Hier sitzen die schweren Jungs: Einfahrt zur Bruchsaler Haftanstalt Foto: dpa

Der in Bruchsal tot aufgefundene Häftling ist verhungert. Deshalb wird gegen den Anstaltschef und eine Ärztin ermittelt. Auch der Justizminister steht unter Druck. Doch niemand hat eine Antwort auf die Frage, wie man umgehen soll mit aggressiven Männern, die sich nicht helfen lassen.

Stuttgart/Bruchsal - Eigentlich ist Justizminister Rainer Stickelberger gerade dabei, seinem zypriotischen Kollegen die Vorzüge des deutschen Rechtssystems zu erklären. Die Reise nach Nikosia war lange geplant – lange bevor im Bruchsaler Gefängnis ein Häftling starb. Doch die Folgen dieses Vollzugsfiaskos sind mittlerweile so heftig, dass Stickelberger wenig Lust an seiner Mittelmeermission haben dürfte, denn zu Hause in Stuttgart steht er gehörig unter Druck.

„Staatsanwalt leitet Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen Anstaltsleiter und Ärztin ein“, teilte am Mittwoch die Karlsruher Behörde mit und zitierte auch gleich aus dem rechtsmedizinischen Gutachten zu dem Todesfall vom 9. August. Die Pathologen der Uni Heidelberg kämen zum Schluss, dass der Gefangene aus Burkina Faso „aufgrund einer Mangel- bzw. Unterernährung“ gestorben sei.

Mit anderen Worten: Der Häftling ist verhungert. Und das unter den Augen der Vollzugsbeamten, die dem aggressiven und psychisch kranken Mann täglich das Essen durch die Klappe reichten. Und das, obwohl eine Ärztin noch Ende Juni „keine Mangelerscheinungen“ diagnostiziert hatte, wie Stickelberger vor kurzem der Landtags-CDU mitteilte.

Doch der Gefangene rührte das Essen überhaupt nicht an. Und die Ärztin hat den Gefangenen auch nicht untersucht. Sie konnte es gar nicht, denn der Häftling ließ niemanden an sich heran und wehrte sich so heftig, dass die Beamten „Spuckhauben“ tragen mussten. Mehr als eine medizinische Inaugenscheinnahme war wohl nicht drin – und das wird der Medizinerin nun zum Verhängnis.

Möglicherweise, so fahren die Staatsanwälte fort, hätten der Gefängnischef und die Ärztin es unterlassen, dem Häftling die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Immerhin hatte ein Psychiater schon im Januar festgestellt, es bestehe „Behandlungsbedürftigkeit, jedoch keine Behandlungsbereitschaft“. Wie geht man also um mit solchen Menschen, die ihrer Umgebung nur feindselig gegenüber stehen? Diese Frage stellt sich nun die Politik.

Schon am Dienstag hatte der CDU-Sozial- und Rechtspolitiker Bernhard Lasotta in unserer Zeitung „organisatorische Mängel“ im Vollzug und im Ministerium ausgemacht. Dass Stickelberger zuletzt im Januar die Einzelhaft für ein weiteres Vierteljahr verlängert hatte, der Gefangene aber trotzdem bis zuletzt isoliert wurde, ist einer der Vorwürfe.

Am Mittwoch legte der Grünen-Strafvollzugsbeauftragte Jürgen Filius nach: „Dieser Todesfall wird organisatorische Folgen haben, das steht außer Frage.“ Bei langer Einzelhaft müsse sicher gestellt sein, dass die Informationen zum Justizministerium fließen. Filius: „Das war in Bruchsal ganz offensichtlich nicht der Fall.“ Die Politik müsse auch darüber reden, wie eine medizinische Versorgung in schwierigen Fällen gewährleistet sei.

Sein CDU-Kollege Karl Zimmermann hat schon eine Idee: Er erwägt die Einrichtung einer gesonderten Haftanstalt für psychisch auffällige Häftlinge. „Wir haben derzeit bis zu hundert Gefangene, die hoch problematisch sind“, sagte er unserer Zeitung, „da müssen wir uns überlegen, ob nicht eine besondere Einrichtung notwendig ist.“ Diese müsse extra gesichert sein und auch spezielle räumliche Voraussetzungen haben.

Auch eine Reform des Vollzugsrechts hält er für erwägenswert. Auf der aktuellen Basis gibt es seiner Meinung nach keine Möglichkeit, hoch aggressive Gefangene wie den in Bruchsal verstorbenen zu therapieren. Zimmermann: „Wir hatten diese Probleme schon bisher, doch jetzt sind sie publik geworden.“ Und dann stellt er noch eine Frage: „Welchen Arzt finde ich künftig noch, um in einer Haftanstalt eine Diagnose zu stellen?“