Abgastest bei VW-Neuwagen Foto: VW/VW

Für die temperaturgesteuerte Abschaltung der Abgasreinigung kann es fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz geben.

Wer einen Diesel-PKW mit einem illegalen Thermofenster kaufte, hat grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Bis Geld fließt, sind aber noch viele Hürden zu überspringen.

Bisher hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe nur Diesel-Käufern mit dem VW-Motor EA 189 Schadensersatz zugebilligt. Bei diesen Motoren hatte VW eine Betrugs-Software eingesetzt, die dafür sorgte, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand richtig funktionierte, im normalen Straßenverkehr aber nicht. Darin sah der BGH im Mai 2020 eine „vorsätzliche sittenwidrige“ Schädigung der Kunden.

Ein neuer Weg zum Schadenersatz

Dagegen hat der BGH für den Einsatz so genannter Thermofenster bisher Schadensersatz verweigert. Als Thermofenster bezeichnet man eine Software, die dafür sorgt, dass die Abgasreinigung bei tiefen und hohen Temperaturen nicht – vollständig – funktioniert. Da die Thermofenster dem Kraftfahrtbundesamt bekannt waren, liege hier keine Sittenwidrigkeit vor, so der BGH im Januar 2021.

Im März 2023 eröffnete der EuGH jedoch einen neuen Weg zu Schadensersatz. Er gewährt auch bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungs-Verordnung (FGV) Schadensersatz, weil diese Verordnung auch dem Schutz der Bürger diene. Der BGH hatte das anders gesehen.

Nun folgte der BGH jedoch dem EU-Gerichtshof. Möglich sei Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes gemäß Paragraf 823 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dabei soll es aber keinen „großen Schadensersatz“ geben, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Eva Menges. Das heißt, der Käufer kann nicht verlangen, dass der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, indem er das Fahrzeug zurückgibt und dafür den Kaufpreis zurückerhält.

Anspruch auf Geldentschädigungen

Stattdessen sollen die Käufer die Fahrzeuge mit den illegalen Thermofenstern behalten, haben aber im Prinzip Anspruch auf Geldentschädigung für den Minderwert, da eine Stilllegung der PKW durch das Kraftfahrtbundesamt droht.

Weil es hier um Millionen Fahrzeuge gehen könnte, soll allerdings nicht in jedem Einzelfall ein Gutachten eingeholt werden. Die Richter können vielmehr eine Summe zwischen fünf und 15 Prozent des Kaufpreises als Schadensersatz festlegen.

Doch bevor die Hersteller bezahlen müssen, sind noch drei Hürden zu nehmen. Erste Hürde: Es muss tatsächlich eine illegale Einrichtung zur Abschaltung der Abgasreinigung vorliegen. Wie der EuGH in einem anderen Urteil im Juli 2022 entschied, dürften zwar die meisten Thermofenster illegal sein. Es kann aber Ausnahmen geben, wenn das Thermofenster erforderlich ist, um Unfälle durch plötzlichen Motorausfall zu verhindern und die Abgasreinigung nur selten, also bei besonders hohen und besonders niedrigen Temperaturen, abgeschaltet wird.

Drei Hürden sind für Dieselkäufer zu nehmen

Laut Richterin Menges müssen die Dieselkäufer beweisen, dass in ihrem Fahrzeug eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Und die Hersteller haben die Beweislast dafür, dass das Thermofenster ausnahmsweise legal ist. Eine VW-Sprecherin sagte gestern, man sei felsenfest davon überzeugt, dass der seit 2012 gängige VW-Motor EA 288 legal sei. Das Verwaltungsgericht Schleswig hat im Februar in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil allerdings festgestellt, dass die Abschalteinrichtung im Vorgänger-Motor EA 189 illegal war. Die Deutsche Umwelthilfe hat die Typengenehmigungen aller Diesel-PKW angegriffen. Es kann also lange dauern, bis für alle Motoren Legalität oder Illegalität geklärt ist.

Zweite Hürde ist das Verschulden. Die Hersteller müssen beim Einbau der Abschalteinrichtung mindestens fahrlässig gehandelt haben. Die Hersteller berufen sich jedoch darauf, dass sie – selbst wenn ihr Thermofenster illegal ist – davon nichts ahnen konnten, weil das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg damit immer einverstanden war. Schon einige Oberlandesgerichte (in Stuttgart, Hamm und Schleswig) folgten dieser Argumentation und nahmen einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ an. Wenn der BGH dem folgt, gibt es keinen Schadensersatz. Richterin Menges kündigte an, dass in der schriftlichen Urteilsbegründung genaue Vorgaben zum Verbotsirrtum stehen sollen. Die Begründung soll deshalb schon im Lauf der Woche veröffentlicht werden.

Oberlandesgerichte müssen wieder entscheiden

Dritte Hürde ist der Ersatz von Nutzungen. Die Dieselkäufer sollen am Ende nicht besser gestellt sein, als sie ohne Schaden stünden. In speziellen Konstellationen soll vom Schadensersatz deshalb noch eine gewisse Summe für die Nutzung des Fahrzeugs abgezogen werden. Dies kann den Schadensersatzanspruch im ungünstigsten Fall auf Null reduzieren.

Über die drei Musterfälle müssen jetzt wieder die Oberlandesgerichte entscheiden. Az.: VIa ZR 33r/22 u.a.