Die Automatisierung schreitet voran: Zukünftig, meinen Forscher, werden weniger Menschen arbeiten, weil Roboter die Arbeitsprozesse stärker unterstützen Foto: Fotolia

Mit interaktiver Grafik - Weil Computer- und Robotersysteme immer mehr Aufgaben von Menschen übernehmen, wandelt sich der deutsche Arbeitsmarkt. Forscher prophezeien: Bis in 20 Jahren verschwindet die Hälfte der Berufe, die heute existieren.

Weil Computer- und Robotersysteme immer mehr Aufgaben von Menschen übernehmen, wandelt sich der deutsche Arbeitsmarkt. Forscher prophezeien: Bis in 20 Jahren verschwindet die Hälfte der Berufe, die heute existieren.

Die Arbeitswelt ändert sich gravierend:
Ulrich Reinhardts Formel für die Arbeitswelt der Zukunft lautet 0,5 x 2 x 3. Damit meint der wissenschaftliche Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen: In 20 Jahren gibt es noch halb so viele Arbeitnehmer wie heute, die das Doppelte verdienen, aber das Dreifache leisten müssen. „Wegen des demografischen Wandels haben wir künftig weniger Fachkräfte“, sagt er. Verschiedene Studien bestätigen das. Weniger dramatisch sehen es die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI): Sie gehen davon aus, dass 2030 fünf Prozent weniger Menschen als heute erwerbstätig sind.

Dann ist da noch die Automatisierung. Der technische Fortschritt führt dazu, dass Computer- und Robotersysteme zunehmend Arbeiten von Menschen übernehmen. Bis in 20 Jahren verschwindet jeder zweite Beruf, der heute existiert. Bedroht sind laut Reinhardt Arbeitnehmer mit einfachen wie auch komplexeren Tätigkeiten. Das behaupten Studien der schwedischen Stiftung für Strategische Forschung (SSF) und der britischen Oxford Martin School für die USA ebenfalls. Der Ausgangspunkt der Studien ist die Annahme, dass Maschinen Arbeiten leichter oder schwieriger erledigen können.

Die Automatisierung wirkt sich auf den deutschen Arbeitsmarkt aus. Dass sich die Arbeitswelt wandelt und Berufe verschwinden, weil sich die Technik immer weiter entwickelt, darin sind sich die Forscher einig. Nur nicht über das Ausmaß.

Das positive Szenario:
Der Wandel der Arbeitswelt kann durchaus Chancen bieten. Werner Eichhorst, Direktor für Arbeitsmarkt Europa beim Bonner Institut zurZukunft der Arbeit (IZA), formuliert die Situation für den deutschen Arbeitsmarkt so: „Die Gefahr der Automatisierung ist dort am stärksten, wo die Handlungen leicht zu reproduzieren sind.“ Das treffe vor allem auf stupide, monotone und sich wiederholende Tätigkeiten zu. Eichhorst stuft das positiv ein: „Für die Menschen bleiben mehr interessante Tätigkeiten übrig.“

Michael Weyrich, Leiter des Instituts für Automatisierungs- und Softwaretechnik (IAS) an der Universität Stuttgart, prophezeit neue Formen der Zusammenarbeit mit Maschinen. Man müsse sich darauf einstellen, mit Computer- und Robotersystemen stärker zu interagieren. Außerdem werden solche Systeme mehr Information vernetzen und auswerten und bei Operationen oder in der Pflege mehr Assistenzfunktionen bieten. An die Veränderungen gewöhne man sich im Zuge des Fortschritts, sagt Weyrich.

Er betont, dass man neben den Risiken auch immer die Chancen der Automatisierung berücksichtigen müsse. Das Auto hat den Beruf Kutscher verdrängt und führt zu Verkehrsunfällen. „Trotzdem will keiner seine Mobilität aufgeben.“ Ebenso verhindere die Automatisierung in der Produktion, dass die Prozesse komplett in Billiglohnländer verlagert werden.

„Computer- und Robotersysteme ersetzen nicht nur die Arbeitskraft, sie schaffen auch neue Arbeitsplätze“, sagt Eichhorst. Er geht davon aus, dass Arbeitsplätze in gleichem Maß neu entstehen wie verschwinden. „Das Ergebnis der Studien heißt nicht, dass die Hälfte der Arbeit wegfallen wird.“ Darauf deute etwa das Arbeitsvolumen hin. Die Summe der geleisteten Arbeitsstunden von Arbeitenden in Deutschland lag 2013 bei 58 Milliarden, „höher als jemals seit Anfang der 1990er“. Aktuellen Zahlen zufolge bleiben die bezahlten Arbeitsstunden stabil, die Erwerbstätigkeit werde sogar steigen.

Viele Jobs werden also neu und anders sein. Das passiert aber schon lange, weil die Automatisierung vor Jahrzehnten einsetzte und den Arbeitsmarkt ständig verändert. Wer mit dem Fortschritt nicht mithält, geht unter. Zugleich kommen neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt. „Arbeitsplatzverluste in der Landwirtschaft oder Industrie konnten bislang immer durch einen Zuwachs an Jobs in neuen Wirtschaftszweigen und Berufen aufgefangen oder überkompensiert werden“, sagt Eichhorst.„Berufe sind sehr anpassungsfähig. Veränderungen machen Menschen nicht zwangsweise überflüssig“, ergänzt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Textilfacharbeiter gebe es heute noch. Sie bedienten bloß leistungsfähigere Maschinen als früher.

Das negative Szenario:
Zukunftswissenschaftler Reinhardt sieht das Ende für alle Tätigkeiten, „die ein Computer schneller, einfacher und günstiger erledigen kann“. Sekretäre, Kassierer oder Telefonisten gebe es inzwischen deutlich weniger als vor zehn Jahren. Die Möglichkeit zur Selbstbedienung sowie das Internet verdrängen Tätigkeiten in Reisebüros – viele buchen ihren Urlaub online – , Banken oder bei Versicherungen. Weil Reinhardts Ansicht nach mehr Jobs verschwinden, als neue entstehen, sinkt die Anzahl der Arbeitsplätze.

Für Eichhorst ist die fortschreitende Automatisierung ein Hinweis auf die Polarisierung des Arbeitsmarktes. „Für Hochqualifizierte wird es mehr Arbeit geben. Wer am technischen Fortschritt und an Innovationen beteiligt ist, profitiert.“ Er spricht von einem Wettlauf zwischen Mensch und Maschine. Deshalb werden die Menschen künftig mehr mit Technik umgehen müssen als bisher. „Die Bereiche, in denen moderne Technologien menschliche Arbeit ergänzen, statt sie zu ersetzen, werden an Bedeutung gewinnen.“ IW-Arbeitsmarktexperte Schäfer denkt ähnlich. „Der technische Fortschritt zulasten Geringqualifizierter hat Auswirkungen auf die Fähigkeiten, die wichtig sein werden. Wissen wird stärker gefordert sein.“

Und dann?

Reinhardts positives, aber seiner Meinung nach unrealistisches Szenario: Alle arbeiten weniger, damit jeder Arbeit hat. Für wahrscheinlicher hält aber auch er, dass gut Ausgebildete arbeiten, der Rest bezieht ein Grundeinkommen. Um Unruhen zu vermeiden, benötigen die Arbeitslosen andere, sinnstiftende Aufgaben wie ein Ehrenamt. Angesichts der Kinderlosigkeit könne man zudem mehr Wert auf die Familie legen.