„Nachts schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert, umgesetzt und gezeichnet von Stefan Dinter. Foto: StN

Stefan Dinter ist Zeichner, Grafiker, Illustrator und Chef eines kleinen Comic-Verlags – Das Lager ist in einem Speicher im Westen

Stuttgart - Ein Besuch in seinem Verlag Zwerchfell? Kein Problem, sagt Stefan Dinter, „kommen Sie vorbei, ich bin daheim“. In seiner Wohnung in der Reinsburgstraße im Westen hat er auch sein Büro. Wohnen und Arbeiten in einem, ein modernes Prinzip. Das wird die Grünen freuen. Aber das hat weniger mit dem Umweltschutz zu tun als mit der Tatsache, dass sich mit Comics nicht viel Geld verdienen lässt. „Dass ich Comics zeichne und sie auch noch verlege, ist dem Altersstarrsinn geschuldet“, sagt er und grinst. Wohlgemerkt, der Mann ist 47. Wir sitzen an seinem Küchentisch und trinken Schwarztee.

Dinter erzählt, wie man sein Leben dem Zeichnen widmen kann. Ausgerechnet in Deutschland! In Frankreich zur „neunten Kunst“ erhoben, in Belgien Teil der zerbrechlichen nationalen Identität, in den USA unverzichtbarer Part der Popkultur, galten Comics in Deutschland als billige Blättchen, die sich gerade mal Kinder zu Gemüte führen durften. Und auch nur dann, wenn sie die Hausaufgaben gemacht hatten.

In Gaienhofen am Bodensee muss das anders sein. Dort ist Dinter mit seinen Brüdern Matthias und Jan aufgewachsen – alle drei zeichnen Comics. Auch Cousin Tim ist den Bildergeschichten verfallen. Gaienhofen, das Epizentrum des deutschen Comics? „Meine Brüder drehen auch Filme, führen Regie, übersetzen“, sagt Dinter, „doch offenbar haben Comics bei uns bleibenden Eindruck hinterlassen.“ Und er erzählt, wie er als Knirps aus „Asterix“ vorlas, „obwohl ich gar nicht lesen konnte“. Die Fantasie half aus. „Später war ich enttäuscht, als ich begriffen habe, dass der gemütliche Dicke nicht Asterix ist.“

Asterix und Obelix, die kennt man. Aber deutsche Bildergeschichten? Da fällt dem Bildungsbürger gerade noch Wilhelm Busch ein. Andere haben schon mal was von Brösel oder Ralf König gesehen, aber wer in Deutschland seine Existenz ans Zeichnen und Verkaufen von Comics knüpft, muss schon sehr leidenschaftlich oder, nun ja, starrsinnig sein. „Es ist das, was ich kann, was ich gerne mache“, sagt Dinter. Grafikdesign hat er an der Merz-Akademie studiert, lehrt auch dort, er macht Illustrationen, zeichnet Storyboards für Filme, er macht also quasi einen Comic aus dem Drehbuch. Was fasziniert ihn so an dieser Kunstform? „Es ist ein Medium, das alles kann“, sagt er, „das Tollste sind die Denkblasen, man kann die Figuren was sagen und gleichzeitig denken lassen. Der Leser erfasst das auf einen Blick.“ Wunderbare Geschichten könne man so erzählen.

Im Comic kann man die Welt auf den Kopf stellen

Das hat er im Auftrag der Bosch-Stiftung am Friedrich-Eugens-Gymnasium Schülern nähergebracht. Sie haben „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller umgesetzt. „Erst mussten wir das Wesentliche herausarbeiten und darauf reduzieren.“ Dabei stellten die Schüler fest, „dass Schiller ein riesiges Plotloch hat“. Also die Handlung unlogisch ist. Nach Tells Flucht wissen die Soldaten etliche Kilometer entfernt sofort Bescheid. „‚Wie kann das sein?‘, haben wir uns gefragt und den Wachen Handys beschert.“

So ist das im Comic: Da kann man die Welt auf den Kopf stellen. Nur mit der Fantasie und dem Zeichenstift. Mit seinen eigenen Comics macht Dinter das regelmäßig, damit begnügt er sich aber nicht. Er verlegt auch Comics. Mit dem Gründer von Zwerchfellm Christian Heesch hat er seit Ewigkeiten zusammengearbeitet, seit drei Jahren nun führt er mit dem Frankfurter Christopher Tauber die Geschicke des 1988 gegründeten Zwerchfell-Verlags. Und druckt und vertreibt vor allem Geschichten deutscher Kollegen. In Auflagen von einigen Hundert oder Tausend Stück. „Wir machen sechs Projekte im Jahr.“ Und zwar nur mit Leuten „mit denen ich kann“. Denn „für das bissle, das man verdient, ist wichtig, dass man sich mag“. Mitunter ist er auch als Kuppler tätig. „Der eine ist erzählerisch noch nicht so weit, der andere zeichnerisch“, sagt er, „ich bringe die Leute dann zusammen, damit sie gemeinsam etwas machen.“ Er verlegt eigentlich alles „außer Cartoonbücher und Superhelden“. Und jetzt sogar Erotik. „Bettgeschichten“ heißt der Sammelband, in dem sich auch bekannte Zeichner wie Reinhard Kleist oder die Ex-Stuttgarterin Naomi Fearn austoben.

Das ist insofern ganz passend, als dass es einst zwei Orte gab, wo der sittentreue Bürger nicht gesehen werden durfte: im Pornoladen und im Comicshop. Nichts ruinierte den Ruf nachhaltiger, als Magazine mit nackten Frauen und solche mit bunten Bildern. Frei nach dem Motto, „ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ungeniert“, bringen Dinter und Tauber nun also „Bettgeschichten“ heraus.

Ihr Lager haben sie übrigens in einem Speicher im Westen. Dafür ist im Büro nun wirklich kein Platz mehr.