Das Weltrekordmotorrad Egli MDR-1 im Colani-Design ist ein Unikat. Foto: Gottfried Stoppel

Linien und rechte Winkel waren nicht Luigi Colanis Ding. In Waiblingen eröffnet nun eine Ausstellung über den rebellischen Designer – sie zeigt auch ein weltberühmtes Unikat.

Gerade Linien, Ecken und Winkel waren ihm ein Graus. Luigi Colani, der im Jahr 1928 als Lutz Colani in Berlin geboren wurde, sei definitiv kein Fan des funktionalen Bauhaus-Stils gewesen, sagt Mirjam Kreber. Sie hat die Ausstellung in der Galerie Stihl Waiblingen über den im Jahr 2019 verstorbenen Industriedesigner Luigi Colani konzipiert, die vom kommenden Samstag an regulär geöffnet ist.

Colanis Ding, das waren von der Natur inspirierte Formen, Kurven und Rundungen. Und das ist beim Gang durch die in acht Bereiche gegliederte Ausstellung auf Schritt und Tritt zu sehen: An der in Tropfenform gestalteten Teekanne des Rosenthal-Services „Drop“ ebenso wie am luxuriösen, apricotfarbenen Doppelwaschbecken, das Colani für den Keramikhersteller Villeroy & Boch designte und dessen Standbein an die Form eines Kleeblatts erinnert.

Der Weltrekordversuch gelang 1986 auf einem Salzsee in Utah

Auch beim knallroten Motorrad des Schweizers Fritz Egli sucht man vergebens nach Ecken und Kanten. Das neben Colanis Entwurfszeichnung aufgebaute Originalmodell einer Egli MDR-1 mit Lachgaseinspritzung ist ein Unikat und hat im Jahr 1986 mit etwas mehr als 272 Kilometern pro Stunde einen Weltrekord aufgestellt.

Um das Fahrzeug möglichst windschlüpfrig zu machen, wurde es an seinen Fahrer Urs Wenger angepasst. Dieser verschwand nahezu komplett unter der roten Verkleidung – definitiv kein Motorrad für Klaustrophobiker. „Der Mensch verschmilzt hier mit der Form“, erklärt Mirjam Kreber. Wobei trotz aller Rundungen am Ende doch eine Linie ins Spiel kommt: Aufgrund der Verkleidung, die auch den Großteil der Räder umhüllt, kann die Maschine tatsächlich nur in einer Linie geradeaus fahren.

Sein Wissen über Aerodynamik hatte Colani bei einem Studium an der Pariser Sorbonne erworben. Ein Bildhauerstudium habe er vorzeitig beendet, berichtet Mirjam Kreber – mit der Begründung, dass ihm die Lehrkräfte dort nichts mehr beibringen könnten. Markante Sprüche waren typisch für den gebürtigen Berliner, der sich selbst einen „Formphilosophen“ nannte und sicherlich nicht zum Diplomaten getaugt hätte. Denn er tat den Mitmenschen gerne unverblümt seine Meinung kund.

Ein Popstar in Weiß mit markantem Schnauzer

„Er hat sich selten korrigiert“, sagt die Kuratorin Mirjam Kreber, was übrigens auch für seine Entwürfe zutreffe. „Colani war ein fantastischer Zeichner.“ Er habe all seine Ideen zunächst auf Papier gebracht – etliche Beispiele dafür zeigt die Ausstellung. Der Großteil stammt aus der Sammlung Gerd Siekmanns, der bereits in den 1990er-Jahren ein Fan Colanis war, wie Kreber berichtet. „Er hat schon damals Unternehmen und ehemalige Mitarbeiter Colanis abgeklappert, Zeichnungen und Objekte zusammengetragen.“ Luigi Colani war da bereits zu einer Art Popstar unter den Designern avanciert. Ein Mann mit eindrucksvollem Schnauzbart, der sich am liebsten ganz in Weiß kleidete. Seinen Namen setzte er als unverkennbares Markenzeichen ein. In Möbel ließ Colani seine Unterschrift gar mittels Brandeisen verewigen, ein Modell ist in Waiblingen ausgestellt. Selbst normale, weiße Wandfarbe avancierte dank seines Signets auf dem Eimer zum Designerstück.

Selbst das stille Örtchen hat er sich vorgenommen

Nicht nur in Sachen Marketing sei Colani seiner Zeit weit voraus gewesen, sagt Mirjam Kreber. Er war beispielsweise auch der Erste, der mit dem Kinderstuhl „Zocker“ ein Möbel schuf, das speziell an den Kinderkörper angepasst war. Zuvor waren Kinderstühle schlicht geschrumpfte Erwachsenenmodelle. Der „Zocker“, dessen Rückenlehne auch als Schreibpult genutzt werden konnte, wurde Anfang der 1970er-Jahre zum Erfolgsmodell. Der Stuhl zum Preis von 39,95 D-Mark verkaufte sich gut.

Dass Kunststoff eine wichtige Rolle im Design Colanis spielte, sei dem Zeitgeist geschuldet, sagt Mirjam Kreber: „Viele Designer haben damit experimentiert, denn Plastik bot viele neue Möglichkeiten.“ Dennoch war Colani auch ein ökologischer Visionär: Schon vor 1971 entwickelte er ein elektrisches Stadtauto und bemühte sich bei anderen Fahrzeugen, wie etwa dem in Waiblingen ausgestellten Colani GT, den Benzinverbrauch kräftig nach unten zu drücken.

Das Leben sollte ein bisschen besser werden

Weil Colani gemäß seiner Designtheorie alle Lebensbereiche des Menschen und auch dessen Zukunft verbessern wollte, hat er überall seine Spuren hinterlassen. Sogar am stillen Örtchen. Die Toilette habe er zum Wohnraum, das Bad zum Wohlfühlbereich aufgewertet, sagt Mirjam Kreber: „Er hat den Grundstein für das heutige Baddesign gelegt.“ Die Badewanne, in der Mensch zu zweit sitzt oder das Waschbecken, das sich an die menschliche Körperform schmiegt, sind nur zwei Beispiele für Colanis von der Natur inspiriertes Biodesign der Zukunft. Das war zwar visionär, aber nicht abgehoben und verfolgte einen Zweck: Es sollte das Leben ein bisschen besser machen.

„Luigi Colani. Popstar des Designs“ eröffnet am Freitag, 17. November, 19 Uhr, in der Kunstschule Unteres Remstal, Eva-Mayr-Stihl-Platz, und hat ab dem 18. November regulär geöffnet. Immer dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

Rundgang mit dem Sammler und weitere Programmpunkte

Wochenende
 Von 1. bis 3. Dezember lädt die Galerie Stihl zum Colani-Weekend ein – mit einem Dokufilm über Colani am 1. Dezember, 19 Uhr, oder einem Vortrag mit Colanis letzter Meisterschülerin Hellen Westerhof am 2. Dezember, 18 Uhr. Ein Highlight ist die exklusive Führung mit dem Hauptleihgeber der Ausstellung, Gerd Siekmann, am 2. Dezember von 16 Uhr an. Siekmann stellt bei dem Rundgang ausgewählte Stücke seiner Sammlung vor.

Konzert
 Am Donnerstag, 23. November, treten die Teilnehmenden der 4. Internationalen Opernwerkstatt in der Galerie auf. Zu hören gibt es von 18.30 Uhr an ein musikalisches Potpourri von länderspezifischen Volksliedern bis hin zu Opernmelodien. Durch den Abend führen die Opernsänger Melanie Diener und Thomas Hampson. Ab 16 Uhr ist der Ausstellungsbesuch kostenlos, die Galerie ist bis 21 Uhr offen, zwischen 18.30 und 19.30 Uhr ist der Zutritt nicht möglich. Der Eintritt ist frei, die Plätze begrenzt. 

Kunstschule
Die Kunstschule bietet Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an, so kann man aus Recyclingmaterial, Knete oder Ton ein Traumauto gestalten oder futuristische Objekte herstellen. Für Lehrkräfte gibt es am 28. November von 18 Uhr an einen Abend über die Workshops, Anmeldung ist erforderlich per E-Mail (kunstvermittlung@waiblingen.de).