Baden-Württemberg hat in diesem Jahr den Vorsitz der Kultusministerkonferenz inne: Ressortchefin Eisenmann hat sich als Schwerpunktthema die berufliche Bildung ausgesucht. Foto: dpa

Die duale Ausbildung ist ein Erfolgsmodell. Trotzdem wird sie in Deutschland immer wieder weniger wertgeschätzt. Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Susanne Eisenmann, fordert deshalb ein Umdenken.

Stuttgart – - Frau Eisenmann, als KMK-Präsidentin haben Sie die berufliche Bildung als zentrales Thema für dieses Jahr benannt. Warum?
Aus verschiedenen Gründen. Ganz entscheidend ist, dass sich die Kultusministerkonferenz das letzte Mal 1997 mit der beruflichen Bildung auseinander gesetzt hat – das war also nun vor 20 Jahren. Es ist außerdem überfällig, dass sich innerhalb der Gesellschaft wieder ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickelt, was die duale Ausbildung für Deutschland bedeutet. Das Gleichgewicht zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung ist nicht mehr vorhanden. Die berufliche Seite ist in der Wahrnehmung in den vergangenen acht bis zehn Jahren nach hinten gerutscht.
Woran liegt das?
Aus meiner Sicht nicht an der Qualität der dualen Ausbildung.
Sondern?
An dem überdurchschnittlichen Drang, auf ein Gymnasium und später an eine Hochschule gehen zu wollen. Die Anzahl derer, die Abitur machen in einem Jahrgang, ist in den vergangenen zehn Jahren um sechs Prozent gestiegen – auf fast 44 Prozent im Landesdurchschnitt.
Was bedeutet das für die Qualität, wenn es so viele Heranwachsende aufs Gymnasium zieht?
Dass die Entwicklung nicht förderlich ist im Sinne der Qualität, ist klar. Allerdings kann ich nicht erkennen, dass die Qualität der Abiturienten in Baden-Württemberg drastisch gesunken ist. Wir haben einen relativ konstanten Abi-Schnitt von 2,4.
Seit 2013 ist die Zahl der Studienanfänger höher als die der neuen Lehrlinge. Wo liegen denn die Ursachen für den Akademisierungswahn?
Eltern wollen grundsätzlich das Beste für ihr Kind. Für ganz viele von ihnen gilt das Abitur heute als optimale Grundvoraussetzung, um alle Optionen offenzuhalten.
Ist also der Ehrgeiz der Eltern schuld?
Nein. Die Eltern sind sicher nicht alleine schuld. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Wir sehen durchaus auch bei Unternehmen zunehmend den Drang, bei Bewerbern für eine Berufsausbildung häufig denjenigen mit dem höheren Abschluss zu wählen. Die nehmen dann lieber den Abiturienten, der zweimal sitzen geblieben ist, als den Realschulabgänger, der seinen Abschluss gut und in der Zeit gemacht hat. Damit senden sie die Botschaft: Ohne Abitur hat man auf dem Ausbildungsmarkt schlechtere Chancen. Das ist etwas, das niemanden zufriedenstellen kann – auch die Unternehmen nicht.
Viele Betriebe beklagen aber, dass Bewerber die Anforderungen nicht erfüllen.
Unsere Aufgabe als Kultusministerium ist es, die Ausbildungsfähigkeit analog zu den einzelnen Schulabschlüssen zu gewährleisten. Wir wissen, dass wir da nachbessern müssen, was die Qualität angeht. Da sind wir auch dran.
Die duale Ausbildung wird weltweit bewundert und gilt als wesentlicher Faktor für eine geringe Jugendarbeitslosigkeit. Trotzdem wird sie hierzulande immer weniger wertgeschätzt. Welchen Anteil hat die Politik daran?
Die Politik hat als Gestalter sicher einen Anteil. Die Akademisierungsquote war in internationalen Studien über viele Jahre der zentrale Maßstab für Bildungsqualität. Ich glaube, das hat uns beeindruckt und zu falschen Signalen verleitet. Dabei haben wir mit dem dualen System ein Alleinstellungsmerkmal auf höchstem Niveau. Es wird deshalb Zeit, dass wir vom bildungspolitischen Ansatz her alle Schulabschlüsse wieder gleichermaßen wertschätzen. Wir müssen deutlich machen, dass nicht jeder das Abitur braucht und dass kognitive und handwerkliche Begabungen absolut gleichwertig sind.
Was sich aber meistens nicht in den Verdienstmöglichkeiten spiegelt.
Mit dem Kopf statt mit den Händen zu arbeiten bietet nicht zwingend die Grundlage, dass man finanziell besser dasteht. Den Beweis, dass ein promovierter Kulturwissenschaftler auf dem Arbeitsmarkt mehr nachgefragt ist und besser verdient als zum Beispiel ein Schreinermeister, muss man mir erst noch erbringen.
Trotzdem suchen gerade Handwerksbetriebe händeringend Nachwuchs – doch der studiert lieber.
Ich will überhaupt niemanden davon abhalten, Abitur zu machen und ein Hochschulstudium anzustreben. Aber die hohe Zahl an Studienabbrechern zeigt, dass offensichtlich in großem Maße falsche Entscheidungen getroffen werden. 44 Prozent derer, die ein Studium abbrechen, absolvieren danach eine Ausbildung. Es wäre wertvoll, wenn dieser Personenkreis sich schon gleich nach Schulabschluss für den für sich richtigen Weg entscheidet. Das erspart eine Menge Frustration.
Was führt dazu, dass zuerst falsch abgebogen wird?
Es fehlt an Orientierung. Viele studieren halt irgendwas, weil sie nicht genau wissen, was sie werden wollen. Aus dem gleichen Grund geht eine nicht unbeträchtliche Zahl an Realschulabsolventen auf ein allgemeinbildendes oder ein berufliches Gymnasium. Und das, obwohl sie angesichts der vielen freien Lehrstellen durchaus die Möglichkeit hätten, eine duale Ausbildung zu beginnen. Wir haben in Deutschland rund 330 anerkannte Ausbildungsberufe. Das ist eine unglaubliche Vielfalt. Aber viele wissen nicht um die unterschiedlichen Wege jenseits des Abiturs und die Bandbreite an Optionen. Wir stellen auch immer wieder fest: Viele haben noch antiquierte Berufsbilder in ihren Köpfen.
Inwiefern?
Der technologische Fortschritt und die Digitalisierung haben Berufsbilder verändert und werden sie weiter verändern. Aus dem Mechaniker ist zum Beispiel der Mechatroniker geworden. Aber das zieht sich auch durch viele andere Bereiche. Eine Lehre zu absolvieren bedeutet nicht, dass man zwingend sein ganzes Berufsleben das Gleiche macht. Wir stellen immer wieder fest: Die Kenntnis, dass das duale System durchlässig ist, man sich weiterbilden und weiterentwickeln kann – bei einem besonders guten Abschluss bis hin zu einem Studium –, ist nicht weit verbreitet.
Wie wollen Sie das ändern?
Das ist ein Prozess. Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung umzukehren und beide Ausbildungsarten wieder ins Gleichgewicht zu bringen, ist nicht einfach. Da gibt es keinen Hebel, den Sie einfach umlegen können. Da reicht ein Jahr KMK-Präsidentschaft natürlich auch nicht aus. Zumal es eine Aufgabenstellung ist, die alle gemeinsam haben: Politik, Eltern, Schulen und Unternehmen. Mit unserem Bildungskongress am Mittwoch und beim Treffen der Kultusminister am Donnerstag und Freitag rücken wir das Thema ins Bewusstsein. Und in Baden-Württemberg haben wir zuletzt auch bereits konkrete Schritte unternommen.
Welche?
Wir haben die berufliche Orientierung als Leitperspektive in unserem Bildungsplan verankert. Wir haben als einziges Bundesland das Fach Wirtschaft in allen weiterführenden Schulen im Bildungsplan etabliert. Und wir bauen mit Unternehmen, Industrie- und Handwerkskammern und anderen Partnern Bildungspartnerschaften auf, in deren Rahmen Schülerinnen und Schüler von Gleichaltrigen authentisch vermittelt bekommen, welche beruflichen Möglichkeiten es gibt und welche Chancen eine Ausbildung für sie bietet.