Willkommensschild bei einer Arbeitsmarktmesse für Flüchtlinge – Asylbewerber dürfen nur Jobs annehmen, die deutsche Bewerber nicht machen wollen Foto: dpa

Diskutieren Sie mit - Unsere Berichterstattung darüber, dass Daimler Flüchtlinge durch Praktika für den Arbeitsmarkt qualifizieren will, hat eine Debatte unter unseren Lesern ausgelöst. Fragen und Antworten zu den Hauptanliegen der Leser. Was meinen Sie: Nehmen Flüchtlinge uns die Jobs weg?

In Baden-Württemberg haben 218 000 Menschen keinen Job. Warum bringt man nicht zuerst diese Menschen in Arbeit, bevor man Flüchtlinge einstellt?
„In Baden-Württemberg haben wir mit einer Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent so wenig Arbeitslose wie kaum ein anderes Bundesland“, sagt Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg, unserer Zeitung. Zum Vergleich: Im Oktober hatte nur Bayern mit 3,3 Prozent eine niedrigere Arbeitslosenquote als das Land. „Natürlich versuchen wir, sämtliches Potenzial in Deutschland zu aktivieren und in den Arbeitsmarkt zu bringen“, so Rauch. „Das allein wird aber nicht reichen.“ Aus demografischen Gründen gingen Deutschland in spätestens zehn Jahren die Fachkräfte aus. „Deswegen brauchen wir Zuwanderung, um weiterhin am globalen Markt wettbewerbsfähig zu sein.“
Werden Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt nun bevorzugt?
Nein. Asylsuchende und Personen mit Duldung haben seit November 2014 zwar einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt. Das heißt aber nur, dass sich die Wartefrist für die Arbeitserlaubnis für beide Gruppen von bisher neun beziehungsweise zwölf Monaten auf die ersten drei Monate nach Asylantragstellung im Bundesgebiet verkürzt hat. Jedoch haben Flüchtlinge einen sogenannten nachrangigen Arbeitsmarktzugang. Das heißt: Wenn ein Flüchtling eine konkrete Beschäftigung aufnehmen will, braucht er eine Erlaubnis von der Ausländerbehörde. Diese muss die Agentur für Arbeit um Zustimmung anfragen. Für eine Zustimmung werden eine Vorrangprüfung und eine Prüfung der Beschäftigungsbedingungen durchgeführt. Einige Arbeitsmarktexperten betrachten die Vorrangprüfung als erhebliches Hindernis, denn sie sieht vor, dass Flüchtlinge eine Beschäftigung nur dann aufnehmen dürfen, wenn es für den Job keinen Bewerber aus Deutschland oder einem anderen Land der Europäischen Union gibt.
Gibt es wirklich einen Fachkräftemangel, oder ist das nur ein vorgeschobenes Argument, um den Zustrom der Flüchtlinge zu rechtfertigen ?
Allein in der Region Stuttgart fehlen nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) rund 31 000 Fachkräfte, darunter etwa 24 000 mit einer betrieblichen Ausbildung. Der Bedarf zieht sich demnach durch alle Branchen: von Industrieberufen über den Handel bis zu Dienstleistungen. Fachkräftemangel herrsche auch im Handwerk und im Gesundheitswesen. „Der demografische Wandel wird in Zukunft diesen Fachkräftemangel eher stärker als schwächer werden lassen“, sagt Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. „Der Zustrom an Flüchtlingen wird daran wenig ändern, aber er ist eine große Chance“, so Richter. „Aussagen wiederum, die Wirtschaft sehe in den Flüchtlingen nur ein Reservoir an billigen Arbeitskräften, halten wir für absurd. Da werden nur Ängste geschürt.“
In Baden-Württemberg bewerben sich viele junge Menschen um einen Ausbildungsplatz und kommen nie zum Zug. Wie kann das sein?
„Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Unternehmen aus der Region viele Ausbildungsplätze anbieten“, sagt Andreas Richter. „Zurzeit sind über 1500 freie Ausbildungsplätze in unserer Lehrstellenbörse für 2016 verfügbar.“ Diese stünden auch Flüchtlingen zur Verfügung, wobei ein Mindestmaß an deutschen Sprachkenntnissen unverzichtbar sei. Die meisten Arbeitgeber, die Flüchtlinge als Auszubildende einstellen, begründen dies mit der hohen Motivation, die Asylbewerber mitbringen. „Für die Unternehmen sind bei der Entscheidung über einen Auszubildenden nicht nur schulische Kenntnisse und vorhandene Fertigkeiten wichtig, sondern Engagement, Fleiß, Umgangsformen und Verhalten“, so Richter.
„ Herkunft und Vorgeschichte des Auszubildenden spielen dabei keine Rolle.“ Auch die IHK Region Stuttgart will 2016 vier Flüchtlinge als Azubis aufnehmen. „Diese vier Ausbildungsplätze kommen on top zu unserem bisherigen Ausbildungsangebot dazu“, sagt Richter. „Und so handeln viele andere Unternehmen und Institutionen auch.“
Warum sollen Flüchtlinge, die nach Baden-Württemberg kommen, überhaupt arbeiten?
„Die Menschen, die nach Deutschland flüchten, wollen hier ein unabhängiges Leben in Würde und Freiheit führen“, sagt Christian Ramm, Vorsitzender der Geschäftsführung in der Agentur für Arbeit Freiburg. „Dafür müssen sie sich schnellstmöglich in unserer Gesellschaft integrieren.“ In Freiburg läuft derzeit ein Pilotprojekt namens „Early Intervention“. Die Arbeitsagentur untersucht, wie Asylbewerber möglichst schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. „Mit Arbeit und finanzieller Unabhängigkeit gelingt ihnen die Integration schneller und besser, als wenn sie in Aufnahmelagern sinnlos die Zeit verbringen müssten“, so Ramm. „Asylverfahren benötigen Zeit. Diese müssen wir sinnvoll nutzen. Wenn Asylbewerber arbeiten, profitieren alle.“
Besteht die Gefahr, dass die Löhne in Baden-Württemberg durch den Einsatz von Flüchtlingen gedrückt werden?
In vielen Branchen gelten Tarifverträge, aus denen bestimmte Personengruppen wie Flüchtlinge nicht ausgenommen werden können. Seit Anfang des Jahres gilt zudem der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro. Es gibt jedoch auch Ausnahmen vom Mindestlohn. So besteht etwa bei Praktika, die nicht länger als drei Monate dauern, kein Anspruch auf den Mindestlohn. Daimler will Hunderte Flüchtlinge durch Praktika für den deutschen Arbeitsmarkt qualifizieren. Diese jungen Menschen erhalten trotzdem den Mindestlohn. Aus der CDU gibt es Stimmen, wonach bei Flüchtlingen geprüft werden soll, inwiefern diese vom Mindestlohn ausgenommen werden können. Dagegen läuft die SPD jedoch Sturm: „Wenn die CDU den Mindestlohn mit Verweis auf Flüchtlinge aushebeln will, legt sie die Axt an den sozialen Frieden in unserem Land“, sagt der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) unserer Zeitung. „Denn das würde zu Lohndrückerei und einem Wettbewerb der Schwachen gegen die Schwächsten führen. Das ist mit der SPD nicht zu machen.“ Grundsätzlich ist das Lohnniveau in Baden-Württemberg überdurchschnittlich hoch: Nur die Menschen in Hamburg und Hessen verdienen mehr als die Baden-Württemberger.

Info: Flüchtlinge bei Daimler

Vom 9. November an werden rund 40 Flüchtlinge im Mercedes-Benz-Werk in Untertürkheim mit einem vierzehnwöchigen Praktikum beginnen. Insgesamt sollen mehrere Hundert Flüchtlinge durch das Brückenpraktikum für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Die Flüchtlinge bekommen also keine Festanstellung und auch keinen Ausbildungsplatz, sondern ein Praktikum, bei dem sie fehlende Qualifizierungen nachholen können.