Der Zoologe und Tierfilmer Bernhard Grzimek 1971 mit einem kleinen Orang-Utan Foto: dpa

Er gilt als erster Grüner der Republik. Nun hat die ARD Bernhard Grzimek ein filmisches Denkmal gesetzt. Im Interview spricht Grzimeks Enkel über das Erbe des Tierforschers.

Herr Grzimek, Sie standen Ihrem Großvater Bernhard sehr nah. Entspricht der Film „Grzimek“ dem, was Sie erlebt haben?
Meine Mutter und ich sind sehr zufrieden. Wir finden die Geschichte gut getroffen. Natürlich wurde stark gerafft, steckt viel Fiktion drin, die Dialoge etwa und der eine oder andere Spannungsbogen. Aber der Film kommt der Wirklichkeit sehr nahe und setzt nicht nur meinem Großvater, sondern auch dem Naturschutzgedanken ein Denkmal.
Es ist nicht der erste Versuch, das Leben Ihres Großvaters zu verfilmen . . .
In der Vergangenheit gab es mehrere Drehbücher, die wir aber aufgrund ihrer mangelnden Qualität abgelehnt haben. Doch von diesem Drehbuch war meine sehr kritische Mutter auf Anhieb begeistert. Es werden zwar viele private Details dargestellt, die mein Großvater und wir nie öffentlich gemacht hätten. Aber wenn ich Einwände hatte, sagte meine Mutter: „Es muss doch etwas passieren, sonst schaut es keiner an.“
Ihr Großvater gilt als Vorreiter des globalen Arten- und Umweltschutzes, ist als Tierschützer eine Legende. Was ist sein größtes Erbe?
Dass er den Naturschutzgedanken in Deutschland etabliert hat. Und dass er mitgeholfen hat, die Serengeti zu erhalten. Sie ist eines der wichtigsten Naturgebiete und Biotope, die wir haben. Der einzige Platz auf der Welt, wo noch Großtierherden grasen. Ohne meinen Großvater und meinen Vater Michael wäre dieses Paradies heute wahrscheinlich nicht mehr das, was es ist. Die Galapagosinseln in ihrer heutigen Form verdanken wir ebenfalls ihm. Aber auch in Deutschland hat er viel hinterlassen.
Zum Beispiel?
Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt von 1858 e. V., die dafür sorgt, dass seine Ideen und Ziele lebendig bleiben. Mit den Spendengeldern werden Naturschutzgebiete unterstützt: von der Serengeti bis zum Nationalpark Bayerischer Wald und dem von ihm anvisierten Nationalpark Steigerwald. Weltweit wird praktische Hilfe dort geleistet, wo den Nationalparks und Schutzgebieten die finanziellen Mittel fehlen. Mein Großvater war der Erste, der Tierdokumentationen ins Fernsehen und damit den Begriff des Umwelt- und Naturschutzes in die deutschen Wohnzimmer gebracht hat.
Grzimek war ein Visionär und warnte schon in den 60ern vor der Zerstörung der Erde . . .
Dieses Thema haben mein Großvater und mein Vater schon in den 50er Jahren in ihrem ersten Dokumentarfilm „Kein Platz für wilde Tiere“ ausführlich dargestellt. Es ging ihnen darum, wichtige Lebensräume zu erhalten und zu verhindern, dass einzelne Tierarten verschwinden, ganze Landstriche zerstört werden. Sie sahen, dass wir die Natur vernichten, weil immer mehr Menschen auf der Erde leben, die immer mehr Ressourcen beanspruchen. Leider haben sie mit diesen düsteren Zukunftsvisionen recht behalten.
Hat das Ihren Großvater nicht frustriert?
Er wusste, dass er die Vernichtung der Natur nicht aufhalten kann. Aber er hat vielleicht dazu beigetragen, den Vorgang zu verlangsamen. Traurig ist nur, dass wir bis heute für all das keine Lösung haben. Dass wir kaum dazugelernt haben und immer noch sehr wirtschaftsorientiert sind. Alles muss wachsen, wachsen, wachsen. Dabei wäre es so einfach. Wenn wir verantwortungsvolle Politiker hätten, wären die Missstände schon verboten. Naturschutz funktioniert nun mal nicht nur über Tierliebe, sondern ausschließlich über den Geldbeutel. Energie, Massentierhaltung und anderes gehören sukzessiv besteuert, um ein Umdenken zu generieren.
Im Film hadert Bernhard Grzimek gegen Ende seines Lebens mit dem, was er erreicht hat. Wurde er wirklich von Selbstzweifeln geplagt?
In seinen letzten Lebensjahren war mein Großvater der Meinung, dass er nach seinem Tod schnell in Vergessenheit geraten würde. Von Natur aus war er ja ein Pessimist. Doch damit hat er zum Glück nicht recht behalten. Seine Bücher werden immer noch nachgedruckt. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt von 1858 e. V. ist aktiver denn je. Der KFW-Bernhard-Grzimek-Preis wird auch in diesem Frühjahr wieder verliehen.
Grzimek war Ihr Großvater und Adoptivvater. Wie würden Sie Ihre Beziehung beschreiben?
Wir haben uns gut verstanden. Er war eine wichtige Bezugsperson für mich und hat mein Leben sehr geprägt. Wir haben das Interesse für die Natur geteilt, und ich durfte ihn in den letzten zwei Jahrzehnten auf allen Reisen begleiten. Für diese Zeit voller Erlebnisse bin ich ihm heute noch sehr dankbar.
Der Film zeigt ihn als ambivalenten Charakter, der sich im Umgang mit Tieren leichter tat als im Zwischenmenschlichen . . .
Mein Großvater war in der Tat ein eigenwilliger Mensch. Sehr diszipliniert, ziemlich sparsam, sehr clever, sehr pragmatisch und ausgesprochen hartnäckig. Namen konnte er sich nur schwer merken. Er war halt durch und durch Wissenschaftler. Er war beseelt von seiner Arbeit, ein leidenschaftlicher Tier- und Naturfreund. Er konnte aber auch über sich selbst reflektieren und eigene Fehler eingestehen. Das hat ihn sehr menschlich gemacht. Überhaupt war er letztlich ein guter Mensch, der nur Gutes wollte.
Was ist Ihre stärkste Kindheitserinnerung?
Die vielen Reisen. Von meinem elften Lebensjahr an waren wir ja jedes Jahr zwei bis drei Monate in Ostafrika, immer von Dezember bis März. Und in den Sommerferien waren wir in Kanada oder Asien unterwegs. Bei unseren Reisen habe ich meinen Großvater sehr praxisnah erlebt. Wenn es ein Problem gab, hat er sich selbst darum gekümmert.
Im Film ist eine Szene zu sehen, in der Sie Schmiere stehen, während Ihr Großvater Hühner in einer Legebatterie fotografiert . . .
Das ist im Film stark gekürzt. Ich hatte als Kind ein Wochenende auf einem Bauernhof in der Nachbarschaft verbracht und meinem Großvater später erzählt, dass die Hennen dort alle in Käfigen sitzen. Das hatte ihn hellhörig gemacht. Und eines Tages sind wir mit seiner Filmausrüstung losgefahren, ich hab’ uns durch eine kleine Flunkerei Zutritt verschafft, und Bernhard hat die Käfighühner gefilmt. Das war natürlich illegal, und der Bauer wollte uns verklagen. Das hat er dann aber nicht gemacht, was mein Großvater bedauert hat, weil das die Geschichte richtig hochgekocht hätte.
Was haben Sie aus den gemeinsamen Erlebnissen für sich selbst mitgenommen?
Ein wenig von seiner Selbstdisziplin. Und von seiner Cleverness. Er hatte im Leben immer ein paar Tricks parat. Zum Beispiel bei der Reiseplanung. So war er als Zoodirektor ja ein ganz normaler Beamter mit 28 Urlaubstagen. Also hat er sich für alle Samstags- und Sonntagsdienste eingetragen, so dass er dann zwei oder drei Monate am Stück für seine Reisen hatte. Natürlich hat ihn das bei seinen Kollegen nicht gerade beliebt gemacht (lacht), denn damit war ihnen die Urlaubsplanung teilweise verbaut. Aber er hatte auch sehr gute Mitarbeiter, die ihm immer den Rücken frei gehalten haben.
Inwieweit hat sich der Naturschutz geändert?
Die Herausforderungen im Jahr 2015 für den Naturschutz sind komplexer geworden. Die Integration der Menschen um die Schutzgebiete herum ist mittlerweile ein zentraler Teil der heutigen Naturschutzarbeit. Man muss die Menschen einbeziehen. Das gilt auch in Deutschland. Die Anwohner vom geplanten Nationalpark Steigerwald zum Beispiel bekommen verbilligt Holz aus dem Wald. Und weil sie wollen, dass das so bleibt, sind die natürlich gegen einen Nationalpark. Also muss man eine gemeinsame Lösung finden – ob in Afrika oder im Steigerwald.
Das setzt aber ein Umdenken der Menschen voraus, die sich immer noch für die Krönung der Schöpfung halten . . .
Der Mensch denkt, dass er schlauer ist als die Tiere, nur weil er die größere Gehirnmasse hat, die mehr Leistung bringt. Doch wie bei jeder Tierart gilt auch beim Menschen, wenn es mit der Lebensraumzerstörung und Nahrungsquellenplünderung übertrieben wird, stirbt er wieder aus.
Immerhin gibt es heute immer mehr Menschen, die sich Ihrer Verantwortung der Umwelt gegenüber bewusst sind . . .
Schon. Nur leider ist die Natur- und Tierliebe oft etwas verlogen. Wir klagen Missstände an, die wir sehen können wie zum Beispiel Hunde mit kupierten Ohren oder Ruten. Aber das Leid, das hinter der Massentierhaltung steckt, wird ignoriert.
Warum?
Weil wir dann unsere Lebensgewohnheiten ändern müssten. Fleisch aus artgerechter Tierhaltung ist teurer. Zudem haben wir keinen Zugang zur Intensivtierhaltung. Dass geschieht alles hinter verschlossenen Türen. Wir nehmen zum Beispiel billigend in Kauf, dass es nicht verboten ist, Ferkeln ohne Betäubung die Schwänze zu kupieren und Millionen von Schweinen ohne Narkose zu kastrieren. Wir sehen das Elend nicht, also regen wir uns auch nicht darüber auf.
Was können wir tun?
Wir müssten alle vor allem unseren Fleischkonsum reduzieren, damit wäre schon viel für unseren Planeten getan. Die Erzeugung von Fleisch erfordert eine Unmenge an Energie und trägt indirekt maßgeblich zum CO2-Ausstoß bei. Und, mal ehrlich, es geht doch auch mal mit ’ner Erbsensuppe.

„Grzimek“, ARD, 3. April, 20.15 Uhr