyer: "Diese Eingriffe in die Natur sind ja nicht sichtbar." Angesichts der vielen Vorteile empfiehlt letztlich auch der Sachverständigenrat eine Speicherung deutschen Stroms in Norwegen.

Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller, der den Runden Tisch zu Atdorf initiiert hat, hält diese Lösung allerdings für "fragwürdig und unrealistisch". Bis zu 4500 Kilometer Hochspannungsleitungen müssten dafür gebaut werden, sagte er mit Blick auf wissenschaftliche Studien: "Bei Norwegen reden wir über das Verlegen von Leitungen durch den Nationalpark Wattenmeer." Der Grünen-Politiker setzt vielmehr auf eine regionale, dezentrale Stromversorgung. In diesem Fall allerdings müsse man auch über Standorte reden: "Im Allgemeinen ist man für die Energiewende, aber wenn's konkret wird, wird's schwierig."

Angesichts der ehrgeizigen Ausbaupläne der Landesregierung bei regenerativer Energie hätte Untersteller am liebsten mehrere Eisen im Feuer: "Wir brauchen beides: sowohl lokale Speicher als auch solche in anderen Regionen."

Er wies auch den Einwand zurück, die Stromkonzerne wollten in Pumpspeicherwerken ihren billig produzierten Atomstrom zwischenlagern, um ihn bei Bedarf teuer zu verkaufen: Mit dem Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergienutzung bis zum Jahr 2022 ziehe dieses Argument nicht mehr. Auch die Schweiz habe entschieden, keine neuen Meiler mehr zu bauen.

Wie heikel die Stromversorgung nach dem Abschalten von zwei der vier Atomkraftwerke im Land ist, deutete Untersteller in wenigen Sätzen an. "Es war kurz davor, dass Philippsburg I als atomare Kaltreserve gezogen worden wäre", sagte er mit Blick auf die Forderung der Bundesnetzagentur, ein Reservekraftwerk zu benennen. "Gott sei Dank" sei es gelungen, drei fossile Kraftwerke zu reaktivieren. Die Versorgung in den beiden kommenden Wintern sei jedenfalls gesichert.