Mittagessen im Kindergarten – manche Eltern wollen ihr Kind jedoch lieber zu Hause betreuen und verköstigen. Foto: dpa

Wer bekommt was, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld gekippt hat? Wir klären auf, was die Politik plant.

Karlsruhe/Stuttgart/Berlin - Um was geht es?
Um das Betreuungsgeld, das im August 2013 nach heftigem politischem Streit eingeführt wurde. Es billigt 150 Euro monatlich denjenigen Eltern zu, die ihre zwei- bis dreijährigen Kinder nicht in eine öffentlich geförderte Kita oder Tagespflege geben. Gegen das Gesetz hatte der damals von der SPD allein geführte Hamburger Senat geklagt, weil er es verfassungswidrig fand.
Was hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in seinem Urteil zum Betreuungsgeld entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt. Es sei verfassungswidrig, da der Bund keine Kompetenz besitzt, in dieser Sache ein Gesetz zu erlassen, urteilten die acht Richter einstimmig. Nach dem Grundgesetz darf der Bund für die öffentliche Fürsorge nur unter bestimmten Bedingungen anstelle der Länder tätig werden. Diese Hürden sind sehr hoch, um die Länderrechte zu wahren. Das Gericht hat keine Übergangsfrist für die weitere Geltung der umstrittenen Regelungen festgesetzt. Das sei nicht notwendig, erklärten die Karlsruher Richter. Sie überließen es dem Bund und der Verwaltung, über eine weitere Geltung bereits bewilligter Leistungen zu entscheiden.
Kann man jetzt noch Betreuungsgeld beantragen?
Nein. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag kann das Betreuungsgeld nicht mehr beantragt werden.
Auch nicht in Bayern? Ministerpräsident Horst Seehofer betont, dass sein Bundesland am Betreuungsgeld festhalten möchte.
Auch in Bayern können vorerst keine Anträge gestellt werden, da mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts schlicht die Rechtsgrundlage dafür fehlt. Das sagte ein Sprecher des bayerischen Familienministeriums unserer Zeitung. Nun liegt es an den Ländern, falls sie das Betreuungsgeld beibehalten wollen, dafür Gesetze zu schaffen. Laut Seehofer soll es in Bayern bis September ein solches Gesetz geben. Die SPD in Bayern prüft ein Volksbegehren zum Betreuungsgeld. Das kündigte Landtagsfraktionschef Markus Rinderspacher am Dienstag im Landtag in München an. Die Überlegung der SPD: Die bayerischen Bürger sollen befragt werden, ob sie den Ausbau der Kinderbetreuung oder das Betreuungsgeld bevorzugen.
Baden-Württemberg will nicht an der Leistung festhalten. Warum nicht?
Die grün-rote Landesregierung lehnt es ab, das Betreuungsgeld in eigener Regie fortzuführen. Nach Ansicht von Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) verfolgt die auf Betreiben der CSU eingeführte Leistung familien- und bildungspolitisch sowie frauenpolitisch falsche Ziele. Sie setze finanzielle Anreize, damit Betreuungseinrichtungen nicht in Anspruch genommen würden.
Bekommen Eltern, die das Betreuungsgeld bisher bekamen, die 150 Euro im Monat weiter bezahlt?
Eltern, die Betreuungsgeld beziehen, können auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts davon ausgehen, dass das Geld weiter bezahlt wird. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigte am Dienstag in Berlin an, sie werde „nach einer Lösung suchen, damit Familien, die das Betreuungsgeld bereits beziehen, es bis zum Ende bekommen“. Schwesig begrüßte das Urteil: „Ich freue mich, dass wir nun Klarheit haben“, sagte sie am Dienstag nach der Urteilsverkündung. Das Betreuungsgeld sei der falsche Weg und habe keine Zukunft.
Und was ist mit den Eltern, die noch auf ihren Bescheid warten?
Wenn der Antrag auf Betreuungsgeld noch nicht bewilligt wurde, sieht es schlecht aus. In dem Fall können sich Eltern wohl keine Hoffnungen mehr auf die Leistungen machen. „Denn Vertrauensschutz gilt erst ab dem Moment der Bewilligung“, erläutert der Speyrer Staatsrechtler Joachim Wieland.
Wie viele Eltern bekommen das Betreuungsgeld?
Fast eine halbe Million Eltern in Deutschland beziehen Betreuungsgeld. Im ersten Quartal dieses Jahres waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 455 000 Personen.
Wie beliebt ist die Leistung im Land?
In Baden-Württemberg ist das Betreuungsgeld ungeachtet der Kritik der grün-roten Landesregierung bei frischgebackenen Eltern sehr beliebt. Seit dem Inkrafttreten der Leistung sind im Südwesten 137 225 Anträge auf Auszahlung des Betreuungsgeldes eingereicht worden. Davon wurden nach Angaben des Sozialministeriums 132 012 bewilligt. Die hohe Quote rühre daher, dass Eltern, die Elterngeld beziehen, „automatisch“ einen Antrag auf Betreuungsgeld zugesandt bekommen. Im Ländervergleich liegt der Südwesten bei der Inanspruchnahme der Mittel mit an der Spitze: Im vierten Quartal 2014 rangierte er mit 76 721 Fällen im Bundesvergleich an dritter Stelle nach Bayern mit 85 683 und Nordrhein-Westfalen mit 85 326 Fällen.
Wie viel Geld war für das Betreuungsgeld eingeplant?
Für das Jahr 2015 sind für das Betreuungsgeld im Bundeshaushalt 900 Millionen Euro eingestellt. Im Etatentwurf für 2016 und die Jahre bis 2019 sind jeweils eine Milliarde Euro als Kosten für das Betreuungsgeld veranschlagt.
Was passiert nun mit dem Geld?
Familienministerin Schwesig, der das Betreuungsgeld von Anfang an ein Dorn im Auge war, hat bereits klare Vorstellungen, was sie mit dem frei werdenden Geld machen möchte. Das Geld dürfe nicht einfach im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern, sagte Schwesig am Dienstag. „Die frei werdenden Mittel sollen Kindern und Familien zugutekommen, zum Beispiel durch eine verbesserte Kinderbetreuung“, sagte sie. Auch Katrin Altpeter (SPD), die Familienministerin Baden-Württembergs, ist dafür, das Geld in den Ausbau der Kindertagesbetreuung zu stecken. Gegenstimmen kommen – wie sollte es anders sein – aus Bayern. Horst Seehofer will, dass das Geld auf die Länder verteilt wird, damit diese entscheiden können, was damit geschieht. In Bayern soll so beispielsweise das Betreuungsgeld weiter finanziert werden.
Wann soll darüber entschieden werden?
Schwesig will mit den Regierungsfraktionen am 13. August darüber sprechen, wie es mit dem Geld weitergeht.