Erst offenbarte der US-Sprinter Tyson Gay (links), positiv auf ein Doping-Mittel getestet worden zu sein. Wenig später wurde bekannt, dass fünf Jamaikaner entlarvt wurden - angeführt vom ehemaligen 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell (rechts). Foto: AP/dpa

Die Nachrichten kamen im Eiltempo. Erst offenbarte der US-Sprinter Tyson Gay, positiv auf ein Doping-Mittel getestet worden zu sein. Wenig später wurde bekannt, dass fünf Jamaikaner entlarvt wurden - angeführt vom ehemaligen 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell.

Frankfurt/Main/Düsseldorf - Doping-Enthüllungen ungeahnten Ausmaßes erschüttern die internationale Leichtathletik. Wenige Stunden nach der Offenbarung von US-Sprinter Tyson Gay, positiv getestet worden zu sein, raste die Nachricht um die Welt, dass auch der ehemalige 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell und seine jamaikanische Teamkollegin Sherone Simpson in die Kontroll-Falle gerast.

„Ich bestätige, dass eine Probe, die ich bei den nationalen Leichtathletik-Meisterschaften im Juni abgegeben habe, einen positiven Befund hatte“, hieß es in einer am Sonntag verbreiteten Erklärung von Powell. Ähnlich äußerte sich Sherone Simpson, die bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen mit der jamaikanischen Sprint-Staffel Gold gewonnen hatte. Beide gaben auch bekannt, dass in ihren Proben das Doping-Stimulanzmittel Oxilofrin gefunden wurde.

Der 30-jährige Powell versicherte zudem, dass er „weder wissentlich noch vorsätzlich Ergänzungsmittel oder Substanzen eingenommen hat, deren Einnahme gegen Regeln verstoßen“. „Ich habe niemals zuvor und auch jetzt nicht betrogen“, sagte Powell. Er konnte sich bei der jamaikanischen Ausscheidung als Siebter über 100 Meter nicht für die Weltmeisterschaften in Moskau (10. bis 18. August) qualifizieren. Auch Simpson wies zurück, absichtlich gedopt zu haben. „Die Beiden sind am Boden zerstört“, sagte ihr Manager Paul Doyle. „Ich bin optimistisch, dass ihre Namen wieder gereinigt werden.“

Nach mehreren Medienberichten soll auch Staffel-Olympiasieger Nesta Carter zu insgesamt fünf positiv getesteten Spitzenathleten aus Jamaika gehören. Das berichten unter anderem der britische „Telegraph“, CBS und jamaikanische Quellen. Bei den weiteren beiden Athleten soll es sich nach dpa-Informationen um Werfer handeln.

Powell war 2008 mit Jamaikas Staffel Olympiasieger über 4 x 100 Meter geworden. Er hielt den Weltrekord ehe er von Landsmann Usain Bolt abgelöst wurde. Unterdessen versicherte Bolts Manager, dass sein Athlet nicht zu den fünf positiv getesteten jamaikanischen Sprintern gehöre. Sherone Simpson gewann 2004 mit Jamaikas Frauen über 4 x 100 Meter Olympia-Gold und holte vergangenes Jahr in London olympisches Staffel-Silber.

Der Doping-Paukenschlag begann mit dem Geständnis von Tyson Gay

Der spektakuläre Doping-Paukenschlag vier Wochen vor den WM begann mit dem Geständnis von Tyson Gay, das WM-Titelduell mit Bolt wegen eines positiven Tests absagen zu müssen. Der schnellste Mann über 100 Meter in diesem Jahr bestätigte in einer Telefonkonferenz, dass er bei einer Trainingskontrolle am 16. Mai positiv auf eine verbotene Substanz getestet worden sei. „Ich komme nicht mit einer Sabotage-Theorie. Fakt ist vielmehr, dass ich Leuten vertraut habe, die mich nun hängengelassen haben“, sagte Gay.

Die Anti-Doping-Agentur der USA (USADA) begrüßte, wie Gay „mit der Situation“ umgehe. Zudem kündigte die Agentur an, die Analyse der B-Probe in Kürze vorzunehmen. Welches verbotene Mittel zum positiven Testergebnis geführt hat, blieb zunächst offen.

Die ersten Reaktionen auf das Doping-Beben reichten von Ungläubigkeit bis Unverständnis. „Das ist eine Hammer-News“, sagte Julian Reus, der deutsche Meister über 100 und 200 Meter, dem TV-Sender Sky Sport News HD. „Wir sind schockiert und entrüstet. Für die Leichtathletik und den Männer-Sprint im Besonderen ist das eine große Belastung. Damit werden im Grunde alle Spitzenleistungen infrage gestellt. Da sind Zweifel angebracht“, sagte Helmut Digel, Councilmitglied des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. „real???? Echt??? Wirklich??“, twitterte Deutschlands Weitsprung-Ass Sebastian Bayer.

Gay hatte bei den US-Trials mit 9,75 Sekunden über 100 Meter und 19,74 Sekunden über 200 Meter aufhorchen lassen. Er galt als ernsthafter Herausforderer für Jamaikas Sprint-König Usain Bolt, für den der Weg zum WM-Gold nun frei zu sein scheint. Zuvor hatte bereits dessen Landsmann und Titelverteidiger Yohan Blake verletzungsbedingt passen müssen. Der 30 Jahre alte Gay will die B-Probe zwar schnellstmöglich öffnen lassen, hat seinen Start bei den Titelkämpfen vom 10. bis 18. August in Moskau aber bereits abgesagt. Die amerikanische Anti-Doping-Agentur (USADA) hatte den dreifachen Weltmeister von 2007 schon am Freitag über das positive Ergebnis der Dopingprobe informiert. Um welche Substanz es sich handelt, verriet Gay nicht.

Der IAAF liegen noch keine detaillierten Informationen über den spektakulären Fall vor. „Deshalb kann man jetzt weder etwas über die Schwere des Vergehens noch über die eingenommene Substanz sagen“, erklärte Digel. Fest stehe dagegen, dass das Ansehen der Leichtathletik darunter leide. „Wir haben Probleme genug. Das ist ein Ärgernis für die WM“, meinte Digel und fügte hinzu: „Entscheidend ist aber, dass dieser positive Test vor der WM aufgedeckt wurde.“

Gay war in dieser Saison fit und gesund auf die Bahn zurückgekehrt, nachdem er in den vergangenen Jahren wegen Bänder- und Muskelbeschwerden sowie einer Hüftoperation den Anschluss an die Weltspitze verloren hatte. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London reichte es für den Amerikaner lediglich zu Silber mit der US-Staffel über 4 x 100 Meter.

Umso erstaunlicher geriet sein Comeback in dieser Saison. „Die Zeit gibt mir das Selbstvertrauen, dass ich jeden schlagen kann“, tönte er nach seiner Weltjahresbestleistung über 100 Meter Mitte Juni bei den US-Meisterschaften in Des Moines/Iowa. Einen Monat später steht Gay am Pranger und möglicherweise vor dem Karriereende.