Ein knapp einjähriges Mädchen hat die Familientragödie mit vier Toten in Berlin überlebt.

Berlin - Ein weiteres Familiendrama schockiert Deutschland: Am Tag nach der Tragödie im rheinischen Neuss mit drei Toten hat die Polizei in Berlin vier Leichen in einem Mehrfamilienhaus entdeckt.

Die Ermittler gehen davon aus, dass dort ein 69-jähriger Familienvater aus Verzweiflung über hohe Schulden seine 28 Jahre alte Ehefrau, seine zwei kleinen Söhne und sich selbst tötete. Nur die kleine Tochter überlebte, weil der Vater das Baby am Sonntagabend anonym in eine Babyklappe gebracht hatte.

Vater hinterließ Abschiedsbrief

Unterdessen fahndet die Polizei europaweit nach einem 35-jährigen Mann aus Neuss, der seine Frau, den vierjährigen Sohn und die achjährige Tochter erschossen haben soll. Der vermutlich bewaffnete Mann wird mit Haftbefehl wegen dreifachen Totschlags gesucht.

Der Berliner Vater, der nach Aussagen von Nachbarn als Wirtschaftsberater tätig gewesen sein soll, hinterließ nach Angaben der Ermittler einen Abschiedsbrief. Die Staatsanwaltschaft geht von einem "erweiterten Suizid" aus. Seine knapp einjährige Tochter überstand das Drama ohne Blessuren. "Die Kleine ist unverletzt und wohlauf", so die Polizei. Hintergrund des tödlichen Dramas waren vermutlich hohe Schulden. Die Kleine ist mittlerweile im Kinderheim.

Die Leichen waren am Dienstagabend in einem Mehrfamilienhaus am noblen, westlichen Rand der Hauptstadt entdeckt worden. Nachbarn hätten die Feuerwehr alarmiert, weil ein Fenster tagelang offen gestanden habe, erklärte ein Polizeisprecher. Die Feuerwehrleute brachen die Wohnungstür auf und fanden die Leichen. Die drei und sechs Jahre alten Jungen wurden in ihrem Zimmer entdeckt. Ermittler vermuteten, dass der Mann seine Familie erstickte. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen erstickte sich der Vater später auch selbst mit einer Plastiktüte.

Anwohner des Hauses auf einem Wassergrundstück im gutbürgerlichen Gatower Ambiente zeigten sich am Mittwoch geschockt. Immer wieder blickten sie ungläubig zu den Fenstern der Todeswohnung. Am Haus lagen Blumen. Ein Rentner berichtete, erst in der vergangenen Woche habe die Familie die Einschulung des Sohnes gefeiert.

Unterschiede zum Drama in Neuss

Isabella Heuser, Direktorin der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin sieht in dem Fall eine "klassische Verzweiflungstat". Anders sei die Lage in Neuss. Man müsse von unterscheiden, ob sich der Täter selbst töte oder nicht. "In Neuss hat der Ehemann seine Frau und Kinder erschossen und ist auf der Flucht. Die üblichen Motivationslagen für solche Taten sind Rache am Ehepartner oder Eifersucht."

Zwei Tage nach der Bluttat in Nordrhein-Westfalen fahnden die Ermittler europaweit nach dem verdächtigen Vater - bislang ohne Erfolg. "Wir wissen nicht, wo er ist", sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch. Am Dienstag hatte die Polizei ein Fahndungsfoto des 35-Jährigen veröffentlicht. Bisher seien mehr als 50 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Eine heiße Spur sei nicht dabei. Auch die Tatwaffe bleibt verschwunden.

Der Familienvater soll seine 26-jährige Frau bereits in der Vergangenheit geschlagen haben und wegen häuslicher Gewalt auch mehrmals der Wohnung verwiesen worden sein, wie der Sprecher sagte. "Die Kinder waren nie Ziel von irgendwelcher Gewalt." Ein Sprecher der Stadt Neuss bestätigte, dass die Familie dem Jugendamt bekannt war. Details wollte er nicht nennen. Der Polizei zufolge war der 35-Jährige in der Vergangenheit auch außerhalb der Familie bereits mit Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten.

Häufung der Taten reiner Zufall

In den vergangenen Wochen hatten mehrere Familiendramen die Öffentlichkeit schockiert. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden in diesem Monat bei Tragödien in Dortmund, Oberhausen und Essen schon sieben Kinder getötet. Im oberbayerischen Emmering hatte zudem eine Mutter ihre beiden kleinen Söhne und sich selbst umgebracht. Wenige Tage zuvor hatte im Allgäu ein Familienvater seine zwei Söhne und sich selbst getötet. Allein bei Tragödien im August kamen 29 Menschen ums Leben.

"Die vielen Taten im August kann man überhaupt nicht als einen Trend oder eine Häufung betrachten. So etwas ist absolut zufällig", sagt Expertin Heuser von der Charité. Insgesamt kämen solche Taten glücklicherweise nur sehr selten vor. "Aber es gibt Nachahmungseffekte. Wir befürchten sie zum Beispiel immer, wenn sehr ausführlich über Amokläufer berichtet wird." Die Medien seien da in einem ethischen Dilemma. Sie müssten und sollten berichten. "Auf der anderen Seite kann das Nachahmungstäter anregen."