Es muss nicht immer ulkig sein: Der düstere „Psychonauts“ hat den Langfilm-Wettbewerb gewonnen. Foto: ITFS

Es war wieder mal eines der schönsten Kulturereignisse der Stadt. Die Filmemacher haben beim Trickfilmfestival große Kunst gezeigt – und der verlängerte deutsche Winter hatte sogar positive Effekte.

Stuttgart - „Wenn es beim Open-Air gar zu widrig und kalt war, ist der Ticketverkauf für die Kinos um 15 bis 20 Prozent angestiegen im Vergleich zum Vorjahr“, sagt Dittmar Lumpp, kaufmännischer Leiter des Trickfilmfestivals. Der Spätwinter am Schlossplatz von Dienstag bis Donnerstag habe sich zwar „auf die Atmosphäre ausgewirkt. Aber wir sehen, dass der Publikumsaustausch in die Kinos funktioniert, als das Filmprogramm für den Besuch des Festivals entscheidend ist.“

Viele Trickfilme werden heute digital gemacht, aber die Handschriften der Künstler bleiben. „Es geht viel um gesellschaftliche und politische Themen, da sehen wir unser diesjähriges Motto bestätigt, dass Animation für Erwachsene an Bedeutung gewinnt“, sagt der künstlerische Leiter Ulrich Wegenast.

Spiel mit Licht und Schatten

Ein Beispiel: Die spanische Produktion „Psychonauts“, die den Preis für den besten Trick-Spielfilm gewonnen hat. In nuanciertem 2D-Zeichentrick ringen da die Maus Dinky und der mysteriöse „Birdboy“ nach dem Super-GAU um ihren Platz und ihre Bestimmung – während verstörte postapokalytische Scharfmacher am liebstenalles abräumen würden, was ihnen andersartig erscheint. Virtuos spielen die Filmemacher mit Licht und Schatten, mit Realität und Albtraum.

Kaum eine Kunstform eignet sich besser, Gewaltherrschaften zu entlarven. Der Israeli Ari Folman hat in „Waltz with Bashir“ die Schrecken des Libanonkrieges von 1982 visualisiert. Alexander Lahl und Volker Schlecht nun zeigen in ihrem Kurzfilm „Kaputt“ in starker Stilisierung den Unrechtsstaat DDR, von dem manche bis heute glauben, es wäre dort „nicht alles schlecht“ gewesen. Frühere Insassinnen eines Frauengefängnisses erzählen zu stark stilisierten, die Ödnis spiegelnden Bildern von Misshandlung, Folter und Produkten, die es in der DDR nicht gab – sondern nur im Westen, der die Zwangsarbeit billigend in Kauf nahm. Ein Lehrstück in Sachen Doppelmoral und den Grand Prix auf jeden Fall wert.

Worauf es ankommt

Eine besondere Herausforderung ist der Kinderfilm, der pädagogischen Mehrwert bieten soll, aber bitte so unterhaltsam versteckt, dass die kleinen Zuschauer gar nicht bewusst wahrnehmen, was sie beim Gucken lernen sollen. Oft richten sich die Botschaften auch oder vor allem an Erwachsene wie in der spanischen 3-D-Computeranimation „Alike“.

Tag für Tag taktet der gütige Vater den kleinen Sohn für die Schule ein, und wenn sie sich nachmittags wiedertreffen, gibt das lebenslustige Kind dem im Büro fahl gewordenen Vater die Farbe zurück. Dann tadelt der Lehrer den Jungen, weil er statt Buchstaben den einsamen Geiger zeichnet, der der grauen Stadt ein wenig Sinnlichkeit einhaucht, und auch der Vater runzelt die Stirn – besinnt sich aber bald, als er merkt, dass der Kleine zu werden droht wie er selbst. Eine kluge Parabel darüber, worauf es ankommt im Leben, zurecht ausgezeichnet.

Vielfältige Kurzform

Das haben auch willige Schüler schon erlebt: In der letzten Stunden eines langen Tages wollen die Augen nur noch zufallen. Der Südkoreaner Seoro Oh treibt das in „Afternoon Class“ auf die Spitze: Während ein Schüler sich gegen den Schlaf sträubt, verwandelt sich sein Kopf in schnellem Wechsel in Backsteine, Gewichte, einen Tresor, einen Hammer, der wild in alle Richtungen ausschlägt mit nur einem Ziel – auf die Tischplatte, wo das Heft zum lockenden Kissen wird.

Ein ironisches Loblied auf die Frauen und ihre Vorzüge singt in „Toutes Nuancées“ die Franko-Belgierin Chloé Alliez – sie konterkariert Romantisierungen mit Puppen, die alle Lichtschalter als Köpfe tragen. Aus der braven Schweiz kommt „Ivan’s Need“: In flächiger 2-D-Animation schwelgt ein Bäckerlehrling mit den Fingern im Brotteig, bis der Meister schimpft, dann findet er Ersatz in den sehr ausladenden Brüsten einer Kundin, in der er schließlich verschwindet. Ein Fall für Küchenpsychologen.

Fokussieren auf das, was geht

Derweil verdichten sich die Hinweise, dass es ein deutsches Problem gibt: Originalität scheint häufig der Sorge um Seriosität geopfert zu werden. „Die Deutschen haben Angst vor zu viel Witz“, sagt etwa John Chambers, irischstämmiger Gewinner des deutschen Drehbuchpreises. „Wenn Humor ins Spiel kommt, reagieren viele deutsche Kunden skeptisch“, betätigt Sebastian Badea von der Stuttgarter Werbefilmfirma Unexpected, die deshalb fast nur Spots für ausländische Märkte produziert – mit großem Erfolg.

An die Kinderserie „Meine Schmusedecke“ aus dem Stuttgarter Studio Filmbilder, extrem originell und pädagogisch vorbildlich, traute sich kein deutscher Sender heran – bis die britische BBC und der französische Canal Plus das Projekt entdeckten.

Ausländische Partner zu finden ist eines der Ziele des Animation Produktion Day (APD), der Business-Plattform des Festivals. „Die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern stärkt die Position der deutschen Produzenten bei den Sendern“, sagt Lumpp. Wegenast ergänzt: „In Deutschland wird zu viel darüber geredet, was nicht geht. Beim APD schaffen wir die Möglichkeiten, Projekte zu verwirklichen Aber wir sehen auch, dass deutsche Produzenten mutiger werden müssen, rausgehen aus dem lange eingeübten Vorschulprogramm, hin zu Stoffen, mit denen sie hier bislang keine Chance hatten.“