Straßenschild zwischen Böblingen und Sindelfingen Foto: dpa

Die Doppelstadt mit Sindelfingen könnte den Kreis Böblingen vor eine Zerreißprobe stellen.

Böblingen/Sindelfingen - Der Aufstieg von Böblingen und Sindelfingen zu einer knapp 110.000-EinwohnerMetropole könnte den Kreis Böblingen vor eine Zerreißprobe stellen. Denn die neue Doppelstadt hätte die Möglichkeit, ein eigener Stadtkreis zu werden. "Das ist eine Option, die im Raum steht", sagt Sindelfingens OB Bernd Vöhringer.

Die Nachbarstädte sollen verschmelzen. Darin waren sich der Sindelfinger Oberbürgermeister Vöhringer und sein Böblinger Amtskollege Wolfgang Lützner (beide CDU) in dem am Dienstag veröffentlichen Interview mit unserer Zeitung einig. Frühester Termin könnte die nächste OB-Wahl in Sindelfingen im Jahr 2017 sein. Auf dem Weg zur Städte-Ehe legen die Rathauschefs aber ein unterschiedliches Tempo vor. Vöhringer will so schnell wie möglich Nägel mit Köpfen machen - und schreckt auch vor einem eigenen Stadtkreis nicht zurück. "Ja natürlich, das ist eine Option", sagte er am Donnerstag auf Anfrage. "Wir hätten deutlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten."

Der Böblinger Landrat Roland Bernhard hört das nicht gerne. "Gegen eine Fusion von Böblingen und Sindelfingen haben wir überhaupt nichts einzuwenden. Aber einem möglichen neuen Stadtkreis würden wir uns energisch entgegenstellen", erklärt er. Denn eine kreisfreie Doppelstadt hätte weitreichende Folgen: Mit 372.000 Einwohnern zählt der Landkreis Böblingen ohnehin schon zu den kleinen Kreisen in der Region. Mit einer selbstständig agierenden Stadt Böblingen-Sindelfingen bräche nicht nur mehr als ein Viertel der Bevölkerung weg. Der Kreis müsste auch auf zig Millionen Euro verzichten. Aktuell steuert nämlich allein Böblingen über 23 Millionen Euro Kreisumlage bei, aus Sindelfingen fließen gut 16 Millionen Euro in den Kreisetat.

Aufstieg zum Stadtkreis

Kein Wunder also, dass auch Landratsamt-Sprecher Dusan Minic vor einem Stadtkreis warnt: "Es ist wenig sinnvoll, wenn in unmittelbarer Nähe eine Doppelstruktur entsteht", sagte er am Donnerstag. Als eigener Stadtkreis wäre Böblingen-Sindelfingen nicht nur selbst für Abfallwirtschaft und Krankenhauswesen, sondern auch für die Berufsschulen zuständig. Auch die Buskonzepte im Nahverkehr oder die Lebensmittelüberwachung würden wohl die Trägerschaft wechseln. "Da muss sehr genau gerechnet werden, ob sich eigenes Personal überhaupt lohnt", so Minic. Dass das ebenfalls über 100.000 Einwohner zählende Reutlingen in der Vergangenheit keinen Vorstoß zu einem eigenen Stadtkreis gemacht habe, sieht er als Beleg für angebrachte Skepsis.

Das Problem für den Landkreis: Ein Vetorecht hat er nicht, offiziell muss der Kreis noch nicht mal angehört werden. Für den Aufstieg zum Stadtkreis reicht die Bewilligung des Landesinnenministeriums - von einer Möglichkeit zur Mitsprache ist in der Gemeindeordnung nicht die Rede.

Das Land hat übrigens auch beim Thema Brandschutz das letzte Wort. Nach dem Feuerwehrgesetz braucht eine Kommune mit mehr als 100.000 Einwohnern zwar eine Berufsfeuerwehr. Für Städte mit weniger als 150.000 Einwohnern kann der Stuttgarter Innenminister aber auch Ausnahmen gestatten. Die Reutlinger haben deshalb seit einigen Jahren eine Profi-Truppe als Löschzug, während die Stadt Ulm nach wie vor nur mit ehrenamtlichen Kräften arbeitet.

Umfrage zur Doppelstadt

Zurück zur Doppelstadt: Sindelfingens OB Vöhringer will nach dem Interview schnell nachlegen: "Ich werde in der nächsten Sitzung des gemeinsamen Gremiums an die Stadträte appellieren, dass sie der Untersuchung zustimmen." In dem nur gelegentlich tagenden Gremium sitzen Lokalpolitiker beider Städte, der nächste Termin ist der 19. Oktober. Die von Vöhringer gewünschte Analyse soll die finanziellen Vorteile einer Fusion darstellen. Er schätzt sie auf fünf bis zehn Millionen Euro jährlich.

Freilich weiß er auch, dass sein Böblinger Kollege einen anderen Zeitplan hat. Lützner, seit April 2010 OB in Böblingen, will zunächst die Abläufe in seinem Rathaus optimieren. Erst danach, in zwei bis drei Jahren, "können wir im zweiten Schritt prüfen, was wir, wenn die Städte zusammengehen, noch zusätzlich einsparen können", sagte er im Interview. Lützner wollte sich am Donnerstag zu dem von Vöhringer angekündigten Appell nicht äußern. Er werde nichts anderes sagen als im Interview, teilte Stadtsprecher Wolfgang Pfeiffer mit.

Beide Rathauschefs wollen als ersten großen Schritt zur Fusion ihre Gewerbesteuereinnahmen in einen Topf werfen. "Wir werden die Idee den Stadträten im gemeinsamen Gremium erläutern", so Vöhringer.

Die "Kreiszeitung Böblinger Bote" macht auf ihrer Internetseite eine Umfrage zur Doppelstadt. Bis Donnerstagabend gingen rund 240 Voten ein. Ergebnis: 34 Prozent wollen die Fusion schnell, 33 Prozent erst einmal die Zusammenarbeit der Städte Schritt für Schritt intensivieren. Und ebenfalls ein Drittel sagt: O weh, Finger weg!