Viele Brieftauben kehren von Wettkämpfen nicht mehr zurück. Foto: dpa

Brieftauben werden immer häufiger Opfer von Greifvögeln – doch beide Arten stehen unter Schutz.

Pforzheim - Vor der Haustüre von Andreas Drapa in Königsbach-Stein machen sie sich bereits bemerkbar: seine Tauben. Leises Gurren aus dem Dachstuhl verrät ihren Wohnort. Drückt man auf die Türklingel des Brieftaubenzüchters, wird das Gurren der Tiere lauter, sofort ist hektisches Trippeln zu hören.

Doch wo im Winter noch 85 Tauben ein Zuhause hatten, sind es heute nur noch 54. Und davon sind nur 45 flugfähig. „Die restlichen Vögel wurden Opfer von Greifvögeln“, sagt Drapa. Neun seiner Brieftauben wurden in den vergangenen Monaten beim Ausflug verletzt, 31 kamen erst gar nicht wieder zurück in den Taubenschlag über seinem Wohnhaus. Drapa vermutet, dass sie von Wanderfalken getötet wurden. Das Problem für den Züchter aus Königsbach-Stein: Greifvögel, vor allem Wanderfalken, haben sich in den vergangenen Jahren wieder vermehrt. Und Tauben zählen zu ihrem Hauptnahrungsmittel. „Früher fraßen die Greifvögel auch Rebhühner, Hasen oder Fasane, aber die findet man heute im Wald eher selten“, so Drapa. Da es keine natürliche Nahrung mehr gebe, das Gleichgewicht nicht mehr stimme, müssten die Brieftauben herhalten.

„Dieses Problem ist jahrhundertealt“, sagt Hannes Huber vom Naturschutzbund Baden-Württemberg. Dies sei auch der Grund dafür, warum der Wanderfalke fast ausgestorben wäre. In der Mitte der 1970er Jahre gab es deutschlandweit gerade noch 50 Brutpaare. „Das lag damals an der Verwendung neuer Pestizide, die die Vögel vergiftet haben.“ Außerdem seien die Greifvögel oft illegal abgeschossen und ihre Eier aus den Nestern geklaut worden. In Asien wurden zur Zucht der Tiere horrende Preise für Eier gezahlt. In den vergangenen Jahren ging der Bestand der Wanderfalken wieder steil bergauf: Nach einer Erhebung der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz lebten im Jahr 2011 allein in Baden-Württemberg rund 250 Brutpaare. „Diese Entwicklung ist eine Erfolgsgeschichte für den Naturschutz“, sagt Hannes Huber. Dass die Brieftaubenzüchter das anders sehen, könne er nachvollziehen.

Manche Nester in Kirchtürmen werden mit Webcams überwacht

Normalerweise nisten Wanderfalken in Nischen von Felsen und Steinbrüchen. „Da diese aber heute seltener sind als früher, weichen sie beispielsweise auf Kirchtürme aus“, erklärt Huber. Dort würden oft Nistkästen aufgestellt, um den Vögeln eine geeignete Brutmöglichkeit zu bieten.

In dieser „Ansiedlung“ von Wanderfalken liege für die Brieftaubenzucht genau das Problem, so Andreas Drapa. Manche Nester in Kirchtürmen werden mit Webcams überwacht, unter anderem, um vor Eierraub zu schützen. „Da kann man genau sehen, dass sie hauptsächlich Tauben mit Ringen fangen und zum Nest bringen“ – also Brieftauben und nicht die vielen Menschen lästigen Stadttauben. In Baden-Württemberg gibt es 394 registrierte Brieftaubenvereine mit rund 2500 Mitgliedern. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter schätzt die Zahl der Tiere im Land auf bis zu 250.000. Heute, im Zeitalter von Handy, Internet, SMS und E-Mail, dienen Brieftauben nicht mehr der Nachrichtenübermittlung. Die Nutzung der Taube als Briefträger bedeutet auch einen erheblichen logistischen Aufwand: Die Vögel fliegen nicht zu einem bestimmten Ort hin, sondern immer zu ihrem Heimatschlag zurück. Egal, wo man sie freilässt: Warum und wie sie das machen, konnte noch nicht hinreichend geklärt werden. Bis vor kurzem hieß es, im Schnabel der Tiere befänden sich Nervenfortsätze mit Eisenpartikeln, die das Magnetfeld der Erde quasi wie einen Kompass nutzen. Diese Theorie wird allerdings seit Anfang dieses Jahres von zwei österreichischen Forschern angezweifelt.

Regelmäßig finden nationale und internationale Wettkämpfe mit den Tieren statt

Der Hauptnutzen von Brieftauben ist heute hauptsächlich sportlicher Natur. Regelmäßig finden nationale und internationale Wettkämpfe mit den Tieren statt. Andreas Drapa ist mit seinen Exemplaren bereits viermal Olympiasieger und einmal Weltmeister geworden. Zwischen 150 und 750 Kilometer legen seine Vögel bei einem Wettkampf zurück. Die Tiere werden dabei an einem festgelegten Auflassort losgelassen, und die Taube, die am schnellsten wieder ihren Heimatschlag erreicht, gewinnt den Wettkampf.

Die Situation mit den Greifvögeln besorgt Drapa immer mehr. Berufszüchter wie ihn gebe es nicht viele, „in ganz Deutschland vielleicht vier oder fünf“, so der 47-Jährige. Tiere aus seiner Zucht sind beliebt, sie kosten zum Teil fünfstellige Summen. Dreimal in der Woche führt er Trainingsflüge mit den Tauben durch. Früher habe er seine Vögel auch im Winter fliegen lassen, „das ist wegen der Greifvögel nicht mehr möglich“. Er habe sich sogar schon Gedanken darüber gemacht, ob er überhaupt weitermachen solle mit den Tauben.

Drapa weiß aber auch, dass es für sein Problem keine Lösung gibt. Denn sowohl Greifvögel wie der Wanderfalke als auch die Taube sind schützenswerte Tiere.