Katharina Schüttler singt, in der Jury sitzen (v. l.) Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein. Foto: Verleih

Die alleinerziehenden Mütter kommen, die dysfunktionalen Familien reisen ihnen nach, die Casting-Show der zweiten Chance ist ihr Ziel. Im November drehte Regisseur Dani Levy in Pforzheim Szenen seines neuen Kinofilms „Die Welt der Wunderlichs“ – und das Kongresszentrum der Stadt verwandelte sich in eine Züricher Showbühne.

Pforzheim - Mimi war einmal Musikerin und ist nun Mutter. Der Vater ihres Sohnes war ebenfalls Musiker und versank im Drogensumpf. Mimi nimmt es mit dem Alltag auf – eine toughe Frau, die ihren Traum, wieder auf der Bühne zu stehen, vergessen will. Ihr Sohn jedoch, ein kleiner Diktator, weiß es besser. Er hat die Mama heimlich angemeldet zur Eurovision-Casting-Show „Second Chance“. Mimi ahnt nichts, als das Telefon schließlich bei ihr klingelt – und reist schließlich nach Zürich, um an der Show teilzunehmen. Was sie nicht weiß: Ihre ganze Familie reist ihr nach und verursacht unterwegs Chaos.

„Die Deutschen wollen sich so sehen, wie sie sind“, sagt der Filmproduzent Stefan Arndt. Er betreibt gemeinsam mit Dani Levy, Tom Tykwer und anderen die Produktionsgesellschaft X Filme Creative Pool und war Koproduzent von „Lola rennt“, „Goodbye Lenin“ und Michael Hanekes „Das weiße Band“. „Es ist eine harte Zeit für den deutschen Film“, sagt Arndt am Set in Pforzheim. „Arthouse-Filme laufen nicht mehr, aber wir wollen unseren Anspruch nicht aufgeben.“ Dass die „Welt der Wunderlichs“ Parallelen zum US-Hit „Little Miss Sunshine“ aufweist, stört den Produzenten nicht: „Das war einer der besten Filme der vergangenen zehn Jahre.“

Casting-Shows sind ein großes Thema, weiß Stefan Arndt, und ein Roadmovie bietet immer gute Gelegenheiten, ein Land aus anderer Perspektive auf die Leinwand zu bringen. In Deutschland allerdings steht nicht die Tochter auf der Casting-Bühne, sondern die Mutter. Auch wer in der Jury sitzt, weiß man inzwischen: der Modern- Talking-Sänger Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein. Und Mimi wird gespielt von Katharina Schüttler, die zuletzt in „Elser – Er hätte die Welt verändert“ zu sehen war.

Das Drehbuch wurde auf Katharina Schüttler zugeschnitten

Für Stefan Arndt ist die 36-jährige die Idealbesetzung. Regisseur Dani Levy („Alles auf Zucker!“) schrieb das Drehbuch selbst. Spätestens von der dritten Fassung an stand fest, dass Schüttler die Rolle übernehmen würde – und die Figur der Mimi wurde auf sie zugeschnitten. „Sie besitzt ein Leuchten, eine ganz eigene Ausstrahlung“, findet Arndt. „Wir wollen eine echte Frau zeigen, in einem Film, in dem maximale Emotionen aufeinandertreffen.“

Die Sippe dieser echten Frau allerdings muss eine besondere sein: „Jeder in dieser Familie hat einen Knall“, sagt Arndt. Christiane Paul spielt die Schwester, die einen Kosmetiksalon betreibt; Peter Simonischek, der gerade in „Toni Erdmann“ für Furore sorgt, den manisch-depressiven Vater, der sich als Beamter des Gesundheitsamtes ausgibt und eine Autobahnraststätte ins Chaos stürzt. Hannelore Elsner ist als Mimis Mutter zu sehen, die einst Schlagersängerin war. Steffen Groth gibt mit Blut an der Schläfe eine Zufallsbekanntschaft, die Mimi mit der Vespa überfahren hat. Mimis Ex-Mann wird von Martin Feifel gespielt – er gleicht einer Mischung aus allen verfügbar verruchten Rockklischees: Kostüm und Maske haben ihm ein bisschen Alice Cooper, ein bisschen Keith Richards, einen Schuss Jimi Hendrix und noch einen Schuss Michael Jackson zusammengemixt. Ernst Wilhelm Rodriguez schließlich, während der Dreharbeiten, erst sieben Jahre alt und ganz ohne Filmerfahrung, ist ein Glücksfall als kleiner Diktator.

Das Pforzheimer Kongresszentrum hat sich für sie in die große Showbühne verwandelt. Die Kulisse schimmert neonblau, die Ränge sind mit Komparsen besetzt, der Applaus tost, als Katharina Schüttler ins Rampenlicht tritt und ihre akustische Gitarre anschlägt. „Mimi Wunderlich!“, ruft die Moderatorin.

Alle in Pforzheim gedrehten Szenen spielen in Zürich

Die Suche nach einer geeigneten Bühne brachte das Team um Dani Levy nach Pforzheim. Alle Szenen, die dort gedreht wurden, spielen allerdings in Zürich. Die Stadt kam den Filmleuten bereitwillig entgegen, Transparente und Flyer warben um Komparsen. Und die Leute kamen: Mehr als 500 von ihnen füllen die Halle beim Dreh der Casting-Show. Am nächsten Tag zog das Filmteam weiter ins benachbarte Stadttheater, um noch einige Backstage-Szenen zu drehen – wie immer ist die im Film gezeigte Welt zusammengebaut aus Einzelstücken, die auf der Leinwand zur großen Illusion verschmelzen.

Deutschland wird bei dieser Illusion immer um die Ecke schauen: Zwischen Mannheim und Zürich entstanden viele Außenaufnahmen, die den Hintergrund abgeben werden für das Roadmovie um die mutige Mutter und ihren spinnerten Anhang.

Hinter der Bühne des Pforzheimer Kongresszentrums herrscht bereits Aufbruchsstimmung, aber eine Szene muss noch gedreht werden: Katharina Schüttler geht in ihre Garderobe. Im engen Gang die Kamera, die Techniker, der Regisseur. Als sie dann vom Dreh kommt, trägt Schüttler Jeans, ein Hemd und ein Pelzjäckchen und ist noch ganz in ihrer Rolle. Martin Feifel steht neben ihr.

Zunächst weckt der Song-Contest böse Erinnerungen

„Mimi“, sagt sie, „ist eine starke Frau. Sie findet sich selbst stark, aber sie hat auch starke Gegner. Sie hat überhaupt keine Lust, bei der Show mitzumachen, aber als sie herausfindet, dass ihr Sohn sie angemeldet hat, berührt sie das so, dass sie Ja sagt.“ Ein Song-Contest war es, bei dem Johnny einst seinen großen Blackout erlebte, Mimi denkt nicht gerne daran zurück. „Sie ist kein extremer Charakter. In ihr können sich viele wiederfinden. Sie steht für den Wunsch, sich vom Fluch der eigenen Familie zu befreien“, sagt Katharina Schüttler. Johnny dagegen ist einmalig: „So einen wie ihn“, meint Martin Feifel und grinst, „gibt es, glaube ich, nicht noch einmal.“