Immer mehr Flüchtlinge reisen auf illegalen Wegen und unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Deutschland ein. Den Schleusern ist es dabei egal, ob es sich um Kinder handelt Foto: dpa

Immer mehr Menschen kommen mit Hilfe von Schleusern in die Region und ins Land. Die Bedingungen sind laut Polizei oft menschenunwürdig. Sie geht deshalb verstärkt gegen die Banden vor.

Stuttgart - Der Zustrom reißt nicht ab. Am Stuttgarter Hauptbahnhof ist die Polizei allein in den ersten beiden Januarwochen schon wieder auf Dutzende Flüchtlinge gestoßen, die offenbar mit Zügen illegal aus anderen EU-Ländern eingereist sind. Manche haben selbst auf sich aufmerksam gemacht, andere wollten eigentlich weiter in die Niederlande oder nach Skandinavien und sind bei Kontrollen ertappt worden.

Im vergangenen Jahr ist die Bundespolizeidirektion Stuttgart, die für Baden-Württemberg zuständig ist, im Land auf 8900 illegal eingereiste Flüchtlinge gestoßen. 2013 sind es nur 2800 gewesen. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Eritrea, dem Kosovo, Gambia und Afghanistan. Gleichzeitig sind 138 Schleuser festgenommen worden. Eine Steigerung um 70 Prozent.

„Wir legen unseren Schwerpunkt auf die Verfolgung der rücksichtlosen Schleuserorganisationen“, sagt Sprecherin Cora Thiele. Die brächten die Asylsuchenden unter teils „menschenverachtenden und lebensgefährlichen Bedingungen“ über die Grenzen. Und kassieren dabei mächtig ab. Die Polizei berichtet von Summen zwischen einigen Hundert und mehreren Zehntausend Dollar. Für den Preis opfern die oft ohnehin bettelarmen Flüchtlinge ihre gesamte Habe oder verpflichten sich zur Arbeit. „Ob die Leute minderjährig oder gar Kinder sind, spielt für die Schleuser keine Rolle“, so Cora Thiele.

64 Flüchtlinge im ICE aus München

Die Zahl der erschütternden Fälle nimmt zu. Anfang September mussten Polizei, Feuerwehr, Rotes Kreuz und die Bahn am Stuttgarter Hauptbahnhof ein Notlager mit Feldbetten einrichten. Zuvor waren die Beamten in einem ICE aus München auf 64 Flüchtlinge gestoßen. Auf der A 96 bei Wangen im Allgäu entdeckten Fahnder Ende Oktober auf der Ladefläche eines Transporters 22 Syrer – darunter zwölf Kinder. Sie sollten auf diese Weise bis nach Skandinavien gebracht werden. Eine Bäckerei lieferte noch in der Nacht Backwaren, eine Klinik Säuglingsnahrung, um die Leute zu versorgen.

Alle Flüchtlinge, auf die die Polizei in Baden-Württemberg stößt, werden zur Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe gebracht. Dort beantragen sie Asyl. Wenn sie wie so viele allerdings aus einem anderen EU-Land eingereist sind, müssten sie im Zuge des Dublin-Abkommens eigentlich dorthin zurück überstellt werden und dort ihren Antrag bearbeiten lassen.

Experten gehen davon aus, dass mindestens ein Drittel der Asylbewerber im Land auf illegalem Weg aus anderen EU-Staaten eingereist ist. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist der offizielle Anteil dieser Fälle zuletzt zwischen 16,6 und 22,5 Prozent geschwankt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Viele davon sind über Italien eingereist. „Auf ihrem Weg nach Deutschland nutzen Schleuserorganisationen nahezu jedes Verkehrsmittel“, weiß Bundespolizeisprecherin Thiele. Viele Flüchtlinge sitzen in Zügen, andere in Schiffen, Autos, Bussen, Flugzeugen oder gehen zu Fuß. Sie haben zumeist keine Ausweise oder nur gefälschte Dokumente bei sich.

In Zügen aus Italien "trilaterale" Streifen unterwegs

Gegenmaßnahmen sind schwierig. „Es handelt sich um ein gesamteuropäisches Problem. Das wollen die EU-Innenminister auf übergeordneter Ebene angehen“, sagt Lisa Häger vom Bundesinnenministerium. Speziell mit Italien gebe es Gespräche. Nur dabei will man es aber nicht belassen. Seit November sind in Zügen aus Italien sogenannte trilaterale Streifen unterwegs. Polizeibeamte aus Deutschland, Österreich und Italien überprüfen gemeinsam die Bahnreisenden Richtung Norden, vorwiegend noch vor dem Brenner. „Mittlerweile werden fünf von sechs Zügen kontrolliert“, sagt Lisa Häger. Flüchtlinge, die erwischt werden, müssen noch in Italien die Züge verlassen oder werden nach Grenzübertritt in den nächsten Zug zurück gesetzt.

Auch in Baden-Württemberg sind die Kontrollen zuletzt erheblich verschärft worden. In erster Linie, betont die Bundespolizei, um den Asylsuchenden zu helfen: „Wir wollen weitere Schleusungen verhindern, den Organisationen das Handwerk legen sowie die Menschen, die in deren Fänge geraten, vor Schlimmerem bewahren und sie aus ihrer Illegalität befreien“, sagt Cora Thiele. Die Arbeit dürfte kaum ausgehen.

Hintergrund Strafen für Schleuser

Das sogenannte Einschleusen von Ausländern ist strafbar nach Paragraf 96 des Aufenthaltsgesetzes – allerdings nur, wenn der Schleuser für Geld oder einen anderen Vorteil handelt oder wenn er wiederholt oder „zugunsten mehrerer Ausländer“ tätig geworden ist.

Als Konsequenz drohen den Tätern eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Das gilt im Übrigen auch für die Anstiftung zu einer solchen Tat oder auch nur für die Hilfeleistung dabei. Die eingeschleusten Menschen selbst können ebenfalls belangt werden, in der Praxis wird aber meist darauf verzichtet – außer wenn ihr Tatbeitrag erheblich ist, sie den Schleuser beispielsweise selbst zur Tat angestiftet haben.

Das Gesetz sieht noch eine zweite Stufe mit höheren Strafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren vor. Die kommt zur Anwendung, wenn der Schleuser gewerbsmäßig handelt, zu einer einschlägigen Bande gehört, bei der Tat bewaffnet ist oder den Geschleusten „einer das Leben gefährdenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt“. Strafbar ist auch schon der Versuch einer Schleusung. (jbo)