Christian Gerhaher (re.) als Don Giovanni, Björn Bürger als Masetto Foto: Rittershaus

Christian Gerhaher gibt den Titelhelden extrem einsam und melancholisch in der Inszenierung von Mozarts Oper „Don Giovanni“ an der Oper Frankfurt: denkwürdig in mehrfacher Hinsicht.

„Du weißt wohl, wie sehr ich dich liebte“, singt Donna Anna: beschwichtigende Worte, gerichtet an den Verlobten Don Ottavio, der an das große Gefühl nicht mehr glauben will. Der Satz, von Mozarts feinem Textdichter Lorenzo da Ponte mit Hintersinn im Präteritum notiert, spricht für sich. Die Liebe ist Vergangenheit. Heute denkt Donna Anna an Don Giovanni und an ihren Vater, den der Frauenheld ermordete.

Und dennoch: „Du kennst meine Treue“, singt Brenda Rae am Sonntag in der Oper Frankfurt, sie singt mit Hingabe und ganz reinen leisen Höhentönen. Plötzlich aber geht das Licht an, eine Lautsprecher-Stimme fordert das Publikum auf, unverzüglich das Haus zu verlassen. Die Sopranistin unterbricht verwirrt, tröstend umarmt sie Don Ottavio (Martin Mitterrutzner), und durch das Foyer hindurch schieben sich die Massen hinaus auf den Willy-Brandt-Platz.

Feuer? Eine Bombe? Oder ein Regietheater-Einfall in der Tradition des epischen Theaters, wie ihn Peter Konwitschny in seinen besten Zeiten hätte wagen können?

Von wegen. Christof Loy hat in Frankfurt den „Don Giovanni“ inszeniert, und: Fehlalarm, heißt es, als die Zuschauer wieder auf ihren Plätzen sitzen. Intendant Bernd Loebe spricht vor dem Vorhang von einem „sich verselbstständigenden technischen Defekt mit unklarer Ursache“, und so wird nicht nur die Rezensentin, die durch eine Verspätung der Bahn den ersten Akt verpasst, diesen Abend als denkwürdig in Erinnerung behalten.

Daran ist Christof Loy nicht unbedingt schuld, denn er hat Mozarts Oper schlicht ordentlich nacherzählt. Viele Aspekte und Figuren – vor allem die drei Frauen – bleiben aber unterbelichtet. Und wirklich zwingend setzt Loy die Verbindung zwischen einer Anfangsszene, in der Don Giovanni mit dem Komtur ein Spiegelbild seiner selbst umbringt, und dem zweiten Finale, in dem Statisten aus einem Don Giovanni und einem Komtur vier gleich gewandete Pärchen machen, nicht ins Bild.

Dass sich diese Paare im Finale mit Degen bekämpfen, bis je einer der beiden tot umfällt und im nächsten Augenblick doch den Kampf munter wieder aufnimmt, ist eine jener Ideen, die sich bei der Beschäftigung mit der ewig untoten Figur des Don Juan immer wieder aufgedrängt haben. Und überhaupt ziehen in dieser postmodern anmutenden Frankfurter Inszenierung bekannte Chiffren und Assoziationen zum Thema vorbei. Das beginnt bei Johannes Leiackers Bühne, die zu Beginn und am Ende in einem weiten, zwischen Außen- und Innenansicht changierenden Raum spielt.

Im zweiten Akt ist das Geschehen vor einem Bretterverschlag mit wechselnd geöffneten Türchen und Fensterchen nach vorne verschoben, und zu sehen ist ein Spiel mit Ähnlichkeiten: Don Giovanni gleicht dem Komtur, aber ein wenig auch seinem Diener Leporello (Simon Bailey). Der Lüstling ist lebensmüde geworden und schleppt sich, während hinter ihm verzweifelt und einsam die verlassene Gattin Donna Elvira (Juanita Lascarro) trauert, am Stock hin zur finalen Höllenfahrt.

Christian Gerhaher gibt den Don Giovanni extrem einsam und melancholisch. Das stimmlich leicht Verschattete, die Sehnsucht nach Schönheit, der tiefe Ernst des Sängers, sein betont intellektueller Umgang mit gestalterischen Details, dazu die Präzision und Unbedingtheit eines Liedsängers, der auch Opernnummern stets als szenische Konzentrate versteht: All dies passt haargenau zu der Art, wie der Regisseur den Don Giovanni sieht. Von Gerhaher muss man an diesem Abend wieder tief berührt sein, und am Pult des Opern- und Museumsorchesters tut Frankfurts Generalmusikdirektor Sebastian Weigle alles, um diesen Eindruck zu befördern. Weigles Tempi sind in der Regel recht langsam, aber der Dirigent findet für jede Arie und jedes Ensemble den passenden, charakteristischen Ton, und oft nimmt er ganz bewusst die Lautstärke zurück.

So feiert das Publikum am Ende frei nach Lorenzo da Ponte das Ende dessen, der Böses tat – und den Abschluss eines in mehrfacher Hinsicht denkwürdigen Abends.

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