Michael Müller will im September als Regierender Bürgermeister von Berlin bestätigt werden. Foto: dpa

In keinem anderen Bundesland sind die Menschen unzufriedener mit ihrer Regierung als in Berlin. Trotzdem will Berlins Regierender Bürgermeister in vier Monaten wiedergewählt werden. Als eines seiner wichtigsten Ziele nennt er im Interview den Kampf um die tolerante und weltoffene Stimmung in seiner Stadt.

Berlin -

Herr Müller, Sie sind seit eineinhalb Jahren Regierender Bürgermeister. Niemand ist unzufriedener mit seiner Landesregierung als die Berliner. Woran liegt das?
Das ist leider keine neue Entwicklung, da kommt verschiedenes zusammen. Zum einen ist die Situation politisch allgemein schwierig. Auf Bundesebene sehen wir ein großes Misstrauen der Politik gegenüber. Die Erfolge der AfD sind dafür ein deutliches Zeichen, das wir mit Sorge beobachten. Zum anderen waren und sind die Berliner ohnehin kritisch – auch ihrer Landesregierung gegenüber. Und dann haben wir hier im Stadtstaat die räumliche Nähe zwischen der kommunalen Ebene und der Landesebene, da wird vieles vermischt.
Und mit der realen Politik des Senats hat das nichts zu tun?
Nach Jahren des harten Sparkurses gibt es in vielen Bereichen Nachholbedarf, in der öffentlichen Verwaltung, bei der Infrastruktur. Das wissen wir. Und genau deswegen habe ich mit Amtsantritt den Schalter umgelegt: Wir investieren wieder hunderte Millionen zusätzlich und stellen tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Das dauert leider seine Zeit. Aber der Weg, den wir gehen, ist richtig und wichtig. Und den gehen wir weiter.
Von außen betrachtet wirkt es oft so, als habe Berlin nicht besonders große Aufgaben, sondern vor allem das größere Chaos. Die Bilder von Flüchtlingskindern, die im Matsch vor dem Lageso übernachtet haben, bleiben im Kopf. Können Sie mal erklären, wieso da so viel schief gelaufen ist?
Berlin als Großstadt und Stadtstaat steht tatsächlich vor großen Herausforderungen. Und ja, die Situation am Lageso war leider schlimm. Es gibt objektive Gründe: Wir hatten viel Personal in der Verwaltung eingespart und hatten zu wenig für diesen Ansturm. 80 000 Flüchtlinge, die anders als in den großen Flächenstaaten über ein einziges Amt betreut werden mussten. Außerdem wächst Berlin gerade enorm schnell, auch ohne Flüchtlinge. Wir haben 55 000 Unterbringungsplätze in wenigen Monaten neu geschaffen, wir mussten Turnhallen oder den Flughafen Tempelhof belegen. Dazu kamen hausgemachte Gründe, deshalb kam es ja zu dem Koalitionsstreit. Es gab eine zu lasche Haltung nach dem Motto: das wird sich schon normalisieren, bis dahin müssen wir halt mit der schlechten Situation leben. Aber das wollte ich nicht akzeptieren. Wenn Menschen im Winter im Matsch stehen, muss das abgestellt werden Berlin als Großstadt und Stadtstaat steht tatsächlich vor großen Herausforderungen. Und ja, die Situation am Lageso war leider schlimm. Es gibt objektive Gründe: Wir hatten viel Personal in der Verwaltung eingespart und hatten zu wenig für diesen Ansturm. 80 000 Flüchtlinge, die anders als in den großen Flächenstaaten über ein einziges Amt betreut werden mussten. Außerdem wächst Berlin gerade enorm schnell, auch ohne Flüchtlinge. Wir haben 55 000 Unterbringungsplätze in wenigen Monaten neu geschaffen, wir mussten Turnhallen oder den Flughafen Tempelhof belegen. Dazu kamen hausgemachte Gründe, deshalb kam es ja zu dem Koalitionsstreit. Es gab eine zu lasche Haltung nach dem Motto: das wird sich schon normalisieren, bis dahin müssen wir halt mit der schlechten Situation leben. Aber das wollte ich nicht akzeptieren. Wenn Menschen im Winter im Matsch stehen, muss das abgestellt werden.
Sie sind in dieser Zeit abends nach der Arbeit oft dort vorbeigefahren. Wie geht es einem, wenn man vom Rücksitz der Amtslimousine auf die Schlangen von Flüchtlingen im Regen schaut?
Ich war nicht nur in der Amtslimousine da, auch privat. Es war ganz unterschiedlich. Ich habe Situationen gesehen, die mir selbst einfach peinlich waren. Das hat mit dazu geführt, dass ich mich so massiv engagiert habe. Aber ich habe auch erlebt, dass es dann deutlich besser wurde, die beheizten Zelte offen standen und Menschen versorgt wurden. Und natürlich hat es mich dann gewurmt zu sehen, dass das nicht mehr wahrgenommen wird, weil alle die schlimmen Bilder alles überdeckten.
Sie haben in der Legislaturperiode ins Amt des Regierungschefs gewechselt. Nun wollen Sie zum ersten Mal von den Berlinern gewählt werden. Was sind die wichtigsten Probleme, die Sie bis zur Wahl in vier Monaten anpacken wollen?
Mir ist ganz wichtig, die Stimmung in der Stadt zu wahren. Wir müssen darum kämpfen, weiter eine weltoffene und tolerante Metropole zu bleiben, die Menschen aufnimmt und hilft. Das ist kein Schlagwort, das macht uns und unsere Stadt mit ihrer Mentalität aus. Dafür will ich streiten – auch in einer harten Abgrenzung zur AfD.
Sie reden viel mit Bürgern. Was sind aus Ihrer Sicht die Themen, die ihnen auf den Nägeln brennen?
Das ist sehr durchgängig das, was sich in ihrem direkten Umfeld abspielt: die Belegung der Turnhallen in den Schulen ihrer Kinder mit Flüchtlingen, die steigenden Mieten, ein besseres Kitaangebot, baulich bessere Schulen. Das bewegt die Menschen, da wollen sie Antworten der Politik haben. Den Alltag der Menschen zu verbessern, ist eine Herausforderung, aber genau darum geht es mir, jeden Tag daran zu arbeiten.
Glauben Sie nicht, angesichts dieses Riesenkatalogs halten die Wähler es für eine ziemlich unnötige Selbstbeschäftigung der SPD, dass Sie nun überraschend am 30. April SPD-Chef werden wollen und damit den Amtsinhaber verdrängen?
Ich glaube, die Wähler sind da entspannter als wir denken. Solche Personalfragen muss man entscheiden, und man kann auch erklären, warum.
Erklären Sie mal, warum?
Mein Ziel ist es, die Führungsverantwortung klar zusammenzuführen, das ist gut für uns als SPD in den nächsten Monaten und Jahren. In anderen Bundesländern ist es üblich, dass der Ministerpräsident Parteichef ist. Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, auch wenn wir gut miteinander umgegangen sind: die Dreierkombination aus Fraktions-, Partei- und Regierungschef führt zu Reibungsverlusten. Und gerade nach der Wahl kann es wichtig sein, schnell zu klaren Entscheidungen zu kommen um eine stabile Regierung zu bilden.
Das dynamische Wachstum der Stadt erfordert manchmal schnelle Entscheidungen, zu denen Politik strukturell nicht immer in der Lage ist. Gleichzeitig gewinnt Bürgerbeteiligung immer mehr an Bedeutung – ist das eine Chance oder ein Problem?
Es ist beides, und die Zukunft wird zeigen, ob es uns gemeinsam gelingt, die Chancen in den Vordergrund zu stellen. Für die Politik ist es eine Chance, dass wir sehr viele gut informierte, engagierte Bürger haben, die ihre Kompetenz und Erfahrung mit einbringen. Die Politik und die Verwaltung wissen nicht immer alles. Und wenn Menschen aus ihrem Wohnumfeld oder aus ihrem professionellen Wissen sagen, was man besser machen kann, dann können wir alle davon profitieren. Auf der anderen Seite wird es zum Problem, wenn manche diese Instrumente nutzen, nicht um sich einzubringen, sondern um Dinge im Grundsatz zu verhindern. Wir müssen die neuen basisdemokratischen Elemente erst einmalausprobieren und ausloten, wie ein gutes Kräfteverhältnis aussieht. Direkte Demokratie kann kein Ersatz sein, aber eine wichtige Ergänzung zur parlamentarischen Demokratie. Und wir Parlamentarier müssen uns dabei immer mehr auch der Aufgabe annehmen, die Stimme derer zu sein, die sich nicht einbringen können oder wollen. Mitten in dieser sensiblen Phase des Auslotens stecken wir.