Gertrud Hetzler, Übungsleiterin des DRK, hält hochbetagte Senioren mit Gymnastikübungen fit. Foto: Isabelle Butschek

Das Deutsche Rote Kreuz bietet aktivierende Hausbesuche für Hochbetagte an. Eine Übungsleiterin macht mit Senioren ein bisschen Gymnastik.

Stuttgarter Norden - Es sind die einfachen Dinge, die mit den Jahren anstrengend werden. Am Morgen war die Mitarbeiterin der Diakonie da, um Anna Müller zu duschen. Danach musste sich die 89-Jährige erst einmal auf dem Sofa ausruhen. Jetzt ist es halb zwölf, Zeit für die Gymnastik. „Heut’ ist nichts mit mir los“, sagt die betagte Seniorin und schlurft in die Küche, um ihren Frühstückskaffee auszutrinken. Der ist ihr noch gegönnt, „dann ziehen sie aber ihre Hörgeräte an, damit es losgehen kann“, ruft ihr Gertrud Hetzler hinterher.

Seit März kommt die Übungsleiterin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zu Anna Müller, die eigentlich anders heißt, um mit ihr im Rahmen des aktivierenden Hausbesuchs ein bisschen Gymnastik zu machen. Denn Anna Müller möchte fit bleiben. „Naja: fit mit Fragezeichen. Zumindest soll es nicht schlechter werden.“ Trotz Schulterarthrose, Rückenproblemen, einer altersbedingten Erkrankung des Auges und Schwerhörigkeit ist es ihr großes Ziel, in der eigenen Wohnung zu leben und nicht ins Pflegeheim ziehen zu müssen. Deswegen hat sie sich eine Putzfrau besorgt, trägt den roten Knopf für den Hausnotruf ums Armgelenk und bekommt jede Woche Besuch von Gertrud Hetzler. Von dem Angebot des aktivierenden Hausbesuchs hat sie über ein Flugblatt erfahren. Und sich sehr darüber gefreut. „Früher bin ich immer zur Gymnastik ins Gemeindehaus“, erzählt Anna Müller. Aber die ist ihr mittlerweile zu anstrengend geworden. Jetzt macht sie so gut mit, wie sie eben kann.

Übungen mit dem Tennisball zum Aufwärmen

Am Anfang legt Gertrud Hetzler der sitzenden Seniorin einen Tennisball vor die Füße. Den rollt sie hin und her – und bewegt dadurch ihr ganzes Bein, ohne es wirklich zu merken. „Deswegen nehme ich den Tennisball immer zum Aufwärmen“, sagt Gertrud Hetzler, die eine ausgebildete Übungsleiterin für Seniorengymnastik ist. Wie es dann weitergeht, kommt ganz drauf an. „Ich versuche in der Stunde, den ganzen Körper zu bewegen“, sagt die 59-Jährige. Mal muss Anna Müller die Arme nach oben nehmen und sich hin und her drehen, dann werden Übungen mit den Fingern gemacht, später kommt noch ein Ball zum Einsatz. Den muss Anna Müller zum Beispiel mit den Fingern zusammendrücken. „Damit werden die Arme gekräftigt, aber meine Damen empfinden das so nicht. Wenn ich eine Hantel mitbringen würde, würden sie sich wahrscheinlich weigern“, sagt Gertrud Hetzler, die insgesamt zwei Seniorinnen besucht. Teil der Gymnastik sind immer auch Atemübungen. „Dadurch werden die Lungen besser durchblutet. Das sorgt dafür, dass sie eine Lungenentzündung besser verkraften – und die bekommt jeder alte Mensch irgendwann einmal.“

Wie intensiv die Gymnastik ist, bestimmten die Teilnehmer selbst. „Jetzt brauch’ ich ein Päusle“, sagt Anna Müller. „Möchten Sie etwas trinken?“, fragt Gertrud Hetzler, die sehr darauf achtet, ihre Seniorinnen immer wieder an die Flüssigkeitszufuhr zu erinnern. Frau Müller möchte, und Gertrud Hetzler bringt ihr ein Glas aus der Küche. „Selbst aufstehen darf sie während der Gymnastik nicht. Denn sie hat nur Socken an, und da ist die Sturzgefahr zu groß“, erläutert die Übungsleiterin. Während der Pausen schwätzen die beiden miteinander – übers Kochen, über den Alltag, über das Befinden. Dieser persönliche Kontakt ist übrigens auch ein wichtiger Teil des aktivierenden Hausbesuchs. „Wir haben schon lange beobachtet, dass sich sehr hochbetagte Menschen oft zurückziehen und keinen sozialen Anschluss mehr haben“, sagt Anja Schwarz, Projektleiter für die aktivierenden Hausbesuche beim DRK. Gleichzeitig gab es auch das Phänomen, dass diese Senioren irgendwann keine Gymnastikangebote des DRK mehr besuchen, weil der Weg dorthin zu beschwerlich ist. „Mit den aktivierenden Hausbesuchen möchten wir nun die Lücke schließen“, erläutert Schwarz.

Projekt soll ausgedehnt werden

In Tübingen wurde diese Form der ambulanten Altenhilfe erprobt und evaluiert, mittlerweile wird sie in vielen Landkreisen Baden-Württembergs angeboten. Momentan kümmern sich zwölf Übungsleiter um 20 Kunden, die alle älter als 85 Jahre sind. „Wir bauen die aktivierenden Hausbesuche langsam auf, weil uns die Qualität sehr wichtig ist“, sagt Schwarz. Mit dem bisherigen Verlauf ist die Diplom-Sozialpädagogin mehr als zufrieden. „Es gibt einige Kunden, bei denen sich die ersten Erfolge einstellen.“ Diese Erfahrung hat auch Gertrud Hetzler gemacht: „Eine Kundin hat mir erzählt, dass sie jeden Tag ein paar Übungen macht, weil sie ihr wirklich gut tun.“ Welche Ziele sich die Kunden setzen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. „Einer möchte sich wieder eigenständig die Schuhe zubinden können, eine andere ohne Rollator laufen“, sagt Anja Schwarz.

Das Deutsche Rote Kreuz möchte das Projekt ausdehnen, will aber zunächst noch weitere Übungsleiter ausbilden. Zudem ist die Finanzierung nicht gesichert. Damit die Kosten kein Hindernisgrund sind, werden diese sehr niedrig gehalten. Fünf Euro müssen die Teilnehmer pro Stunde zahlen. Die Übungsleiter bekommen eine Pauschale, der hohe Fehlbetrag wird momentan vor allem durch Spenden aufgefangen. Anna Müller zahlt ihren Beitrag gerne: „Auch wenn ich dafür geplagt werde“, sagt sie und lacht.