Isabelle Carré (li.) und Adriana Rivoire in „Sprache des Herzens“ Foto: Verleih

Wie ein taubblindes Mädchen lernt, das Leben zu lieben: Mit ihrem doppelten Handicap wird sie zur Herausforderung für die junge Nonne Marguerite. Große emotionale Kino-Momente!

Filmkritik und Trailer zum Kinofilm "Die Sprache des Herzens"

Taub: keine Vogelstimmen hören, nicht das Rauschen des Windes in den Blattkronen, nicht die zärtlichen Worte der Mutter. Blind: das Himmelblau ein schwarzes Loch, das Grün der Wiese ein unbenennbarer Zustand, das Weiß vorübergaloppierender Schimmel ein vager Geruch. Taub und blind geboren zu sein bedeutet ein Leben in Stille und Dunkelheit. Derzeit leben etwa 6000 taubblinde Menschen in Deutschland. Was für die meisten Nichtbehinderten wie ein Albtraum scheint, kann für Betroffene trotzdem ein lebenswertes Leben sein – denn sie haben nur das eine. Und dafür brauchen sie Förderung und Unterstützung.

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Taub und blind wird Marie Heurtin am 13. April 1885 in Vertou/Loire-Inférieure geboren. Die Wissenschaft weiß damals wenig über die Doppelbehinderung, Ärzte halten diese Kinder für „dumm“. Marie hat Glück. Ihre Eltern sind Bauern, mit der Situation intellektuell überfordert. Aber sie lieben ihre Tochter, lassen sie. Marie versteht von der Welt nur, was sie anfassen, be-„greifen“ kann. Gleichzeitig werden Berührungen von außen zur Bedrohung. Als sie 14 ist, bringt ihr Vater sie in eine Anstalt, in der sich Nonnen tauber Kinder annehmen. Marie – ihrer sicheren Umgebung beraubt – zeigt sich als Furie. Mit ihrem doppelten Handicap wird sie zur Herausforderung für die junge Nonne Marguerite.

Sehr sacht, sehr zärtlich, sehr konsequent spielt Isabelle Carré diese Marguerite, deren besondere Begabung in ihrem Einfühlungsvermögen liegt, in ihrer Hingabe, in ihrem unerschütterlichen Glauben, Marie öffnen zu können. Als sie mit Marie bekannt wird, notiert sie: „Heute bin ich einer eingesperrten Seele begegnet.“

Adriana Rivoire ist Marie. Sie spielt „das kleine wilde Tier“ mit einer Wucht, die die Leinwand zu sprengen in der Lage wäre. Sie kratzt und beißt, sie bringt alle Energie auf, um abzuwenden, was Marguerite von ihr als Erstes will: baden, Haare kämmen, Kleider wechseln. Langsam, wie eine Lotosblüte sich öffnet, fasst Marie Vertrauen, lernt erste Worte über das Lormen-Alphabet, das Lehrer ihren Schülern in das Handinnere tupfen. Später lernt sie die Braille-Schrift der Blinden, kann sich mitteilen, wird Teil der Gemeinschaft. Es ist ein Triumph der Liebe, als Marie notiert (und das ist überliefert): „Im Moment lese ich mit einem Vergnügen ohnegleichen die ausgewählten Erzählungen von Daudet.“

Regisseur Jean-Pierrre Maéris hat Maries wahre Geschichte so wundervoll in Szene gesetzt, dass auch die melodramatischen Augenblicke ihren tiefen Sinn haben: die vielen Momente, in denen Marie mit ihrem Körper spüren lernt, wenn sie – animiert durch Marguerite – ihre Hände in den Bach hält, wenn sie Geschwindigkeit erlebt, weil Marguerite sie in einen Schubkarren lädt und mit ihr durch die Wiesen rennt, wenn die beiden sich zärtlich und unschuldig berühren. Und dann kommt dieser Augenblick, in dem Marie ihren Eltern wieder begegnet und mit Gebärden und Handzeichen sagt, dass sie sie liebt. Kleingläubigkeit macht zynisch, Liebe kann wohl tatsächlich Berge versetzen. Großes emotionales Kino!

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