Marcus Ehning reitet auf Priam du Roset durch den Parcours beim CHIO in Aachen – das Schweizer Warmblut ist beschlagen. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Weltmeister Simone Blum und Henrik von Eckermann propagieren das Reiten auf Tieren, die „barhuf“ daherkommen. Ihr Beispiel macht international Schule.

In der Hippologie, also der Wissenschaft vom Pferd, ist eine zentrale Frage noch immer ungeklärt: Wer hat eigentlich das Hufeisen erfunden? Waren es die Kelten, die als Erste Pferde vor einen eisernen Wagen spannten? Waren es die Römer, von denen man weiß, dass sie die Pferde ihrer Reitersoldaten mit Hufeisen versahen? Oder wurden Hufeisen am Beginn des Mittelalters populär, als die streitbaren Ritter das Turnier zu Pferd erdachten, um sich die Zeit zu vertreiben und der Damenwelt zu imponieren?

Wie auch immer. Ohne das Hufeisen ist die Geschichte des Pferdes nicht zu denken – nicht vor den eleganten Kutschen der Könige, nicht im legendären Wagenrennen von „Ben Hur“, schon gar nicht in den Reiterheeren, die lange Zeit das Rückgrat vieler Armeen bildeten, und selbstverständlich nicht im modernen Turniersport, der vor gut hundert Jahren seinen Anfang nahm.

Ohne Hufeisen zum Sieg

Nun allerdings, anno 2023, kommen aus der Weltspitze des Springreitens ernste Signale, die darauf hindeuten, dass die Verwendung von Hufeisen zwar nicht abrupt enden wird, aber führende Profis versuchen mehr und mehr, ihre Pferde ohne Hufeisen an den Start zu bringen, unter anderem, um die so kompliziert gebauten und höchst empfindlichen Hufgelenke zu schonen.

Henrik von Eckermann beispielsweise, Mannschaftsolympiasieger von Tokio 2021 und amtierender Weltmeister, sagt: „Meinen 13-jährigen King Edward aus der belgischen Zucht reite ich schon einige Zeit ohne Hufeisen. Ich spüre, dass sich dieses Pferd, das mich zur Nummer eins der Weltrangliste gemacht hat, ohne Beschlag viel wohler fühlt und besser springt als zu Zeiten, in denen alle vier Hufe beschlagen waren.“ Letzter Beweis: Vorvergangenen Sonntag siegte der 41-jährige Schwede im Großen Preis von Stockholm.

Der Franzose Julien Epaillard, aktuell die Nummer zwei der Weltrangliste hinter von Eckermann, geht noch weiter: „Ich bin jetzt 45 und habe in meiner Karriere eine Menge Fehler gemacht. Selbst wenn ich viele Reitersleute gegen mich aufbringe: Seit drei Jahren laufen alle meine Pferde unbeschlagen. Ich bin mit einer großen Gruppe von Hufschmieden und Tierärzten konfrontiert. Nicht alle sind einer Meinung, aber es war richtig, dass ich diese Diskussion angestoßen habe.“ Er betont ausdrücklich, „barhuf ist kein Allheilmittel“. Er arbeite in Bordeaux mit einer Firma zusammen, die sogenannte Hufschuhe für Sportpferde entwickeln möchte, also praktischen Ersatz für die Hufeisen.

An dieser Stelle kommt Simone Blum aus dem bayerischen Zolling ins Spiel. Im Spätsommer 2018 hat die heute 34-jährige studierte Lehrerin bei den Weltreiterspielen im US-Bundesstaat North Carolina auf ihrer damals elfjährigen Fuchsstute Alice sensationell den WM-Titel gewonnen. Leider verletzte sich Blums bestes Pferd wenig später, verlor nach der EM 2019 in Rotterdam den Anschluss. An diesem Donnerstagabend, in der Pause zwischen den zwei Umläufen des Nationenpreises beim CHIO, wird Simones Stute, die in die Zucht geht, vor 40 000 Zuschauern in Aachen aus dem Sport verabschiedet.

Nicht für jedes Pferd sei „barhuf“ die Lösung

Zur aktuellen Debatte über das Für und Wider die Hufeisen sagt die Ex-Weltmeisterin: „Im letzten Winter haben wir unseren Pferden die Hufeisen abgenommen. Alle Pferde liefen von Anfang an sehr gut, was wir mit einer Wärmebildkamera überprüft haben. Viele Pferde haben uns gezeigt, dass sie ihre neue Situation als entlastend empfinden.“ Aber Simone Blum warnt gezielt vor Euphorie: „Für manche Pferde ist es eine gute Sache, aber nicht für alle! Man braucht einen Plan für jedes einzelne. Wer allerdings glaubt, einen Haufen Geld zu sparen, etwa am Hufschmied, der liegt völlig falsch!“ Regelmäßige Pflege der empfindlichen Hufe bleibe unabdingbar, gerade bei Pferden im Spitzensport – aber selbstverständlich auch bei den Pferden, die „nur“ im Hobby- und Breitensport gehen.

Es wäre also verfrüht, das vor Hunderten, womöglich sogar vor Tausenden von Jahren entwickelte Hufeisen abzuschreiben. Denn wie so oft, steckt auch hier der Teufel im Detail, genauer gesagt im Geläuf auf den wichtigen Turnierplätzen dieser Welt. Denn die große Frage lautet: Sand oder Gras? Also der eigens für den Pferdesport gemischte feine Sand, durchsetzt mit Kunststoffresten? Oder, wie etwa in der Aachener Soers, ein übers Jahr mit enormem Aufwand perfekt gepflegter Rasen, der allerdings rutschig und tückisch wird, wenn’s regnet? Und die Aachener Soers ist ein Wetterloch.

Blickt man dieser Tage auf die Starterlisten des traditionsreichen CHIO, so fehlen zwei Namen: Henrik von Eckermann kommt nicht zum Turnier, ebenso wenig wie Julien Epaillard. Diese beiden scheuen mitten in der anstrengenden vorolympischen Saison das Risiko, sich auf dem Rasen in der Soers einen Ausrutscher zu leisten – im wahrsten Sinn des Wortes. Sie satteln ihre unbeschlagenen Pferde auf der Global Champions Tour, also beim Konkurrenzturnier am Wochenende in Monaco, wo der Große Preis mit 1,5 Millionen Euro dotiert ist – ebenso hoch wie das Preisgeld im Großen Preis von Aachen. Der Unterschied: In Monaco wird auf Sand geritten.