Birgit Keil Foto: PPFotodesign.com

John Cranko nannte sie seine „Baby-Ballerina“. Birgit Keil war im Star-Quartett des Ballettwunders, das einst von Stuttgart aus die Welt eroberte, das heimische Gewächs. Als einer der wenigen deutschen Ballerinen gelang ihr eine Weltkarriere, auf die nun ein neu erschienener Bildband zurückblickt.

John Cranko nannte sie seine „Baby-Ballerina“. Birgit Keil war im Star-Quartett des Ballettwunders, das einst von Stuttgart aus die Welt eroberte, das heimische Gewächs. Als einer der wenigen deutschen Ballerinen gelang ihr eine Weltkarriere, auf die nun ein neu erschienener Bildband zurückblickt.

Stuttgart - Nach Vorlieben und Befindlichkeiten fragt ein Steckbrief Birgit Keil zu Beginn dieses Buchs, etwa nach ihrer Lieblingsbühne: „Stuttgarter Opernhaus und Metropolitan Opera, New York“, lautet die Antwort. Das Selbstverständnis, mit dem da scheinbar Ungleiches aufeinandertrifft, erzählt auch vom Weg an die Weltspitze, der dem Stuttgarter Ballett und mit ihm Birgit Keil Ende der 1960er Jahre im Eilschritt gelang. Von der Peripherie ins Zentrum: So ließe sich ebenfalls die Lebensgeschichte der im heutigen Kováro im Sudetenland geborenen Ballerina fassen. Dass das Stuttgarter Ballett bis heute eine der führenden Kompanien ist, hat auch mit dem Erbe von Tänzerinnen wie Birgit Keil zu tun, die Klassisches veredelten, aber die vor allem eins waren und sind: neugierig auf Neues.

Mehr von dieser positiven Neugierde hätte man auch Wiebke Hüster gewünscht, der Autorin des nun im Henschel-Verlag erschienen Bildbands über Birgit Keil. Viele schöne, oft ungesehene Aufnahmen hat sie vor allem aus dem Archiv von Gundel Kilian und den privaten Alben der Tänzerin zutage gefördert. Doch die Kritikerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Keils Arbeit als Ballettdirektorin in Karlsruhe intensiv publizistisch begleitet, lässt neben diesen Bildern nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich viele weiße Stellen.

So erfährt der Leser zum Beispiel wenig darüber, was das Besondere an der Kunst dieser Tänzerin war – und das, obwohl das Buch den schönen Titel „Birgit Keil – Ballerina“ trägt. Wie gestaltete eine wie Keil, die sich in Stuttgart schnell die Auszeichnung „Elegantissima“ ertanzt hatte, ihre Rollen? Was bedeutet einer die Bühne, die sagt, dass Glück sei, wenn auch die Seele tanze? Welche Erinnerungen hat sie an die Arbeit mit John Cranko? Wie schon sein Vorgänger Nicholas Beriozoff förderte der Gründer des Stuttgarter Balletts die junge Tänzerin uneingeschränkt, schickte sie zur Erweiterung ihres Horizonts 1962 nach London an die Royal Ballet School und machte sie ein Jahr später, da war Birgit Keil gerade 19 Jahre alt, zur Solistin.

Wer ein wenig in der Geschichte des Stuttgarter Balletts bewandert ist oder die Karriere der Kammertänzerin, zu der Birgit Keil 1980 ernannt wurde, auf ihrer einen Lieblingsbühne sogar noch persönlich miterleben durfte, wird im Buch von Wiebke Hüster wenig Neues über diese Ballerina erfahren. Viel Allgemeines hat die Autorin dafür notiert: Wie in Ballettkompanien das Rollenwissen über Lerngemeinschaften zwischen Älteren und Jüngeren tradiert wird, wie John Cranko mit Hilfe der Noverre-Gesellschaft sein Publikum bildete, was beim Pas de deux die Kunst guten Partnerings ausmacht, welche Kleiderordnung warum im Ballettsaal besteht, wie Ballerinen ihre Spitzenschuhe bearbeiten und andere „Backstage-Geheimnisse“.

Ein Buch für Ballettomanen ist Wiebke Hüsters Keil-Biografie also, ein Muss für alle Fans der Ballerina sowieso. Kurz vor ihrem 70. Geburtstag am 22. September liest jeder gerne über die Kindheit der Tänzerin, deren Großvater Pferdezüchter war und die von sich sagt, dass sie sicherlich auch eine sehr glückliche Bäuerin geworden wäre. Die Tierliebe blieb ihr, die sich später gerne mit ihren Rauhaardackeln fotografieren ließ, erhalten; der Lauf der Geschichte hat sie dann aber vom Sudetenland nach Stuttgart in den Ballettsaal gebracht.

Heute sind die Ballettsäle in Karlsruhe, wo Birgit Keil seit zehn Jahren die Kompanie des Badischen Staatstheaters leitet, und in Mannheim, wo sie der Akademie des Tanzes vorsteht, ihre Arbeitsplätze. Thiago Bordin, einer von Keils Karlsruher Solisten, hat für Wiebke Hüster seine ersten Erinnerungen an seine Chefin notiert, als sie ihm 1999 in Brasilien ein Stipendium ihrer Tanzstiftung anbot. „Und so erregten ihre ganze Art, ihre Energie, ihre Ausstrahlung, ihre Schönheit und Eleganz sofort meine Aufmerksamkeit“, schreibt der Brasilianer.

Der Aufmerksamkeit vieler Choreografen durfte sich Birgit Keil als Tänzerin sicher sein. Kenneth MacMillan, der sie 1963 als jüngste der Schwestern in „Las Hermanas“ besetzt ist der erste; andere wie Heinz Spoerli, Uwe Scholz, Jirí Kylián, Hans van Manen, William Forsythe folgen, handschriftliche Dokumente, Zitate und Fotos erinnern an schöne Momente, die Birgit Keil bei Proben erlebte. „Mein Beruf ist ein Geschenk. Mir war als Tänzerin einfach nie langweilig“, sagt sie,die erklärtermaßen großen Spaß daran hatte, alles auszuprobieren.

Langeweile kennt Birgit Keil, Ballettdirektorin, Lehrerin und Tanzförderin, bis heute nicht. „Ein Geheimnis von Birgit Keils Leben besteht darin, dass sie ganz in dem, was sie tut, aufgeht“, resummiert Wiebke Hüster. „Nie fragt sie, was sie bekommt. Na, alles eben: Arbeit für drei, Glück für viele.“