Beim thema Schulpolitik wittert die Opposition ihre Chance zum Gegenhalten - wie gerechtfertigt das ist, bleibt meist ungefragt Foto: dpa

Gemeinschaftsschule: Bedauerlich, dass die CDU-Spitze die neue Schulform als „Einheitsschule“ verunglimpft und mit unlauteren Berechnungen nachweisen will, dass sie gegenüber anderen Schularten bevorzugt werde. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, kommentiert Maria Wetzel.

Stuttgart - Muss das sein – und ausgerechnet vor Weihnachten?, klagte kürzlich die Mutter eines Grundschülers. Ihr Sohn sollte in seiner Klasse ein Buch vorstellen. Das Problem der Frau – einer Lehrerin an einer weiterführenden Schule – war, dass sie selbst das Buch noch nicht gelesen hatte und ihrem Sohn wohl nicht zutraute, die Aufgabe allein zu bewältigen.

Das Beispiel aus der Region Stuttgart ist kein Einzelfall. Kürzlich schlug ein Rektor Alarm, weil Eltern ihre Kinder mit dem Auto bis vor die Schultür fahren (und dabei mitunter andere Schüler gefährden), ihnen den Ranzen ins Klassenzimmer tragen und auch noch mit Lehrern sprechen wollen, wenn diese eigentlich unterrichten sollen. Ein anderer Schulleiter stellt seit Jahren fest, dass Eltern Aufsätze für ihre Kinder schreiben oder deren Matheaufgaben lösen. Experten sprechen von sogenannten Helikoptereltern – Müttern und Vätern, die nur das Beste für ihre Kinder wollen und glauben, dass sie ihnen dazu jeden Stein aus dem Weg räumen müssen. Hinter dieser Überfürsorglichkeit stecke häufig die Angst, Kinder loszulassen. Sie ist in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen.

„Hilf mir, es selbst zu tun“ – so hat die italienische Reformpädagogin Maria Montessori vor Jahrzehnten formuliert, was Kinder von Erwachsenen brauchen. „Zeig mir, wie es geht, tu es nicht für mich.“ Sie forderte, den Kindern Zeit für ihre Entwicklung zu lassen und ihnen zu erlauben, auch aus Fehlern zu lernen. Doch diese Gelassenheit und dieses Vertrauen fehlt vielen Erwachsenen, Eltern wie Lehrern. Im schulischen Alltag heute ist dafür oft zu wenig Platz. Wenn ein verpatztes Diktat oder eine schlechte Mathearbeit in der Grundschule schon den Weg zur weiterführenden Wunschschule verbauen können, ist das kein Wunder. Dass die Grundschulempfehlung seit 2012 nicht mehr verbindlich ist, sondern Eltern bei der Wahl der weiterführenden Schule nun das letzte Wort haben, bringt vielen nur kurze Entspannung.

Überfürsorglichkeit ist auch ein Hinweis darauf, dass Eltern der Schule nicht trauen. Manche befürchten – teils zu Recht –, dass ihr Kind nicht genügend gefördert und unterstützt wird und in Schubladen wie „ungeeignet“ oder „unbegabt“ landet, wenn es sich nicht reibungslos einfügt. Schüler lernen und entwickeln sich dann am besten, wenn sie gut begleitet werden – zu Hause und in der Schule. Das bedeutet, sie dort abzuholen, wo sie sind – statt Unmögliches von ihnen zu verlangen und ständig ihre Defizite zu betonen. Eine Chance dazu bietet die neue Gemeinschaftsschule, die Grün-Rot eingeführt hat. Dank individueller Förderung sollen alle den für sie bestmöglichen Schulabschluss erreichen können.

Umso bedauerlicher ist es, dass die CDU-Spitze jede Gelegenheit nutzt, die neue Schulform als „Einheitsschule“ zu verunglimpfen, und mit unlauteren Berechnungen nachweisen will, dass sie gegenüber anderen Schularten bevorzugt werde. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Jahrzehntelang überließ die frühere Landesregierung etwa die Sprachförderung von Einwandererkindern weitgehend dem Engagement Ehrenamtlicher und damit mehr oder weniger dem Zufall. Sie kümmerte sich vor allem um die Gymnasien und Hauptschulen – um Erstere, weil erfahrungsgemäß Gymnasialeltern am schnellsten Druck machen, um Letztere, weil sie den Schülerrückgang an den Hauptschulen stoppen wollte. Glaubwürdiger wäre die CDU, wenn sie sich mit den anderen Fraktionen im Landtag an einen Tisch setzen und über einen Schulfrieden verhandeln würde, statt mit immer neuen, teils widersprüchlichen Konzepten Dauerwahlkampf zu machen und Eltern und Lehrer weiter zu verunsichern.

m.wetzel@stn.zgs.de