EU-Kommission hat mehrere Beschwerden gegen das EnBW-Geheimgeschäft auf dem Tisch.

Stuttgart/Brüssel - Im Alleingang hat der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) den Einstieg des Landes beim Energiekonzern EnBW durchgezogen. Jetzt wird immer klarer, wie riskant diese Strategie gewesen ist. Es drohen juristische Auseinandersetzungen an mehreren Fronten.

Die Aufarbeitung des EnBW-Deals der ehemaligen Landesregierung geht in eine neue Runde. Nach Informationen unserer Zeitung sind bei der Brüsseler EU-Kommission mehrere Beschwerden im Zusammenhang mit dem rund fünf Milliarden Euro teuren Ankauf von EnBW-Aktien durch das Land Baden-Württemberg eingegangen. Der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte die Aktien Anfang Dezember vergangenen Jahres vom damaligen EnBW-Hauptaktionär EdF in einer Nacht-und-Nebel-Aktion angekauft. Mittlerweile haben sie rund eine Milliarde Euro an Wert verloren. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bestätigte auf Anfrage das Vorliegen entsprechender Beschwerden in Brüssel. Mindestens eine davon liegt bei der Binnenmarktkommission des französischen Kommissars Michel Barnier. Weder BMWi noch Kommission wollten sich zur Identität der Beschwerdeführer äußern.

So viel ist aber klar: Die Beschwerden richten sich gegen die ohne Ausschreibung erfolgte Vergabe eines millionenschweren Beratungsvertrags an Morgan Stanley. Die Investmentbank hatte die Abwicklung des Geschäfts im Auftrag des Landes begleitet. Angebote anderer Institute wurden nicht eingeholt. Zudem pikant: Der Deutschland-Chef von Morgan-Stanley, Dirk Notheis, ist eng mit Ex-Regierungschef Mappus verbandelt. Mappus und Notheis kennen sich aus gemeinsamen Tagen bei der Jungen Union. Später war der Investmentbanker Trauzeuge bei Mappus’ Hochzeit.

Bereits direkt nach dem Deal Anfang Dezember 2010 hatte die Rolle von Notheis bei dem EnBW-Geschäft in der baden-württembergischen Landespolitik für Unmut gesorgt. Der damalige Grünen-Fraktionschef und heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte mit Blick auf den Beratervertrag von einem „Geschmäckle“ geredet, der SPD-Landesvorsitzende und heutige Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid warf Mappus einen „Deal unter Freunden“ vor. Erst kürzlich, beim Landesparteitag der Sozialdemokraten in Offenburg, wiederholte er seine Kritik. Notheis habe sich als der einzige wirkliche Profiteur des Geschäfts erwiesen, ätzte Schmid vor den Delegierten und rief aus: „Dirk, I want my money back.“

Morgan Stanley wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Mappus hat bisher alle Spekulationen über eine mögliche Vetterleswirtschaft bei der Auftragsvergabe zurückgewiesen. Dem Banker Notheis dürfe es nicht zum Vorteil, aber auch nicht zum Nachteil gereichen, dass er ihn gut kenne, sagte Mappus nach dem EnBW-Geschäft.

An der Version einer rechtsstaatlichen Kriterien genügenden Auftragsvergabe herrschen aber seit geraumer Zeit Zweifel. Der Auffassung der ehemaligen schwarz-gelben Landesregierung, die Vergabe des Beratervertrags an Morgan Stanley sei auch ohne Ausschreibung rechtskonform, wollen nicht alle Fachleute folgen.

„Grundsätzlich müsste ein derartiger Auftrag ausgeschrieben werden“, sagt etwa ein Fachanwalt einer Stuttgarter Kanzlei, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ausnahmen, die eine direkte Vergabe rechtfertigten, lägen „wohl nicht vor“. Nach geltendem Recht kann auf eine Ausschreibung verzichtet werden, wenn eine Bagatellgrenze von aktuell 193.000 Euro beim Honorar nicht überschritten wird. Medienberichten zufolge kassierte Morgan Stanley für die Abwicklung des Geschäfts an der Seite des Landes aber rund 13 Millionen Euro – also ein Vielfaches des Schwellenwerts. Weitere Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht beziehen sich auf Grundstückskäufe, Arbeitsverträge oder den Verteidigungsbereich.

Andere Fachleute meinen, Mappus und Notheis könnten sich bei ihrer Argumentation auf einen Rechtsparagrafen stützen, der „insbesondere Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der Auftraggeber dienen“, von der öffentlichen Ausschreibung befreit. Dazu würde passen, dass sich Mappus in der Vergangenheit als Rechtfertigung für sein Geschäft auf eine rechtliche Ausnahmeklausel für Finanztransaktionen bezogen hatte. Sollte sich das Morgan-Stanley-Engagement nur auf diese Punkte beschränkt haben, wäre die Direktvergabe des Millionen-Auftrags an den Mappus-Spezi Notheis nach Ansicht von Fachleuten deutlich schwerer zu beanstanden.

Allerdings: Immer wieder hat Mappus betont, Morgan Stanley sei beauftragt worden, weil die Bank den Ex-EnBW-Großaktionär EdF aufgrund langjähriger Kontakte besonders gut beurteilen könne. So gesehen wäre die Expertise der Banker also sehr umfassend ausgefallen. Ein Punkt der gegen die Ausnahmeklausel spricht. Klarheit könne aber nur die Einsicht in die zugrundeliegenden Verträge geben, heißt es.

Der Druck auf Mappus und Morgan Stanley wird denn auch von mehreren Seiten erhöht. Das baden-württembergische Wirtschaft- und Finanzministerium geht nach Angaben eines Sprechers einem „Anfangsverdacht“ in Sachen Auftragsvergabe nach. Dazu hat das vom SPD-Minister Nils Schmid geführte Haus eine Ausschreibung eingeleitet. Ziel: den Vorgang von Spezialisten untersuchen zu lassen. „Man muss prüfen, ob das rechtens war“, sagte der Sprecher.

Parallel dazu ist das Berliner Bundeswirtschaftsministerium mittlerweile in den Fall eingeschaltet. Von der EU-Kommission sei man „um Sachverhaltsaufklärung“ gebeten worden, teilte das Ministerium mit. Außerdem steigt der Druck auf den Landesrechnungshof, die Umstände des Geschäfts zu untersuchen – immerhin geht es um Steuergelder in Millionenhöhe.

Der Ball liegt jetzt aber bei den Brüsseler Wettbewerbshütern. Aufgrund der jetzt vorliegenden Beschwerden könnten sie nach Angaben von Fachleuten ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Bruchs europäischen Wettbewerbsrechts einleiten. Von diesem Instrument hat die als hartgesotten geltende Brüsseler Kommission für Binnenmarkt in der Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht. Sobald über den Fall entschieden sei, werde dies öffentlich kommuniziert, sagte eine Kommissionssprecherin.

Pikant bei der Sache: Möglicher Gegner in einem Rechtsstreit wäre nicht Ex-Regierungschef Mappus oder das Land Baden-Württemberg, sondern die Bundesrepublik Deutschland. Diese müsste auch etwaige Schadenersatzforderungen an die Beteiligten richten, heißt es aus Juristenkreisen.

Daher laufen dem Vernehmen nach auch im Berliner Bundeswirtschaftsministerium jetzt die Drähte heiß. „Sollte sich die EU-Wettbewerbskommission zu einem Verfahren entschließen, wäre das eine äußerst unangenehme Angelegenheit“, heißt es dazu aus informierten Kreisen.

Auch für Ex-Regierungschef Mappus ist die Sache noch nicht vom Tisch. Zwar lässt das Bundeswirtschaftsministerium mitteilen, „persönliche Vorwürfe gegen an dem Geschäft beteiligte Personen beziehungsweise Firmen“ seien mit der Anfrage aus Brüssel nicht verbunden. Nachdem bekanntgeworden ist, dass das Land seinem Berater Morgan Stanley eine Geheimhaltungsklausel für den EnBW-Vertrag eingeräumt hat, steigt der Druck nun aber auch auf landespolitischer Ebene, einen Untersuchungsausschuss zu dem Thema einzusetzen.