Foto: Stuttgarter Ballett

Matrosen, Kängurus und viele Höhenflüge: Cranko-Schule präsentiert sich in Bestform.

Stuttgart - Vortanztermine gibt es beim Stuttgarter Ballett schon seit einigen Jahren nicht mehr. Den Stress solcher Auditions kann sich Ballettintendant Reid Anderson sparen - er findet die neuen Talente seiner Kompanie in der John-Cranko-Schule. Am Sonntag stellte sich der neue Absolventenjahrgang im Opernhaus vor.

Mehr als die Hälfte der Tänzer des Stuttgarter Balletts stammt inzwischen aus der John-Cranko-Schule. Unter der Leitung von Tadeusz Matacz hat sich neben der schon immer besonderen Qualität der Ausbildung auch das Auftreten der Schüler so weit professionalisiert, dass sie eigentlich im Status einer Juniorkompanie tanzen.

Ein Drittel der Cranko-Schüler wechselt gleich ins Stuttgarter Ballett

Kein Wunder, dass sich ihre 15 Absolventen nicht um Jobs sorgen müssen - ein Drittel der diesjährigen Akademie-Abschlussklasse wechselt direkt ins Stuttgarter Ballett, der Rest wird in Zukunft auf den Bühnen von Amsterdam bis Zürich zu sehen sein. Kein Wunder, dass diese Ballung von Talent auch Choreografen inspiriert. Und erst recht kein Wunder, dass dieser glückliche Mix beim Publikum bestens ankommt. So auch an diesem Sonntag, als die Cranko-Schule in der Stuttgarter Oper vor vollem Haus auftrat.

Zwar war kein Ausnahmetalent zu entdecken wie vor zwei Jahren Daniel Camargo, inzwischen tanzpreisgeadelter Halbsolist, der damals, gerade 17 Jahre alt, mit einer beeindruckenden Vorstellung auf sich aufmerksam machte. Dafür war am Sonntag das Team der Star, der alle zum Staunen brauchte: Mit John Crankos "Pineapple Poll", Hilke Raths "Im Fluss" und Demis Volpis "Karneval der Tiere" konnten sich die Schüler nicht nur von ganz unterschiedlichen Seiten zeigen, sondern feierten den Tanz auch als Kunst, die den Respekt vor dem Können der anderen über die bravouröse Einzelleistung stellt.

Einem galt dennoch an diesem Vormittag besondere Aufmerksamkeit: Demis Volpi, jüngstes Choreografentalent in den Reihen des Stuttgarter Balletts, schüttete mit seinem im Dezember bei der Gala für die Aktion Weihnachten unserer Zeitung uraufgeführten "Karneval der Tiere" eine solche Fülle an verblüffenden Bildern, choreografischer Inspiriertheit und dramaturgischer Einfühlsamkeit aus, dass einem auch beim wiederholten Sehen wirklich überhaupt nichts vorhersehbar erschien. Der Argentinier hat Camille Saint-Saëns beim Wort genommen und tatsächlich eine "große, tierische Fantasie" angerichtet: Die Elefanten tanzen in schlabbrigen Clownshosen auf, die Schildkröte hat schwer zu schleppen. Immer wirken die Schüler ernstgenommen in ihren Ansprüchen, ihrem Witz, ihrer Ernsthaftigkeit und der Lust, mit der sie diese umsetzen. Und obwohl der Löwe am Ende den Schwan rupfen darf, stellt Demis Volpi die klassische Basis nie infrage, bringt Hebungen, Drehungen, Sprünge aber sehr eigenwillig auf die Höhe unserer Zeit. Allein das regenbogengefärbte Ballett der Arme und Hände, das pulsierendes Leben in die Aquarium-Szene zaubert, lohnt am nächsten Sonntag den Weg in den Schlossgarten: Beim alljährlichen "Ballett im Park" tanzen am 17. Juli die Cranko-Schüler über die Großleinwand, und nicht nur Volpis boxende Kängurus machen die Matinee zum familientauglichen Ereignis.

Talentsuche fällt leicht

Crankos Ballettschwank "Pineapple Poll" ist mit prägnanten Charakteren und zugespitzter Komik ein leicht zugänglicher Spaß. Genau 60 Jahre sind seit der Uraufführung am 13. März 1951 in London vergangen, und doch konnte man in Stuttgart die Zukunft tanzen sehen. Die Absolventen der Akademie-Klasse vergaßen über technischer Virtuosität, die auf britisch-flinke Leichtfüßigkeit setzt, nie die erzählerische Präzision, ohne die dieser Spaß nur ein halber ist. Nicht nur Robert Robinson, der als Kapitän Belaye chaplinesk die Knie schlackern ließ, um sich dann ungemein elegant über alle zu erheben, wird man auf dieser Bühne fortan öfter begegnen. Auch Rocio Aleman kann die Sanftheit, mit der ihre Blanche agiert, hier weiter verfeinern, mancher Matrose effektvoll noch mehr Muskeln spielen lassen. Ob Ruiqi Yangs dreist-schmollende Poll oder später die Höhenflüge von Gustavo Echevarria und die fein ziselierten Drehungen von Mai Aihara im "Pas de deux romantique": Die Talentsuche wird Reid Anderson auch im nächsten Jahr leichtfallen.

Wer Teil einer starken Gemeinschaft ist, hat genügend Rückhalt, um selbst stark zu werden. Das machte am Sonntag jeder Tänzer im Opernhaus deutlich. Von diesem Reifeprozess erzählt Hilke Raths "Im Fluss" mit modernen Bewegungschiffren. Mit wehenden Plastikfolien setzen die Schüler ihre Auf- und Abgänge spektakulär in Szene. Der 40. Geburtstag, den die Cranko-Schule im November feiert, kann kommen.

Am 17. Juli tanzt die Cranko-Schule dasselbe Programm um 11 Uhr im Opernhaus; es gibt noch Karten unter 20 20 90. Die Vorstellung wird auf die Leinwand im Schlossgarten übertragen.