Palliativ-Mediziner Dietmar Beck im Diakonie-Klinikum Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Wer entscheidet, wie ich sterbe? Kann die heutige Medizin ein qualvolles Ende verhindern? Darauf gibt der Stuttgarter Palliativ-Mediziner Dietmar Beck Antworten. Er sagt auch: „Es bleibt eine kleine Gruppe, denen man nicht in ausreichendem Maße helfen kann.“

Stuttgart - Gibt es einen schönen Tod?
Ja, dann, wenn einer lebenssatt und in reifem Alter zufrieden auf sein Leben zurückblicken kann. Und dann entweder einen schnellen Tod erleidet oder aber Abschied nehmen kann und ohne Leid stirbt. Rita Süssmuth hat dies einmal gut auf den Punkt gebracht: Sie will gesund, spät und plötzlich aus dem Leben gehen. Aber dies kommt nur bei etwa fünf Prozent aller Fälle vor.
Mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland sterben nach einer schweren Krankheit – qualvoll?
Qualvoll muss nicht. Mit einer guten psychosozialen und medizinischen Betreuung können die Qualen meistens genommen werden. In Bezug auf die aktuelle Debatte im Bundestag sagen manche, dass eine gute palliative Versorgung in 99,5 Prozent aller Fälle greift. Warum also darüber hinausdenken?
Geben Sie die Antwort.
Weil eben dieser kleine Prozentsatz übrig bleibt und es dieser Sterbehilfedebatte nicht um ein breites Angebot geht, sondern um Einzelfälle, die wir mit unseren guten Möglichkeiten in der Palliativmedizin eben nicht mehr beherrschen.
Was sind das für Möglichkeiten? Der Laie geht davon aus, dass Sie mit Morphium arbeiten und den Patienten in einen Dämmerzustand versetzen.
Das ist eine falsche Vorstellung. Wir fangen mit Medikamenten an, die nicht zur Morphiumgruppe gehören. Selbst eine Ergänzung mit Opiaten bewirkt nicht, dass der Mensch weg tritt, sondern wach wird. Müde machen meistens nur die Schmerzen.
Wie stark haben sich die Möglichkeiten, den Schmerz auszuschalten verbessert?
Stark. Wobei die Opiate weiterhin im Mittelpunkt stehen. Aber diese Opiate haben sich weiterentwickelt. Auch in ihrer Dareichungsform. Inzwischen gibt es Opiate, die man im Mund zergehen lässt oder in die Nase sprüht. Sie wirken fast so schnell wie eine intravenöse Spritze.
Überzeichnet könnte man das sagen: Schnell so ein Opium-Lutschbonbon her, Schmerzen weg, Ende der Diskussion um Sterbehilfe.
Wie gesagt: Es bleibt eine kleine Gruppe, denen man nicht in ausreichendem Maße helfen kann.
Zum Beispiel?
Ich habe einen Patienten mit ALS. Dieser Mann fühlt sich ständig dem Ersticken nah und lebt in Dauerangst.
Wem gehört der Tod – dem Staat oder der jeweiligen Person?
Da argumentiert jeder anders. Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer, sagt: Der Tod ist unverfügbar. Deshalb ist er gegen den ärztlich assistierten Suizid. Aber schon bei EKD-Präses Nikolaus Schneider erleben sie eine Dialektik. Als Ehemann würde er seine Frau in die Schweiz zum Sterben begleiten – als Theologe nicht.
Wie ist Ihre Haltung dazu?
Dass der Tod grundsätzlich unverfügbare Anteile hat, aber eben auch gestaltbare. Nämlich dann, wenn es zu einer Extremsituation kommt und wir einem Patienten bei seinen Dauerqualen nicht mehr helfen können. Es wäre dann der Fall, wenn der Volksmund sagt: So lässt man doch einen Hund nicht sterben.
Haben Sie schon einen assistierten Suizid begangen.
Nein. Aber letztlich fühle ich mich immer dem Patienten verpflichtet.
Sind sie froh über die aktuelle Sterbehilfe-Diskussion im Bundestag?
Sie ist fantastisch. Da man hier endlich ein Tabu bricht.
Sollte das Berufsrecht im Hinblick eines Verbotes des ärztlich assistierten Suizids so bleiben?
Ich glaube, dass mehr Ärzte in Extremfällen diese Möglichkeit nutzen würden, wenn sie keine standesrechtlichen Konsequenzen fürchten müssten.
Die Weltgesundheitsorganisation sagt, 60 Prozent aller Schwerstkranken fehlt eine professionelle Begleitung. Auch in Stuttgart?
In Stuttgart haben wir eine sehr gute Versorgung im medizinischen, palliativen und Hospiz-Bereich.
Die Pfarrerin Margot Käßmann sagt, die Gesellschaft verliere die Geduld mit dem Sterben. Ist die Sterbehilfe-Debatte ein Phänomen dieser Zeit?
Wenn sie es so gesagt hat, dann ist es ihr persönlicher theologischer Standpunkt, den ich aber nicht teile. Denn die Diskussion über Sterbehilfe ist zu oft eine prinzipien-ethische Debatte. Man müsste daher diese Philosophen und Theologen daher mal fragen: Wie viele Patienten mit schwerstem Leiden haben sie schon persönlich erlebt? Wenn es konkret wird, ändert sich der Blickwinkel schnell.
An diesem Dienstag findet im Rathaus so die Podiumsdiskussion „Wer entscheidet, wie ich sterbe?“ statt. Warum sollte man die nicht verpassen?
Weil man dort kontroverse und spannende Dinge erfährt, die das eigene Leben betreffen können. Hier geht es um die existenziellen Fragen am Lebensende, denen man nicht ausweichen kann.