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Mit den ersten beiden Spielen des Weltmeisters bei der Euro ist Hansi Müller nicht so richtig zufrieden. In der Offensive bemängelt der frühere VfB-Profi die Durchschlagskraft und stellt die Frage: Warum wurde Mario Gomez nicht früher eingewechselt?

Stuttgart - Es geht mir wie den meisten Fußballfans. Ich bin noch nicht so richtig zufrieden mit unserer Mannschaft, ich habe mir nach dem Arbeitssieg gegen die Ukraine im Duell gegen die Polen ein bisschen mehr erwartet. Vor allem von der Offensivabteilung des Weltmeisters. Das wirkte alles noch ein wenig ideenlos.

Natürlich wird während der Vorrunde eines großen Turniers sehr viel taktiert. Und den Polen ging es in erster Linie darum, keine Niederlage einzustecken. Deshalb haben auch sie mich nicht überzeugt. Mit acht, neun Mann am eigenen Strafraum zu stehen, ist eigentlich ein Armutszeugnis für ein Team dieser Offensiv-Qualität. Robert Lewandowski tauchte ja fast mehr im eigenen als im deutschen Strafraum auf.

Es gibt keine Regel, die so ein Abwehrbollwerk verbietet, aber es gibt Mittel, um es zu knacken. Warum das nicht gelungen ist? Weil das Spiel mit Raum und Zeit nicht perfekt funktionierte. Der letzte Pass muss ein Präzisionswerk sein, wenn er den Weg zum Tor öffnen soll. Mario Götze ging als falsche Neun zwischen den polnischen Abwehrhünen regelrecht unter. Phasenweise hat er mir leid getan.

Gomez ist kein Spieler für die Bank

Und ehrlich gesagt frage ich mich, warum ihn Joachim Löw nicht früher durch Mario Gomez ersetzt hat. Der frühere Stuttgarter kam erst nach 72 Minuten – und blieb danach ohne nennenswerte Wirkung. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Mannschaft war in der kurzen Zeit nicht mehr in der Lage, sich vom Kurzpass- und Kombinationswirbel durch die Mitte auf das Flügelspiel mit maßgerechten Flanken umzustellen. Aber die hätte Gomez gebraucht, um seine Größe und Athletik einsetzen zu können. Außerdem war Mario für mich noch nie ein Spieler, den man von der Bank aus ins Spiel schicken kann. Solche Stürmer brauchen eine gewisse Anlaufzeit, bevor sie sich ins Spiel so einfügen, dass sie zur Geltung kommen. Mir ging es während meiner Profilaufbahn ähnlich. Wenn ich nur von der Bank aus ins Spiel kam, hatte ich immer das Gefühl der Verspätung. Meistens blieb sehr wenig Zeit, um in den Spiel-Rhythmus zu finden.

Gut gefallen hat mir aber die Defensive. So leid es mir für Skhodran Mustafi tut, aber Mats Hummels ist als Innenverteidiger einfach ein anderes Kaliber. Souverän in den Zweikämpfen, sicher in der Spieleröffnung. Für mich war es die wichtigste Erkenntnis des Abends: Mit ihm und Jérôme Boateng steht das Abwehrzentrum so sicher wie der Stuttgarter Fernsehturm. Davon profitieren nicht nur die beiden Außenverteidiger, auch der Rest der Mannschaft kann das Risiko im Spiel nach vorn erhöhen, wenn das Fundament wieder so gut steht.

Deutsche Elf wird sich steigern

Vielleicht wäre es auch noch eine Überlegung wert gewesen, Bastian Schweinsteiger in der zweiten Halbzeit einzuwechseln. Das hätte der Mannschaft womöglich noch einen Schub gegeben. Sami Khedira, der ein gutes Spiel gemacht hat, war ja schon mit Gelb verwarnt und außerdem leicht angeschlagen.

Bei aller Kritik will ich aber nicht vergessen, dass Polen zu den stärksten Teams dieser EM gehört. Und es ist schon immer so gewesen, das sich deutsche Teams in Turnieren steigern. Deshalb mache ich mir wenig Sorgen vor dem Duell gegen Nordirland. Klar, es wird wieder der Kampf gegen eine Wand aus zäh verteidigenden Außenseitern. Aber wenn es Thomas Müller und seine Helfer nicht schaffen sollten, die Nordiren auszuhebeln, dann hätten sie den Einzug ins Achtelfinale eigentlich auch nicht verdient.

Der Bundestrainer wird sicher überlegen, ob er Mario Gomez gegen die Abwehrspezialisten von Anfang an spielen lässt. Für mich liegt der Fall klar: Das deutsche Sturmzentrum braucht einen Angreifer, der allein schon durch seinen Körperbau Präsenz und Siegeswille dokumentiert. Mario ist Torschützenkönig in der ersten türkischen Liga. Das allein schon verschafft ihm Respekt. Er zieht automatisch immer ein, zwei Gegenspieler auf sich. Deshalb mein Tipp: Vom Anpfiff weg mit Mario Gomez – die Nordiren werden ihn fürchten.