Connstainte Allen als Petrucchio in John Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ Foto: Stuttgarter Ballett

Als Fan ganz dicht dabei: Die Stuttgarter Autorin Elisabeth Kabatek begleitet die Reid-Anderson-Festwoche beim Stuttgarter Ballett mit einer Kolumne. In John Crankos Choreografie „Der Widerspenstigen Zähmung“ lacht sie viel – und liegt hinterher dem Tänzer Constantine Allen völlig zu Füßen.

Stuttgart - Wie gut, dass am Donnerstag mit Der Widerspenstigen Zähmung ein komisches Stück auf dem Spielplan steht! Chronologisch wäre im Reigen der drei großen Cranko-Handlungsballette eigentlich Onegin dran, aber mit diesem Ballett wird sich am Freitagabend Sue Jin Kang verabschieden. Das ist auch gut so, denn so kann man ein wenig verschnaufen nach der herzzerreißenden Vorstellung von Romeo und Julia am Mittwochabend. Am Donnerstag wird ausnahmsweise nicht geheult. Es darf gelacht werden. Gott sei Dank!

Und es wird viel gelacht, sehr viel. Zum Beispiel am Ende des Ersten Akts, als alle TänzerInnen auf der Bühne umpurzeln wie die Dominosteine. Und über Biancas urkomische Freier sowieso. Es wird auch sehr, sehr viel geklatscht, denn heute Abend tanzt Constantine Allen zum ersten Mal den Petrucchio, und der bekommt reichlich Szenenapplaus, vor allem für seine gewaltigen Sprünge. Constantine Allen und Elisa Badenes: Ein hinreißendes Paar. Elisa Badenes ist als Katharina ein kratzbürstiger Wirbelwind mit ungeheuer expressiven Augen, die trotz ihrer schmalen Statur und ihres mädchenhaften Aussehens den ihr körperlich weit überlegenen Petrucchio das Fürchten lehrt. Und Constantine Allen tanzt den Petrucchio mit sehr viel Schalk im Nacken, sehr viel Leichtigkeit und ungeheurer körperlicher Präsenz. Hier liefern sich zwei einen Geschlechterkampf, die sich ebenbürtig sind, und dem zuzuschauen, ist ein großes Vergnügen. Man braucht die Sprache nicht, man sieht auch ohne Worte, wie sich die beiden beschimpfen und anschreien, man meint zu hören, wie Katharina brüllt, „Lass mich runter, du Blödmann!“, als Petrucchio sie mal wieder unsanft in der Luft zappeln lässt. Ebenfalls großartig ist der Zickenkrieg der beiden ungleichen Schwestern (Anna Osadcenko als Bianca).

Von den Kartentricks gut organisierter Tanzfans

Stimmungsbild in der Pause. Wie ist er denn nun, der neue Petrucchio?

„Perfekt!“

„Wunderbar!“

„Sehr komisch!“

„Tolles Paar!“

„Hätte es mir nicht vorstellen können, aber das passt super!“

Die Eltern von Ursula Graf haben die „Widerspenstige“ in der Urbesetzung mit Marcia Haydée und Richard Cragun gesehen. Jetzt haben sie den Ballettabend von der Tochter zum Mutter- und Vatertag geschenkt bekommen. Ursula Graf ist eine sehr fleißige, sehr regelmäßige Ballettbesucherin. Sie weiß, wie man an Karten kommt. Sobald der Spielplan erscheint, setzt sie sich mit ihrer Bekannten Angelika Lugtenburg zusammen, und dann wird am Computer eine Tabelle erstellt. Welche Ballettabende wollen sie sehen? Wann passt es zeitlich? Und wer will sonst noch mit? Dann wird das Datum des Erstverkaufstags in der Tabelle notiert, die Jobs für die Anrufe bei der Kartenreservierung um Punkt zehn Uhr werden verteilt. Eine Stunde Fingerwundwählen war für die Festwoche erforderlich, „dann hatten wir endlich unsere Wunschkarten für heute Abend.“ Klappt es immer? Eigentlich schon, meinen die beiden. Man braucht halt Geduld. Und eine klare Strategie.

Dass der Finger ein wenig gelitten hat für den heutigen Abend, ist das Opfer wert gewesen. Stuttgart hat einen neuen Petrucchio. Und was für einen! Wie er kurz vor Schluss noch einmal in den Himmel springt. Wie man ihm die Freude ansieht beim Schlussapplaus! Eine beeindruckende Karriere hat er hingelegt. Erst seit der Spielzeit 2012/13 tanzt er in Stuttgart, anfangs noch im Corps de Ballet. Ich darf Constantine Allen hinter dem Vorhang treffen. Die Techniker wuseln über die Bühne, scheuchen uns aus dem Weg und haben in affenartiger Geschwindigkeit schon die meisten Kulissen abgebaut. Heute Abend ist die Atmosphäre viel entspannter als gestern. Es macht offensichtlich einen riesigen Unterschied, ob ein Drama oder eine Komödie auf dem Spielplan steht.

Constantine Allen? Des isch koi Wiaschdr!

Ein strahlender Constantine kommt auf mich zu. Wow. Nein, das ist nicht alles Theaterschminke. Auch aus der Nähe betrachtet urteilt die Schwäbin: des isch koi Wiaschdr (wörtlich: das ist kein Wüster, will heißen, es handelt sich hier um einen ziemlich attraktiven Mann). Wie fühlt er sich? Ein bisschen müde, meint er, und strahlt dabei. Was für ein Lächeln! Kein Wunder, dass er das Herz der störrischen Katharina erobert. Ist er zufrieden? Hat er gemerkt, dass ihm das Publikum in seiner neuen Rolle zu Füßen liegt? „Ich hatte schon das Gefühl, das Publikum hat den Abend genossen“, sagt er in diesem typischen Tänzer-Understatement. „Es ist viel gelacht worden.“

Mir fällt ein, wie Marcia Haydée im SWR-Film erzählt, dass sie anfangs der Meinung war, Cranko würde ihr mit der „Widerspenstigen“ etwas völlig Unmögliches abverlangen, weil sie komische Rollen nicht gewohnt war. Wie erging es Constantine damit? „Das war meine erste Erfahrung mit einer komischen Rolle“, meint er. „Ich habe eine Menge dabei gelernt. Mir sind vor allem die kleinen Details, die Feinheiten wichtig. Es soll nuanciert sein. Du kannst nicht die ganze Zeit dick auftragen.“ Sein Rollendebüt als Petrucchio hat er übrigens vor zwei Wochen in Seoul gegeben. Wie ist es dort gelaufen? Sehr gut, meint er, Sue Jin Kang und Filip Barankiewicz haben ihn hervorragend unterstützt. „In Korea haben die Leute an anderen Stellen gelacht als in Stuttgart.“

Der Tänzer ist mit dem Surfbrett groß geworden

Filip ist heute Abend auch da und sichtlich stolz auf Constantine. Der wird übrigens im Oktober wieder in Stuttgart als Petrucchio zu sehen sein. Jetzt freut er sich erst einmal auf die Sommerpause, in der er außer einer Gala in Kalifornien keine tänzerischen Verpflichtungen hat. Vor der Gala geht es für ein paar Tage nach Portugal zum Surfen, allein. Schließlich ist Constantine auf Hawaii aufgewachsen und mit dem Surfbrett groß geworden. „Den größten Teil des Sommers werde ich in meiner Heimat, den USA verbringen. Ich war seit sieben Jahren nicht mehr länger dort. Ich will meine Freunde treffen, und auch sehen, wo das politisch hingeht, vor den Präsidentschaftswahlen.“ Also nicht nur Ballett? Da muss er richtig lachen. „O nein. Auf keinen Fall nur Ballett!“

Die Festwoche steuert auf ihren emotionalen Höhepunkt zu: Am Freitagabend wird sich Sue Jin Kang mit „Onegin“ nach dreißig Jahren von der Stuttgarter Bühne verabschieden. Wie das werden wird, weiß keiner. Sicher ist: Sue Jin, das Ballett und das Publikum werden alles geben, und es werden viele Taschentücher gebraucht werden. Am Samstag und Sonntag sind dann Picknickkorb und -decke die wichtigsten Utensilien. Kaufen Sie schon mal fürs Picknick ein, damit Sie sich am Samstag bei „Ballett im Park“ rechtzeitig einen guten Platz auf der Wiese beim Eckensee für die Gala der John Cranko Schule sichern. Und nein. Es wird nicht regnen!

Elisabeth Kabateks Blog beim Stuttgarter Ballett:

https://stuttgarterballett.wordpress.com/2016/07/22/kabatek-bloggt-stuttgart-hat-einen-neuen-petrucchio/