Im ganzen Land entstehen derzeit Bürgerinitiativen - nicht nur in Stuttgart.

Konstanz/Heidelberg - Nicht nur in Stuttgart wird gegen Bauvorhaben protestiert. Im ganzen Land entstehen Initiativen, die den Lokalpolitikern das Fürchten lehren. Die Bürgerinitiativen haben viele Gemeinsamkeiten.

In der ganzen Stadt hängen Banner von Balkonen und Gebäuden herunter. So auch an der beigen Wand einer ehemaligen Kaserne, die heute als Wohnhaus dient. Auf den Bannern steht "Parkhaus mit Seeblick? Nein, Danke!" und "93 Millionen sind zu viel! Deshalb NEIN zum Konzerthaus".

Diese Szene eines Bürgerprotests spielte sich in Konstanz ab. In einem Bürgerentscheid im März stimmten zwei Drittel der Wähler gegen den Bau eines Konzert- und Kongresshauses. Das Projekt wurde trotz einer 30 000 Euro teuren Kampagne dafür abgelehnt. Auch in Heidelberg scheiterte die Erweiterung der historischen Stadthalle an einem Bürgerentscheid. Und während in Stuttgart die Anhänger der Parkschützer und von Robin Wood mit ihren Demonstrationen Stuttgart 21 verhindern wollen, werden die Bürger in Weinstadt am 10. Oktober über den Bau eines Hallenbads abstimmen. Die Bürger sind mutiger geworden und widersetzen sich den Großprojekten der Stadträte. Die Bürgermeister haben es schwer.

Wolfgang Seibel, Professor für Politikwissenschaft in Konstanz, sieht im allgemeinen Rückgang der Wahlbeteiligung und den Stimmenverlusten der Volksparteien Anzeichen für einen Vertrauensverlust der Politik. Untersuchungen, die einen Vertrauensverlust oder eine Zunahme von Bürgerprotesten beweisen, seien ihm aber nicht bekannt. "Klar ist, dass hauptsächlich gut ausgebildete und artikulationsfähige Menschen aus der Mittelschicht Bürgerentscheide nutzen", sagt Seibel. Er weist darauf hin, dass es wesentlich einfacher sei, gegen ein Projekt zu mobilisieren als ein eigenes Projekt zu entwickeln und erklären. Baden-Württemberg führte 1956 als erstes Bundesland Bürgerentscheide ein. Viele andere Bundesländer schufen erst nach der Wiedervereinigung die rechtlichen Möglichkeiten dafür. Von 1995 bis Januar 2008 fanden in Baden-Württemberg 110 Bürgerentscheide statt. Reinhard Hackl, Landesvorsitzender des Vereins Mehr Demokratie, kritisiert die Richter im Land. Deren Rechtsprechung verhindere seit 2008 viele Bürgerentscheide. Hackl sagt: "Den Bürgern werden Rechte weggenommen. Bei der Bürgerbeteiligung ist Baden-Württemberg weit hinten."