Einer der Organisatoren der Gruppe „Stuttgart passt auf“ macht sich am Samstag auf den Weg zum Rundgang in der Innenstadt Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

In Stuttgart haben am Wochenende die Bürgerpatrouillen zum Schutz von Frauen begonnen – allerdings mit offener Zukunft. Eine Bürgerwehr soll in der Landeshauptstadt nicht entstehen.

Stuttgart - Samstagabend um 22 Uhr in einer Kneipe im Stuttgarter Westen. An einem Tisch sitzen vier junge Männer um die 30. Vor ihnen stehen Kaffeetassen und Energydrinks in Dosen. Mit dem Finger verfolgen sie auf einem Stadtplan die Route, die sie in dieser Nacht abgehen wollen. Quer durch die Stuttgarter Innenstadt. Um parat zu sein, wenn es zu Übergriffen auf Frauen kommt wie in der Silvesternacht.

Die vier Männer um die 30 sind die Organisatoren einer Gruppe im Internet, die sich „Stuttgart passt auf“ nennt und mittlerweile rund 2000 Mitglieder zählt. „Wir sind keine Sheriffs. Wenn wir etwas sehen, rufen wir die Polizei. Unsere Waffen sind Augen und Handy“, sagt der Sprecher. Er nennt sich Holy Moly, weil alle anonym bleiben wollen. Von einer Bürgerpatrouille, wie ursprünglich angekündigt, haben sie an diesem Abend Abstand genommen. Im kleinen Kreis wollen die Männer sich ein Bild von der Lage in der Stadt machen. Weil sie das Gefühl haben, dass Frauen nicht mehr wirklich sicher sind. Dass sie selbst alle einen Migrationshintergrund haben, „macht uns vielleicht weniger anfällig für den Vorwurf, rechtsradikal zu sein“, hoffen sie.

Es geht hinein in die Innenstadt. Am Schlossplatz beginnt der Rundgang. Kalt ist es, ein beißender Wind bläst ins Gesicht. Die vier jungen Männer in den dunklen Mützen würden nicht auffallen, wenn an diesem Abend keine Fernsehkamera auf sie gerichtet wäre. Fünf Jungs mit Bierflaschen schicken ein paar Sprüche hinterher. Eine junge Frau erzählt, dass auch sie schon mal belästigt worden ist – „von Ausländern“, wie sie fast peinlich berührt hinzufügt.

Viele Passanten finden die Idee gut

Auf der Straße erfährt die Idee, als Bürger auf Streife zu gehen, erstaunlich viel Zuspruch. „Das finden wir sehr gut“, sagt eine Gruppe junger türkischer Männer, „unsere Frauen sind nicht mehr sicher.“ „Das finde ich sehr gut“, bekräftigt auch eine junge Frau in der Bolzstraße vor der Fernsehkamera. Ihre Freundin schlottert derweil im Minirock vor Kälte. Wirklich unsicher fühle sie sich nicht, erzählt sie. „Viel schlimmer ist das Parkplatzproblem.“ Ob sie sich von den vier Jungs beschützen lassen würde? „Wie süß. Da würde ich eher meine Brüder holen, bevor ich mich auf Fremde einlasse.“ Eine andere junge Frau, die offenbar an diesem Abend nicht viel zu tun hat, schließt sich der kleinen Gruppe spontan an und marschiert einfach hinterher. Hin und wieder provoziert sie Passanten. Die vier jungen Männer legen einen Zahn zu, um sie abzuschütteln.

Mit der Polizei hat die Gruppe vor dem Spaziergang Kontakt aufgenommen. Die Ordnungshüter zeigten sich besorgt. „Wir haben eindringlich darum gebeten, solche Rundgänge zu unterlassen“, sagt Sprecher Stefan Keilbach. Wenig begeistert ist auch Fritz Kuhn. „Die Entstehung von Bürgerwehren macht mir Sorgen“, sagt der Stuttgarter Oberbürgermeister. Ihm stelle sich die Frage, ob dabei das Gewaltmonopol des Staates unangetastet bleibe.

Das hat Eindruck hinterlassen – genauso wie die Tatsache, dass sich andernorts Rechtsradikale, Rocker und Kleinkriminelle unter die Bürgerwehren gemischt haben. In Düsseldorf wurde der Druck daraufhin so groß, dass der Organisator die Patrouillen nach der Erstauflage schon wieder beendet hat. „Wir sind nicht politisch, auch Geschlecht, Nationalität und Religion spielen bei uns keine Rolle“, sagt Holy Moly. Man wolle Rechtsradikalen keinerlei Plattform bieten und werfe entsprechende Leute sofort aus der Gruppe. Bisher habe er allerdings erst einen Eintrag auf der Facebook-Seite löschen müssen, der in diese Richtung ging.

Vorerst sollen keine Fremden zu den Rundgängen mitkommen

Dennoch sind die Organisatoren vorsichtig geworden. „Wir werden zu unseren Rundgängen erst einmal keine anderen Leute mitnehmen, sondern das nur im engen Freundeskreis machen. Alles andere könnten wir nicht verantworten“, sagen sie und machen sich in Richtung Theodor-Heuss-Straße auf. Dort dröhnen auch in dieser Nacht die Motoren. Sie wollten künftig im Internet berichten, was sie sehen und darüber diskutieren. Derzeit organisieren sie ein kostenloses Selbstverteidigungsseminar, wollen eine Notruf-App für Mobiltelefone entwickeln und können sich auch vorstellen, vielleicht einmal Trillerpfeifen auf der Königstraße zu verteilen, mit denen man im Notfall auf sich aufmerksam machen kann.

Ob das allen in der Gruppe genügt, erscheint allerdings zweifelhaft. Die Anfragen, wo und wann man sich an Bürgerpatrouillen beteiligen kann, reißen nicht ab. „Wir erklären dann jedes Mal, dass wir das jetzt nicht machen können. Wir hoffen, die Leute auf eine gemäßigte Gruppe einzuschwören und die Energie in die richtige Richtung zu lenken. Wir wollen schlicht ein Zeichen setzen“, sagen sie. Es wird sich zeigen, ob die Hoffnung sich erfüllt.

Beim Auftakt gibt es keine Zwischenfälle

Gegen 2 Uhr endet der erste Rundgang durch die Innenstadt. Erstaunlich leer ist es gewesen in dieser kalten Nacht und ziemlich ruhig. Auf Konflikte sind die vier jungen Männer nicht gestoßen. Noch am frühen Morgen berichten sie im Internet darüber. „Es ist gut, wenn nichts passiert. Dann freuen wir uns“, sagt Holy Moly. Erfreulich viel Polizei sei zu sehen gewesen. In Zukunft wollen sie ihre Spaziergänge in die spätere Nacht verlegen. Wann und wo, das soll vorher geheim bleiben. Nicht dass doch noch Leute für eine Bürgerwehr parat stehen.