Beate Heinicke hat ein Herz für Kinder. Foto: Nina Ayerle

Die ehrenamtliche Helferin Beate Heinicke bringt den Kindern an der Römerschule seit neun Jahren Lesen bei. Die Kinder schätzen ihre Zuverlässigkeit und ihre strenge Art. Denn gutes Benehmen ist in den Lesekursen von Heinicke Pflicht.

S-Süd - Viermal pro Woche ist Beate Heinicke als freiwillige Helferin an der Römerschule im Lehenviertel im Einsatz. Nur ganz selten fehlt sie – in neun Jahren war sie insgesamt nur acht Mal nicht da. „Die Kinder schätzen es, wenn jemand zuverlässig und pünktlich auf sie wartet“, sagt die 72-Jährige.

Bis vor knapp zehn Jahren kannte Heinicke die Schule nicht, obwohl sie nur sieben Fußminuten entfernt wohnt. Damals ging die gelernte Apotheken- und Arzthelferin in Rente. Ihr letzte Stelle im Robert-Bosch-Krankenhaus hatte sie viel Anstrengung gekostet. „Ich habe dort auf meiner Station alles in Ordnung gebracht, was nicht in Ordnung war“, beschreibt sie ihr Aufgabengebiet als Abteilungssekretärin. Vom Organisieren und dem Umgang mit Kranken hatte sie daher erst einmal genug.

Die gelernte Sprecherzieherin bringt Kindern lesen bei

Doch mit ihrem wohlverdienten Ruhestand war es dann schneller vorbei als gedacht. Schuld daran war eine Begegnung mit einer Klasse der Römerschule und der Schulleiterin Ursula Franke auf dem Fangelsbachfriedhof. Ein Freitagnachmittag sei das gewesen, das weiß Heinicke genau. Wie sie sich überhaupt an alles exakt erinnert. „Ich habe ein gutes Gedächtnis“, sagt sie. Deshalb weiß sie auch noch, wie sie zur Schulleiterin gesagt habe: „Das sind aber nette Kinder.“ Daraufhin seien sie ins Gespräch gekommen – und am darauffolgenden Montag war Heinicke als ehrenamtliche Helferin an der Schule engagiert.

Seitdem ist Beate Heinicke Lesepatin an der Römerschule. Wobei ihr eines wichtig ist: „Ich lese nicht vor, ich lehre das Lesen und Sprechen.“ Und sie fügt nebenbei an: „Ich habe mal Sprecherziehung gelernt.“

Mittlerweile unterrichtet sie acht Stunden in der Woche, teilweise ehrenamtlich, teilweise bezahlt. „Das Schulamt hat inzwischen gemerkt, dass man ohne uns Freiwillige nicht auskommt“, sagt Heinicke. Zwölf Kinder betreut die 72-Jährige in diesem Jahr, im vergangenen waren es sogar 20. Auch wenn die Gruppe größer wäre, „würde ich das trotzdem machen“, sagt sie.

Lesen wie ein Roboter

Heinicke ist zwar keine ausgebildete Lehrerin, doch sie hat sich ihre eigenen Methoden gesucht, mit denen sie den Kindern Lesen und Schreiben beibringt. „Ich mache das eher spielerisch“, erzählt sie. Manchmal denkt sie sich Lieder für die Kinder aus, in denen zum Beispiel die Buchstaben „Ö“ oder „Ä“ vorkommen, dann dürften die Kinder einen Text immer zuerst in Roboterform lesen und dabei richtig übertreiben. „Das macht ihnen Freude, dann geht es beim zweiten, richtigen Lesen viel besser“, so ihre Erfahrung. Mit dieser Methode habe sie großen Erfolg, berichtet Heinicke.

Die Römerschule befindet sich in der Nähe des Marienplatzes, wo Menschen aus sehr unterschiedlichen Ländern wohnen. Viele Kinder brauchen deshalb zusätzlichen Förderunterricht, damit sie die deutsche Sprache verstehen und lesen können. „Wie soll denn eine anatolische Mutter ihrem Kind dabei helfen?“, fragt Beate Heinicke.

Ihre Aufgabe an der Römerschule macht die Lesehelferin deshalb so gerne, weil sie selbst ein so großes Verständnis für Kinder mit Migrationshintergrund hat. „Ich beurteile jeden gleich und nicht danach, wo er herkommt“, sagt sie. Das, so glaubt sie, spürten die Kinder.

Beate Heinicke hat ihre eigenen Erfahrungen gemacht mit dem Fremdsein in einem Land: Sie ist in der DDR aufgewachsen, bereits mit zwölf Jahren wollte sie nach Westdeutschland fliehen. Gemeinsam mit ihrer Mutter habe sie akribisch alle erdenklichen Situationen eingeübt, die auf der Flucht passieren könnten, sagt sie. „Ich glaube, deswegen war ich besser vorbereitet als alle anderen.“ Im Jahr 1960 – sie war gerade volljährig geworden – gelang ihr dann die Flucht nach Westberlin. Von Berlin flog sie nach Frankfurt am Main, von dort ging es weiter nach Stuttgart.

Fremdsein in einem Land ist Heinicke nicht fremd

Nach einer kurzen Phase des Glücks war Beate Heinicke mit dem konfrontiert, was sie eigentlich hinter sich lassen wollte: nicht dazuzugehören, sich ausgeschlossen zu fühlen. Dennoch war sie in Stuttgart glücklicher als in der DDR – allerdings ist sie bis heute bei vielen Menschen ihrer Generationen immer noch „die von drüben“. „Das tut manchmal schon weh“, gibt sie zu. Deshalb habe sie es sich zur Maxime gemacht, jeden so zu behandeln, wie sie auch behandelt werden möchte. Und darauf achtet Beate Heinicke auch bei den Kindern, die sie betreut. Sie möchte, dass ihre Schüler diese Werte auch leben – und dass sie gutes Benehmen lernen.

Während Beate Heinicke das alles im Schulflur erzählt, erinnert sie einen Schüler daran, die Toilettentür zu schließen, einen anderen fragt sie, ob er sich die Hände gewaschen hat, und ein Mädchen macht sie darauf aufmerksam, dass eine Dame nicht die Nase hochzieht. Und tatsächlich: die Kinder gehorchen ihr.

„Kinder mögen es, wenn man ihnen Grenzen setzt“, sagt Beate Heinicke. „Ich bin hier die Bestimmerin“, sage sie immer zu den Kindern. „Die finden das lustig und halten sich deshalb dran.“