Wahlkampf-Vandalismus: Ein Plakat der Piraten wurde überklebt (links), das Konterfei von CDU-Kandidat Stefan Kaufmann heruntergerissen. Foto: Montage/StN/Leif Piechowski

Überall in Stuttgart hängen sie wieder: die Köpfe, mit denen Parteien um Stimmen bei der Bundestagswahl werben. Die Zerstörung der Werbung macht im Laufe eines Wahlkampfs allen Parteien zu schaffen. Dass ausgerechnet eine evangelische Kirchengemeinde ein Plakat zerstört haben soll, ist aber neu.  

Stuttgart - Exakt 14 Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen wollen seit dem 10. August vor der Bundestagswahl im September in Stuttgart an 21.000 Standorten für sich und ihre Ziele werben. Die Piraten haben in der Landeshauptstadt bereits knapp 3000 Plakate aufgehängt. Eines davon direkt vor der evangelischen Lutherkirche in Ostheim. Der Slogan lautet: „Religion privatisieren. Piraten wählen“. „Klar, dass wir bei der Wahl auch provozieren wollen und das Plakat auch deshalb vor der Kirche hing“, sagt Martin Eitzenberger, Landesvorsitzender der Piraten.

Die Provokation hat funktioniert: Das Plakat wurde mit einem anderen Plakat überklebt. Der Text lautet: „Evangelische Gemeinde. Für echte Begegnungen und ein solidarisches Miteinander.“ Martin Eitzenberger ist überzeugt, dass der oder die Übeltäter zur Lukas- und Lutherhauskirchengemeinde gehören müssen. „Das Plakat wurde auf Gemeindepapier gedruckt“, sagt er und hätte erwartet, dass eine evangelischen Kirchengemeinde Toleranz gegenüber Andersdenkenden aufbringt.

Pfarrer Gerd Häußler kann sich zu den Vorwürfen gegenüber seiner rund 3000 Seelen umfassenden Gemeinde nicht äußern. Er ist mittlerweile im Urlaub. Doch Christoph Schweizer, Medienpfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Stuttgart, räumt ein: „Es sieht tatsächlich so aus, als habe jemand, der Zugang zum Pfarrbüro hat, den Piraten-Slogan überklebt.“ Diese Vermutung liegt nahe, weil das neu geklebte Plakat eindeutig auf die Kirchenwahl am 1. Dezember hinweist. Dazu, wer der Missetäter war, will Schweizer sich nicht äußern. Da komme vom Pfarrer bis zu dessen Familie, der Sekretärin und vielen ehrenamtlichen Helfern jeder infrage. Das Pfarrbüro sei schließlich kein Hochsicherheitstrakt. Dass das Kirchenplakat auf das Piraten-Plakat geklebt wurde, hält Schweizer für bedauerlich. „Besser wäre es gewesen, es danebenzukleben“, sagt er und steckt die Aktion in die Kategorie „dummer Scherz“ einer Einzelperson. Das werfe auch mit Blick auf die zunehmende Sachbeschädigung kein gutes Licht auf eine Gemeinde, sagt er und hofft, dass es keine juristischen Konsequenzen gibt.

Anzeigen bewirken wenig

Die Piraten wollen von einer Anzeige wegen Sachbeschädigung absehen. „Wir bieten der Gemeinde den Dialog an, würden uns mit den Mitgliedern und dem Verursacher gern über unsere Ziele unterhalten“, sagt Eitzenberger. Medienpfarrer Schweizer hofft, dass die Gemeinde das Angebot annimmt. Dazu zwingen könne man die Gemeinde allerdings nicht.

Dass Anzeigen wenig bewirken, diese Erfahrung hat die CDU beim vergangenen OB-Wahlkampf gemacht. „Damals haben wir zehn Leute beim Zerstören von Plakaten auf frischer Tat ertappt. Der CDU-Kreisverband hat Strafantrag gestellt“, sagt Philipp Hahn, Wahlkampfmanager des CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann. Die Staatsanwaltschaft hat die Sache wegen Geringfügigkeit eingestellt. Auf Kaufmanns Plakate haben es Rowdys im jetzigen Wahlkampf besonders abgesehen. Sie malen ihm schwarze Warzen und Zahnlücken ins Gesicht. Hahn schätzt, dass während eines Wahlkampfs etwa zehn Prozent aller Plakate mutwillig abgerissen oder beschädigt werden. So wurden zwischen der Stadtbahnhaltestelle Ruhbank und dem Ortseingang Sillenbuch am vergangenen Wochenende außer den CDU-Plakaten auch die Plakate aller anderen Parteien abgerissen. Die Piraten klagen außerdem darüber, dass rund 150 Plakate fehlen, auf denen sie für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare werben.

Ansonsten geht es noch mit weniger Zerstörung als bei anderen Wahlkämpfen ab. „Bisher sind ein gutes Dutzend Plakate beschädigt worden“, sagt zum Beispiel Benjamin Lauber, Wahlkampfmanager des Grünen-Politikers Cem Özdemir. SPD-Bundestagskandidat Nicolas Schäfstoß sagt, dass die Zerstörung wesentlich geringer sei als bei den Landtagswahlen 2011 und bei der OB-Wahl 2012. Dass das damit zusammenhängen könnte, dass die Parteien beim Plakatieren die Innenstadt bisher ausgespart haben, stellt FDP-Kreisvorsitzender Armin Serwani fest: „Wegen des Vandalismus plakatieren alle Parteien dort erst zum Schluss“, sagt Serwani.