Selbst genähte Stofftiere sind auf Dawanda stark gefragt Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Mehr als 4,8 Millionen Menschen sind Mitglied bei Dawanda. Grund für den Erfolg des Online-Marktplatzes: die Mischung aus individuellen Produkten und dem persönlichen Kontakt zwischen Kunden und Verkäufern.

Reutlingen - In der Wohnung von Verena Tribensky herrscht kreatives Chaos. Auf ihrem Wohnzimmertisch liegen Textmarker und Aquarellfarben neben Skizzen und Zeichnungen. Der Tisch ist das Epizentrum von Tribenskys Schaffen: Hier entstehen die Postkarten, Kunstdrucke und Poster, die die 23-jährige Studentin aus Betzingen in ihrem Dawanda-Shop „Milcositas“ verkauft.

Künstler und Heimwerker, die ihre Werke vielen Menschen zugänglich machen wollen, kommen an Dawanda kaum mehr vorbei. Das Online-Portal zählt über 4,8 Millionen registrierte Mitglieder. In Deutschland ist Dawanda unangefochtener Marktführer für selbst gemachte Produkte: Von selbst gehäkelten Babymützen bis zum Frühstücksbrett mit eingraviertem Namen – etwa 300 000 Hersteller bieten fünf Millionen Artikel auf der Webseite an. Jede Minute wird eine Tasche auf Dawanda gekauft, alle 30 Sekunden ein Produkt für Babys und Kinder, alle 20 Sekunden ein Schmuckstück. Täglich kommen rund 15 000 neue Produkte hinzu.

Dem war nicht immer so. Erst nach drei Jahren schrieb das 2006 gegründete Unternehmen schwarze Zahlen. Geschäftsführer Claudia Helming und Michael Pütz hatten es anfangs nicht leicht, Investoren von der Idee eines Marktplatzes für Handgefertigtes im Internet zu überzeugen – Stricken und Häkeln galten damals noch nicht als sexy. Den Start ermöglichte schließlich Risikokapitalgeber Holtzbrinck Ventures mit einer Finanzspritze über 150 000 Euro.

Das Geschäftsmodell von Dawanda ist simpel: Für jeden Artikel zahlen die Verkäufer eine Einstellgebühr von zehn bis 30 Cent. Zusätzlich erhält Dawanda eine Verkaufsprovision von fünf Prozent.

Inzwischen boomt das Geschäft mit den Handmade-Artikeln. 2014 belief sich das Handelsvolumen von Dawanda auf rund 140 Millionen Euro – 40 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Neben Deutschland bespielt Dawanda auch die Märkte in Frankreich, England, Spanien, Italien, Polen und den Niederlanden. Weitere europäische Länder sollen folgen. Englischsprachige Gebiete sind für Dawanda weniger interessant – dort dominiert Hauptwettbewerber Etsy. Die US-amerikanische Do-it-yourself-Plattform wurde 2005 in New York gegründet. Sie war das Vorbild für Dawanda – die Versicherung dafür, dass das Konzept funktioniert.

Dass die Nutzung von Dawanda zwar in Spanien und Frankreich, nicht aber in Deutschland kostenlos für die Verkäufer ist, findet Melanie Streib-Föll in Ordnung. „Eine eigene Online-Plattform kostet auch Geld. Dawanda ist sehr benutzerfreundlich, das kann wirklich jeder bedienen“, sagt die 35-jährige Mutter aus Reutlingen. Auf ihrem Dawanda-Shop „Lieblingsstuecke79“ bietet sie Stoffe und Kinderartikel an. Als sie sich im Juni 2013 als Verkäuferin registrierte, stellte sie erst einmal nur einige wenige Artikel ein.

Mittlerweile hat sie mehr als 1300 Produkte verkauft: selbst genähte Wärmekissen in Form von Füchsen, Igeln und Eulen, Waschlappen, die aussehen wie Monster, Krabbeldecken, Pulswärmer. „Mit Hilfe von Dawanda konnte ich einfach probieren, ob Interesse an den Produkten besteht – ohne das Risiko für einen Laden zu tragen“, sagt Streib-Föll. Ihre Arbeitszeit könne sie sich zudem selbst einteilen – bei zwei kleinen Kindern ein immenser Vorteil.

Etwa 20 Stunden pro Woche bringt sie auf, um zu nähen, Bestellungen zu bearbeiten, den Kontakt zu den Kunden zu pflegen und im Internet nach neuen Stoffen und Mustern zu recherchieren. Summiert man zu ihren Dawanda-Einnahmen die Einkünfte aus Handwerksmärkten und den vier Läden, die einige ihrer Produkte als Kommissionsware verkaufen, kommt Streib-Föll auf einen ansehnlichen Nebenverdienst. Vor zwei Jahren hat sie ein Gewerbe angemeldet – in Kürze zieht sie mit ihren Nähmaschinen in ein kleines Atelier. „Dawanda ist inzwischen mehr als nur ein Hobby“, betont Streib-Föll. Im Moment ist sie noch in Elternzeit. Doch sie könnte sich gut vorstellen, ihren Job als Sachbearbeiterin bei einem Metzinger Textilbetrieb in Zukunft nur noch in Teilzeit auszuüben. So hätte sie Zeit, den Dawanda-Shop weiter auszubauen.

Für Verena Tribensky ist Dawanda eher ein Zubrot. Etwa 15 Artikel verkauft sie pro Monat, selten verdient sie mehr als 100 Euro. „Mehr würde ich zeitlich nicht schaffen“, sagt Tribensky, die Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen studiert. Ihren Lebensunterhalt finanziert die junge Frau mit zwei Nebenjobs – und Dawanda. Die Plattform nutzt sie bereits seit 2010. In den vergangenen Jahren konnte sie beobachten, dass auch der Handel im Internet den Regeln des freien Marktes folgt: „Die Nachfrage bestimmt das Angebot – zurzeit ist bei Postern zum Beispiel das Anker-Motiv sehr gefragt.“

Doch was fasziniert die Käufer so sehr an Dawanda? „Sie schätzen das Angebot schöner Produkte mit Unikat-Charakter“, sagt Unternehmenssprecherin Ina Froehner. Zudem würden viele Menschen dem billigen Massenkonsum nicht mehr trauen, vermutet Froehner. Auf Dawanda hätten sie Zugriff auf regionale Produkte von Kleinstanbietern. Den Käufern sei aber auch der persönliche Kontakt zum Verkäufer wichtig, meint Melanie Streib-Föll: „Sie wollen das Gefühl haben, bei einer Freundin einzukaufen.“ Als zweifache Mutter Mitte 30 entspricht sie dem Prototyp des Dawanda-Verkäufers: Rund 80 Prozent sind Frauen zwischen 25 und 55, etwa 60 Prozent haben Kinder. Die Käuferschaft besteht gar zu fast 90 Prozent aus Frauen. Sie rufen die Dawanda-Webseiten jeden Monat mehr als 200 Millionen Mal ab.

Eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Amazon oder Ebay seien Dawanda und Etsy aber nicht, sagt Martin Groß-Albenhausen vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH). „Die zwei Portale sind das genaue Gegenteil von Ebay und Amazon: Auf ihnen werden keinerlei Markenartikel angeboten“, erklärt er. Auf Amazon suche dagegen niemand nach selbst gemachten Produkten. Vergleiche man den Umsatz von Dawanda mit dem der Online-Riesen, sei die Handwerks-Plattform winzig, erklärt Groß-Albenhausen. Für ihre Zielgruppe und deren Markt sei sie allerdings zu einer relevanten Größe geworden.

Einen Vorteil gegenüber konventionellen Anbietern haben Etsy und Dawanda auch in den sozialen Medien, weiß der Experte. „Die Nutzer sozialer Netzwerke wie Facebook, Pinterest oder Instagram veröffentlichen die Bilder einzigartiger Produkte eher auf ihrer eigenen Seite als normale Werbefotos“, sagt Groß-Albenhausen. Diese Art von Werbung beschere den Online-Marktplätzen ohne zusätzlichen Eigenaufwand neue Kunden.

Diese Dynamik macht sich auch Verena Tribensky zunutze. Auf ihrem Facebook-Kanal „Milcositas – feines Design“ stellt sie jeden Sonntag ein Produkt vor, das sie sich selbst kaufen würde. Doch auch neue eigene Artikel präsentiert sie dort häufig.

Die ständige Präsenz im Internet sowie der stetig wachsende E-Commerce spielen Etsy und Dawanda in die Hände. Während 2009 21,9 Milliarden Euro im Netz umgesetzt wurden – etwa 7,3 Prozent des deutschen Einzelhandels –, werden es nach Schätzungen des Handelsverbands Deutschland (HDE) 2015 rund 43,5 Milliarden Euro sein. Groß-Albenhausen geht davon aus, dass der E-Commerce weiter zunehmen wird. Für Dawanda und Etsy sieht er daher „durchaus noch Wachstumspotenzial“.