Sabina Leonie vor ihrer Symboltafel und Mike Arnold beim Forum im Diakonie-Klinikum Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Krankenhäuser sind kaum in der Lage, behinderte Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse zu behandeln. Das hat Ängste, bisweilen sogar Qualen zur Folge. Das Diakonie-Klinikum beschäftigt deshalb künftig Behindertenbeauftragte und kooperiert eng mit dem Behindertenzentrum.

Stuttgart - Bernd Rühle, der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums Stuttgart, hat am Dienstag eine zündende Rede gehalten. Vor Mitarbeitern des Klinikums, des Behindertenzentrums, vor Betroffenen, Stadträten und der kompletten Führungsriege des Sozialreferats. Sie alle hatten sich zu einem gemeinsamen Forum von Behindertenzentrum (BHZ) und Diakonie-Klinikum getroffen mit dem Ziel, die Situation behinderter Patienten im Krankenhaus zu verbessern. Rühle gab bekannt: „Wir haben eine Stelle für zwei Mitarbeiter eingerichtet, die sich um die Belange behinderter Patienten kümmern.“ Das löste spontanen Beifall aus und ließ alle hoffen, dass sich nicht mehr wiederholt, was Sabina Leonie erleben musste.

Die 49-Jährige ist schwerst mehrfachbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen. Sie kann sich nur über eine Symboltafel verständlich machen, es sei denn, Mike Arnold, ihr Bezugsbetreuer aus dem Wohnheim in Birkach, übersetzt für sie. „Ich habe Angst vorm Krankenhaus, ich fühle mich hilflos und abhängig“, sagt sie (ausführliche Schilderung siehe nebenstehende Aufzeichnung).

Sabina Leonie ist kein Einzelfall. 46 Patienten sind vom BHZ und vom Diakonie-Klinikum während ihres Krankenhausaufenthalts befragt worden: Für 22 von ihnen waren die Wartezeiten problematisch, für Rollstuhlfahrer waren die Zimmer oder Bäder zu klein, und wer nicht oder kaum kommunizieren kann, wird weniger nach seinen Bedürfnissen gefragt.

Unsere Zeitung hatte bereits im Jahr 2012 auf das Problem hingewiesen, seitdem haben sich das Diakonie-Klinikum und das BHZ darangemacht, die Berichte behinderter Patienten festzuhalten, auszuwerten und Vorschläge zu machen, wie sich die Situation Behinderter in medizinischer Behandlung verbessern lässt. Die Universität Tübingen begleitete die Studie wissenschaftlich, die Lechler-Stiftung förderte sie finanziell.

Beim Forum haben die beiden Institutionen nun nicht nur die personellen Konsequenzen verkündet, sondern auch strukturelle Änderungen angeregt. So soll jedem Patienten ein Fallmanager auf der Station zugeteilt werden, Kontaktpersonen sollen unabhängig von der Kostenzusage der Kassen im Krankenhaus untergebracht werden, und Hilfsmittel sollen schon vor der Aufnahme des Patienten organisiert werden. Über eine Kooperationsvereinbarung ist von sofort an gesichert, dass Ärzte und Pflegende fort- und weitergebildet werden.

Die Kosten für den größeren Aufwand, fordern die Partner, müssen die Kassen und Sozialhilfeträger aufbringen. Bisher schien dies utopisch zu sein, doch seit Juli vergangenen Jahres liegt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vor unter anderem mit dem Ziel, die Versorgung behinderter Patienten zu verbessern. Darin heißt es: „Für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen können auf die Bedürfnisse der Betroffenen angepasste medizinische Behandlungszentren eingerichtet werden; es wird ein flankierender Leistungsanspruch geschaffen.“ Wenn das Gesetz in Kraft tritt, ist das Diakonie-Klinikum also gut gerüstet.

Erfahrungsbericht einer Betroffenen

Sabina Leonie ist 49 Jahre alt, wohnt und arbeitet beim Behindertenzentrum Stuttgart. Sie ist schwerst mehrfachbehindert und gehandicapt durch spastische Lähmungen. Mit Hilfe einer Symboltafel teilt sie sich mit, ihr derzeitiger Bezugsbetreuer Mike Arnold trägt vor, was Sabina Leonie sagen will:

„Viele Ärzte und Pflegende halten mich für geistig behindert. Oft wird über meinen Kopf hinweg geredet . . .“

„Weil ich im Krankenhaus so schlecht essen kann, habe ich immer Angst, dass ich eine Magensonde gelegt bekomme, durch die das Essen in mich hineinläuft. Ich will aber essen, das Schmecken der Nahrungsmittel ist mir wichtig . . .“

„Das Essen muss für mich zerkleinert und in meine Backentaschen gesteckt werden. Meist wird im Krankenhaus das Essen aber püriert. Brei klebt mir am Gaumen fest, und ich drohe zu ersticken . . .“

„Meine Symboltafel können die meisten Mitarbeiter nicht lesen, sie haben keine Zeit dafür . . .“

„Im Krankenhaus bin ich nicht mobil, weil ich meinen E-Rollstuhl dort nicht benutzen kann; die Zimmer und Bäder sind zu eng. Zuletzt haben meine Betreuer einen ambulanten Termin für mich vereinbart. Die Untersuchung hat sich verzögert. Weil ich meine Medikamente nicht nehmen durfte, sind meine Krämpfe immer schlimmer geworden. Nach sieben Stunden haben wir den Krankenhausaufenthalt abgebrochen, weil es mir immer schlechter ging . . .“

„Ich habe Angst vorm Krankenhaus, fühle mich hilflos und abhängig.“