„Der Untertan“ in Esslingen Foto: Patrick Pfeiffer

Christof Küsters Inszenierung an der Württembergischen Landesbühne spricht Heinrich Manns „Untertan“ zu wenig Eigenverantwortung zu und spielt mit Slapstick-Einlagen, überzeugt aber dank Erzähler und Bühneneinsatz.

Christof Küsters Inszenierung an der Württembergischen Landesbühne spricht Heinrich Manns „Untertan“ zu wenig Eigenverantwortung zu und spielt mit Slapstick-Einlagen, überzeugt aber dank Erzähler und Bühneneinsatz.

Esslingen - „Nach den Märchenkröten, dem Vater, dem lieben Gott, dem Burggespenst und der Polizei -“, sagt der Erzähler (Marcus Michalski) im weißen Hemd, steckt die Hände in die Hosentaschen und kreist mit langen, langsamen Schritten um den kleinen Diederich Heßling (Martin Theuer). Er fährt fort: „Nach allen diesen Gewalten geriet nun Diederich unter eine noch furchtbarere, den Menschen auf einmal ganz verschlingende: die Schule!“ Diederich, die Personifikation des Unsympathischen, reift heran. „Der Untertan“ von Heinrich Mann beginnt. Oder: „Kotzbrocken Rising“.

Einen Roman auf die Bühne zu schicken, birgt Herausforderungen. Regisseur Christof Küster greift zum Auftakt der neuen Spielzeit unter dem neuen alten Intendanten Friedrich Schirmer auf die einfachste Lösung zurück: Er zerrt einen Erzähler auf die Württembergische Landesbühne in Esslingen. Mit Michalski stellt sich der simple Weg als genial heraus. Kühl und distanziert treiben seine Worte die Geschehnisse heran. Verschmitzt flüstert er Diederich fehlende Worte zu, meistens spuckt dieser sie ungefiltert aus. Nachplappern, das liegt ihm.

Die drei dunklen Wände des Bühnenbilds erschaffen den trichterartigen Mikrokosmos um Diederich. An den Seiten zwei Schrägen, hinten ein Garagenrolltor, durch welches Requisite kommt und geht: Lumpensäcke für die Fabrik, im Herbst buntes Blattwerk. Ebenso schreiten Frauen, Freunde und Feinde in Diederichs Leben und wieder hinaus, was selbst das Zwölf-Mann-Kollektiv zu diversen Doppelrollen nötigt.

Agnes (Stephanie Biesoldt) zaubert ihm erstmalig neben vorgegebenen Gedanken ein Gefühl ins Gehirn. Doch „so darf man nicht sein“, flucht Diederich, wenn Emotionen im Anflug sind und verhärtet zunehmend. Bald liebt er nur noch die von König Wilhelm verkörperte „Macht, die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben!“ So beginnt das alte Spiel: Staut sich der Buckelfrust an, tritt man sich nach unten von ihm los. Zunächst leiden Familie und Freundin, später die Angestellten, bald auch politische Gegner.

Auch beim alten Buck (Reinhold Ohngemach), einflussreiche Respektsperson im Dorf, würde sich Diederich bedenkenlos anwanzen – wäre dieser als 1848er-Revoluzzer doch nur kein unverbesserlicher Sozialdemokrat.

Gelegentlich lockern Slapstick-Einlagen auf: Dämliche Soldaten laufen solange frontal gegen Mauern, bis sie den Befehl zur Kehrtwende erhalten. Diederich: „Das Soldatenleben ist doch das Beste – man weiß immer, was man zu tun hat.“

Kreativ auch der Einsatz der Seitenwände: Mal wölben sie sich unter dem lautstarken Trommeln der tosenden Arbeitslosen aus dem Off, ein andermal rinnt Wasser von oben herab.

Das Ensemble spielt solide. Wer im Fokus steht, ist klar: Je nachdem, wer vor ihm steht, wirkt Diederich dienernd und profillos oder launisch und brutal.

Theuer lässt ihn dabei nie ganz aus seinem letztlich infantilen Auftreten ausbrechen. Selbst wenn er aus Jähzorn Mutter und Schwester niedermacht, wirkt er wie ein wütender Winzling, dessen Geschäftskleidung zwei Nummern zu groß gekauft wurde. Allein: Als bockiger, vom Wilhelminismus geschmiedeter Junge erscheint der Protagonist bei dieser Darstellung zu sehr als Opfer der Umstände – das sollte er nicht! Seine Untertänigkeit zeichnet sich gerade im Ablegen seiner Mündigkeit aus, sie entsteht durch bewusstes Verriegeln eigener Überlegung.

Er hätte es anders haben können. Die denkenden Demokraten trifft er an jeder Ecke, der Lebemann Wolfgang Buck (Christian A. Koch) gibt ihm genügend Anstöße. Diederich ist verantwortlich für seine Verantwortungslosigkeit. Es ist die ihm eigene Großmannssucht bei gleichzeitiger Obrigkeitshörigkeit, die zum Nährboden des Nationalismus avanciert. Seinesgleichen verachtete Demokratie und Poesie. Man wollte Taten, keine Worte. Der Rechtsruck trieb das Land schließlich in den ersten Weltkrieg. Die Folgen spürt man bis heute: Aus dem Volk der Dichter und Denker wurde eine Nation der Schichter und Banker.