Im Besucherbergwerk Rammelsberg: In solchen Loren wurde das Erz transportiert. Foto: dpa

Stadt und Berg, Berg und Stadt: Goslar und der Rammelsberg gehören zusammen wie Pech und Schwefel- auch als Unesco-Weltkulturgut.

Goslar - Wasser tropft von den Wänden. Schlamm schmatzt unter den Schuhen. Giftigbunte Metallsulfate, sogenannte Vitriole, leuchten an den rauen Wänden im Flackerlicht der Taschenlampen. Alle paar Meter kollidiert der Helm mit hartem Gestein, gebückt geht es weiter im Gänsemarsch, der Puls pocht, die Nackenmuskeln versteifen. Nach einigen quälend langen Minuten der erste Halt: Ein gewaltiges, fast neun Meter großes hölzernes Rad versperrt den Weg und setzt sich wie von Geisterhand nahezu lautlos in Bewegung.

Unterwegs im 200 Jahre alten Roeder-Stollen des Rammelsberges, benannt nach einem genialen Bergbau-Pionier des frühen 19. Jahrhunderts. Über diesen von ihm ausgeklügelten Weg wurde Wasser in den Berg geleitet, um die Erzbehälter auf- und abwärts transportieren und Pumpen betreiben zu können. Mit welch technischer Meisterschaft das funktionierte, wird deutlich am Zusammenspiel mehrerer tonnens

chwerer Riesenräder, die - Einzelteil für Einzelteil - durch die engen Gänge transportiert werden mussten, bevor sie zum großen Ganzen montiert werden konnten. Ebenso genial die mechanische Fernsteuerung, mit der die Laufrichtung des Rades geändert oder gebremst werden konnte - aus über 100 Meter Entfernung. 27 Millionen Tonnen Silber-, Gold-, Blei-, Zink- und Kupfererze wurden zwischen 968 und 1988 aus dem Bauch des Berges gefördert - so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt. Doch hier gab es keine reinen Adern. Den Metallen, zu extrem harten Gemengelagen gepresst, war mit herkömmlichen Abbaumethoden nicht beizukommen. So wurden überall tief im Berg Feuer gesetzt, die das Erz fast zum Glühen brachten. Beim Abkühlen entstanden Risse, an denen die Hauer es in großen Stücken von Grubendecken und -wänden abbrechen konnten. Backenbrecher knackten diese Erzbrocken wie Haselnüsse, dann wurden sie zu Staubkörnchen zermahlen.

Bleiglanz, Zinkblende oder Kupferkies

Zum Schluss die Flotation: Wasser „sortierte“ die Mineralbestandteile. Bleiglanz, Zinkblende oder Kupferkies blieben übrig. Szenenwechsel. Der Kontrast zu Dunkelheit und Dreck könnte schärfer kaum sein: Wohin das Auge auch schaut auf dem Markt von Goslar, es wird gefangen von Pracht und Glanz, es wird entzückt von Farben und Details, es geht auf Zeitreise ins Mittelalter. Da der kunsthistorisch wertvolle Marktbrunnen aus dem 13. Jahrhundert mit dem vergoldeten Reichsadler. Dort ein Glocken- und Figurenspiel mit Szenen aus dem Bergbau, viermal am Tag zu bestaunen. Im spätgotischen Rathaus besticht der mit Malereien und geschnitzten Verzierungen geschmückte Huldigungssaal.

Die prachtvolle Kaiserworth schließlich, das einstige Gildehaus der Tuchmacher. Beliebtestes Foto-Objekt ist der Dukatenscheißer mit heruntergelassenen Hosen, der die Münzen rollen lässt. In den krummen, engen Kopfsteinpflaster-Straßen stehen auf weniger als einem Quadratkilometer rund 1000 altersgebeugte Fachwerkhäuser. Mit teils großartigen Fassadenschnitzereien. Das wunderschöne Stammhaus der Familie Siemens etwa. Gleich daneben ein Renaissance-Fachwerk und eine romanisch-gotische Kemenate. So viel Stil auf so wenig Platz - das gibt’s wohl nur in Goslar. Einmalig auch die Kaiserpfalz, die als Repräsentationsbau Kaiser Heinrichs III. um 1050 Gestalt annahm.

Von all dieser Pracht und Herrlichkeit gäbe es nichts ohne den 636 Meter hohen Burschen im Rücken der Stadt. Dem Rammelsberg verdankt Goslar seine Geburt im 10. Jahrhundert, seinen späteren Wohlstand, seinen Wert als Schatzkammer des Deutschen Reiches und seiner Kaiser. Stadt und Berg, Berg und Stadt - über 1000 Jahre können beide nicht voneinander lassen. Geht es dem Berg gut, prosperiert die Stadt, geht es ihm schlecht, weil die Gruben voll Wasser laufen, leiden Goslar und seine Menschen bittere Armut. Geht er gar verloren an fremde Herren wie 1552 an die Herzöge von Braunschweig, ist tiefe Depression die Folge - psychisch und wirtschaftlich.

Fast zehn Jahre dauern Restauration und Umbau

1988 schließlich scheinen sich ihre Wege endgültig zu trennen, als das Herz des Rammelsberges wegen Erschöpfung aufhört zu schlagen. Die Abrissbagger stehen schon vor der Tür, um die Erzaufbereitungsanlage zu schleifen. Die Stollen wären abgesoffen und mit ihnen ein Jahrtausend Bergbaugeschichte. Für Reinhard Roseneck jedoch, oberster Denkmalspfleger von Niedersachsen, ist die Montananlage unantastbar. Er beginnt um ihren Erhalt zu kämpfen. Auf seine Initiative hin werden der Rammelsberg und die Altstadt von Goslar 1992 zum Unesco-Weltkulturerbe erhoben.

Fast zehn Jahre dauern Restauration und Umbau - dann kann das Rammelsberg-Museum im November 2001 eröffnet werden - mit 20 000 Quadratmetern auch flächenmäßig eine der größten Museumsanlagen in Deutschland. Mit eingefrorenen Momenten: Magisch angezogen vom Ende einer Ära verpackten und verschnürten die späteren Reichstagsverhüller Christo und Jeanne-Claude 1988 einen Erzförderwagen aus der letzten Schicht, ohne ihn je wieder auszuwickeln.

So gilt er - geheimnisvoll illuminiert in der Kraftzentrale des Rammelsberges - heute symbolisch als der „letzte Wagen“. Das Erz, durch Arbeit und Technik der Erde entrissen, wird durch Christo dem menschlichen Zugriff wieder entzogen. Dem Weg des Erzes über die Kaskaden der Aufbereitungsanlage hautnah zu folgen, durchschreitet der Besucher teils ungewöhnliche, ja bizarre Räume. So ist zum Beispiel im Erdgeschoss ein riesiger Erzschlammbottich aufgeschnitten und begehbar. Schaufelartige „Verdicker“, von Punktstrahlern beleuchtet, verleihen dem Relikt der Arbeit einen künstlerisch-goldenen Schein.

Überall am Rammelsberg durchdringen sich Denkmal, Museum und realer Arbeitsplatz. Wenn vielleicht auch eine Nummer zu pompös für die 45 000-Einwohner-Stadt, hinterlässt das markante Industriedenkmal mit seinen vier weitläufigen Museumshäusern einen atemberaubenden Gesamteindruck.

Infos zu Niedersachsen

Anreise
Goslar liegt am Nordrand des Harzes und ist bequem über die Autobahnen A 2 und A 7 zu erreichen.

Unterkunft
Hotel Kaiserworth ab 122 Euro/DZ/F, www.kaiserworth.de ;

Hotel Brusttuch ab 119 Euro/DZ/F, www.brusttuch.de/de ;

Altstadt-Pension Koch ab 68 Euro/DZ/F, www.altstadt-pension-koch.de

Allgemeine Informationen
Goslar Marketing, Tel. 0 53 21 / 78 06 21, www.goslar.de/tourismus. Museum und Besucherbergwerk Rammelsberg, Tel. 0 53 21 / 7 80 60, www.rammelsberg.de

Sehenswert/Ausflüge
Führungen Goslar: „1000 Schritte durch die Altstadt“, täglich 10 Uhr; „Mauern, Wälle, Türme“, April bis Oktober; „Jüdisches Leben in Goslar“, April bis Oktober. Rammelsberg: Täglich 9-18 Uhr. Der Besuch kann gekoppelt werden zum Beispiel mit einer Führung durch den Roeder-Stollen und/oder einer Fahrt mit der Grubenbahn durch die Tagesförderstrecke.

Außergewöhnlich ist die vierstündige Abenteuertour im Rathstiefsten Stollen aus der Zeit um 1150.