Boualem Sansal bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Foto: dpa

Boualem Sansal, der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, hat im Literaturhaus Stuttgart mit dem ehema­ligen Nahost-Korrespondenten der ARD, Jörg Armbruster, und dem Islamwissenschaftler und Übersetzer Stephan Milich in der Reihe „Terror, Texte, Wirklichkeiten“ über Islamismus diskutiert.

Stuttgart - Seine Analysen sind düster, sein Auftreten dagegen heiter. Das schlohweiße Haar trägt der algerische Schriftsteller und Islamkritiker Boualem Sansal schulterlang. Seine Ausführungen in französischer Sprache beendet er meist mit einem gewinnenden Lächeln. So auch bei einer Gesprächsrunde im Literaturhaus, bei der der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels mit dem ehemaligen Nahost-Korrespondenten der ARD, Jörg Armbruster, und dem Islamwissenschaftler und Übersetzer Stephan Milich in der Reihe „Terror, Texte, Wirklichkeiten“ diskutiert hat.

Ende der Welt

In Frankreich ist Boualem Sansal eine gefragte Stimme, wenn es in Talkshows um den gewalttätigen und machthungrigen Islam geht. Sein jüngstes Buch, kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen, ist in Frankreich ein 300 000-facher Bestseller: „2084 – das Ende der Welt“ beschwört – im Titel auf George Orwells Klassiker 1984 anspielend – ein Zeitalter, in dem die westliche Kultur untergegangen ist und ein islamistisches Regime die Kontrolle übernommen hat. Der französische Romancier Michel Houellebecq, der mit einem ähnlichen Thema in seinem Roman „Unterwerfung“ ebenfalls die Bestsellerlisten erobert hatte, hat den Text gelobt. Nicht nur der Titel von Sansals Dystopie bezieht sich auf Orwells Roman über einen totalitären Überwachungsstaat, es gibt viele Parallelen.

Literarische Verfahrensweisen

Im Stuttgarter Literaturhaus liest der Schauspieler Stefan Wancura drei Passagen aus Sansals Buch, die ohne den Gesamtkontext jedoch sperrig bleiben. Jörg Armbruster fragt denn auch nicht nach Sansals literarischen Verfahrensweisen, ihm geht es um die politische Einschätzung der Gegenwart. Ob die Entwicklung zur Diktatur ein konstituierender Wesenszug des Islams sei, will Armbruster wissen.

Milich, der Islamwissenschaftler, glaubt dies nicht. Er verweist auf die Verantwortung der westlichen postkolonialen Politik, die den Islamismus in vielen Ländern erst stark gemacht hat. Sansal antwortet auf die Frage gar nicht erst, sondern holt weit aus. Er spricht über die Aufspaltung der Religion nach dem Tod des Propheten Mohammed, über die Entstehung des Bürgerkriegs in Algerien. Da hilft auch das Einhaken des Fernsehjournalisten nichts, der immer wieder um kurze Antworten bittet. Erstaunlich, dass Boualem Sansal an diesem Abend nicht die pointierten Aussagen liefert, wie man es von ihm in Interviews gewohnt ist. „Wird 2084 so sein, wie Sie es im Roman beschrieben haben?“, fragt Armbruster den Schriftsteller am Ende. „Der Islamismus hat doch in den letzten dreißig Jahren schon erheblich zugenommen, man redet ja von nichts anderem mehr“, sagt Sansal. „Manchmal bin ich Pessimist. Daher lautet die Antwort: ja.“