Im Stuttgarter Dekra-Prüflabor wird auch Spielzeug getestet. Die Produktprüfungen zählen zu den wachstumsstärksten Geschäftsfeldern des Konzerns Foto: Thomas Küppers

Teddys, Autos, Atomkraftwerke: Die Prüfgesellschaft Dekra erobert immer mehr Geschäftsfelder. Bis 2020 soll die Zahl der Mitarbeiter um mehrere Tausend wachsen.

Stuttgart - Im Prüflabor geht es dem Bären ans dicke Fell. Zwei Klemmbacken ziehen ihn an den Armen auseinander, sieben Kilo beträgt die Kraft. Sie ziehen an den Beinen, an Kopf und Schnauze, am Knopf im Ohr. Jeweils 20 Sekunden lang. Alle Teile bleiben haften. Das rosafarbene Bärenkleidchen zittert, doch die Nähte bleiben intakt. Auch als der Prüfer den „Schlaf Gut Bär“ auf ein Nagelbrett bettet und darunter eine Kerze entzündet, dauert es lange, bis er brennt. Der Bär erhält das Prüfsiegel von Dekra: Test bestanden.

Wie Spielzeughersteller Steiff schicken immer mehr Firmen ihre Produkte zum Sicherheitscheck ins Labor des Stuttgarter Prüfkonzerns. Es geht um die Elektronik von Verkaufsbildschirmen und die Sensorik von Kaffeeautomaten. In der Klimakammer wird die Rostanfälligkeit simuliert, auf einem Stuhl wackelt eine Sitzauflage – „Norm-Arsch“ genannt – mehrere Tausend Male hoch und runter. Der Andrang im Prüflabor zeigt, wie rasant sich Dekra wandelt. Vor 90 Jahren wurde der Deutsche Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein gegründet und hält in Deutschland mit elf Millionen Hauptuntersuchungen die Spitzenposition. Doch mittlerweile haben die Stuttgarter aus dem Verein einen Konzern geformt, der auch die Sicherheit von Waren und Industrieanlagen in aller Welt checkt.

Peter Chromik prüft einen Wagen. Fahrzeuginspektionen sind das Hauptgeschäft von Dekra Foto: dpa

Seit 2000 hat sich der Umsatz auf 2,5 Milliarden Euro verdreifacht und die Zahl der Mitarbeiter gar auf rund 35 000 vervierfacht. Vor allem die junge Mittelschicht aus Schwellenländern wie China, Singapur, Malaysia, Indonesien und Thailand treibt das Wachstum der Stuttgarter an. Zu Wohlstand gekommen, will die aufstrebende Elite auch ein sicheres Leben genießen – das Auto soll zuverlässig, die Spielwaren und Haushaltsgeräte unbedenklich und der Arbeitsplatz umweltgerecht sein. Prüfsiegel made in Germany sind besonders beliebt, gelten die Deutschen doch als einer der Sicherheitshüter weltweit. Außerdem ist Asien noch immer eine der größten Werkbänke der Welt – die Produkte müssen beim Import nach Europa oder den USA strengen Normen entsprechen.

Dafür sorgt auch Werner Leistner seit 25 Jahren, seit sieben Jahren als Mitarbeiter von Dekra. In Gremien hat er einst mitbestimmt, wie Prüfnormen ausgestaltet werden müssen. Vor allem „langatmig“ sei es gewesen, sagt der Ingenieur. Eine neue Norm auszuarbeiten dauere bis zu zehn Jahren, eine Norm-Korrektur könne bis zu fünf Jahre Gremienzeit kosten. Doch mit dem Informationsvorsprung könne man bei den Kunden punkten. Sie wüssten rechtzeitig, welche Sicherheitshürden ein Produkt bald meistern und welches Regelwerk beachtet werden müsse. Früher seien Tester eher als strenge Lehrer aufgetreten. Heute seien sie auch unabhängige Berater, die mit den Unternehmen auch vor und nach der eigentlichen Prüfung zusammenarbeiten. „Dekra von heute plant strategisch. Wir bieten unseren Kunden Prüfen, Zertifizieren und Beraten aus einer Hand.“

Das ist wichtig im Markt mit den Prüfleistungen, denn jeder will vom Boom mit Sicherheitsleistungen profitieren. Die sogenannte TIC-Branche, bei der es um das Testen, Inspizieren und Zertifizieren geht, soll bis 2018 weltweit auf einen Umsatz von 160 Milliarden Euro wachsen. In der Branche zählen vor allem Image und Vertrauen, schließlich bewerben die Kunden mit den Prüfzertifikaten ihre Produkte. Ohne Größe und ein breites Angebot hilft auch ein gutes Image nichts.

Dekra prüft auch Industrieanlagen – wie diese Mineralöl-Raffinerie bei Karlsruhe Foto: Dekra

Auch deshalb sucht Dekra sein Glück in der Expansion. Seit Jahren kaufen die Prüfer weltweit ein und erschließen sich neue Geschäftsfelder, vor allem bei Produkt- und Industrieprüfungen. 50 bis 100 Millionen Euro lässt sich Dekra die Investitionen pro Jahr kosten. Anfang des Jahres übernahm der Konzern das taiwanesische Testinstitut QuieTek, um die Verträglichkeit von elektromagnetischen Wellen zu testen. Damit könnten die Stuttgarter vom rasant wachsenden Markt von Notebooks, Tablets, Mobiltelefonen und Automobilelektronik profitieren. Durch Zukäufe sorgen die Stuttgarter inzwischen für Sicherheit in chilenischen Minen, kontrollieren die Schweißnähte von Atomkraftwerken und machen sich immer mehr als Berater für Sicherheitsprozesse von Unternehmen und Organisationen einen Namen. Und auch auf traditionellen Geschäftsfeldern punktet Dekra inzwischen weltweit. 2013 erwarb man mit dem Vehicle Testing New Zealand den neuseeländischen Marktführer für Autodienstleistungen. Ab Juni bietet Dekra in Neuseeland Führerscheinprüfungen an.

Dekra bildet auch Arbeitskräfte aus – wie Pflegerin Beáta Zagyi aus Ungarn Foto: Uwe Moosburger

Dadurch ist Dekra auf allen Kontinenten präsent. Mittlerweile ist fast jeder zweite Mitarbeiter außerhalb Deutschlands beschäftigt. Die Geschwindigkeit des Wachstums macht Dekra-Chef Stefan Kölbl keine Angst. „Wir tragen unser Know-how in die Weltmärkte. Dabei hilft uns unsere starke Marktstellung in Europa.“ In zehn Jahren wird Dekra 100. Bis dahin soll sich der Umsatz verdoppeln. Bereits in den kommenden fünf Jahren soll sich die Zahl der Mitarbeiter weltweit um mehrere Tausend erhöhen. In der Zentrale in Stuttgart sollen bis zu 500 neue Stellen entstehen. Dann werden vermutlich noch mehr Produkte im Labor geprüft. Ob Spielzeuge, Möbel oder Elektronik – Kölbl sind sie alle willkommen: „Es ist wunderbar, als schwäbisches Unternehmen für mehr Sicherheit in der Welt zu sorgen.“