Der Praktiker-Baumarkt in Gerlingen Foto: Peter Petsch

Die Baumarktkette Praktiker – vielen bekannt durch den Werbeslogan „20 Prozent auf alles, außer Tiernahrung“ – steht vor dem Aus. Rund 20.000 Mitarbeiter müssen nach dem Insolvenzantrag um ihre Jobs bangen. Ein Besuch in Gerlingen.

Gerlingen - Die Dispersionsfarbe ist ausverkauft. Ratlos stehen am Donnerstag zwei junge Männer vor gähnend leeren Regalreihen des Praktiker-Marktes in Gerlingen. „Das gibt’s doch nicht – wie leergefegt“, meint einer. Dass die Baumarktkette noch am selben Tag Insolvenz anmeldet, erfahren die beiden Ditzinger erst an der Theke. „Schade“, sagt einer, „ich wüsste auch gar nicht, wo es den nächsten Baumarkt gibt.“ Andere haben aktuellere Informationen: Zwei Gänge weiter schlendert ein etwa 60-Jähriger aus Weilimdorf zwischen ausgeräumten Regalen. Er hat die Nachricht von der Praktiker-Pleite im Internet gelesen: „Ich wollte eigentlich sehen, ob ich noch einen Rasenmäher abbekomme“, sagt er. „Aber die sind schon alle weg.“ Von oben ertönt eine gut gelaunte Stimme – sie kommt vom Band und preist drastisch reduzierte Schubkarren an.

Vielen Kunden fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Sie fragen das Personal und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft. Hinter den Theken trotzdem lange Gesichter in gelb-blauen Uniformen. „Begeistert sind wir von der Lage nicht“, meint eine Angestellte. Ansonsten zur Presse kein Kommentar, „das dürfen wir nicht“. Nur auf den großen Plakaten, die vor dem Markt hängen, versuchen zwei fröhliche Handwerker, Zuversicht zu verströmen. „Aus Praktiker wird Max Bahr“, ist zu lesen, „Neueröffnung am 10. Oktober“.

Max-Bahr-Märkte sind von der Insolvenz nicht betroffen

Ob es so weit kommt, wird sich zeigen. Das Sanierungskonzept, das die Umstellung vieler Praktiker-Filialen auf die ertragsstärkere und höher positionierte Schwestermarke Max Bahr vorsah, sollte die Wende bringen, ist aber gescheitert. Die Aktie stürzte zwischenzeitlich um rund 70 Prozent ab. Wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit haben operative Tochtergesellschaften beim Amtsgericht Hamburg Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Der Antrag für die Muttergesellschaft Praktiker AG soll spätestens an diesem Freitag folgen. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde der Heidelberger Rechtsanwalt Christopher Seagon bestellt. Der Verkauf in den Praktiker-Filialen geht weiter. Die ebenfalls zur Gruppe gehörenden Max-Bahr-Märkte sind von der Insolvenz nicht betroffen.

Das Unternehmen ist überschuldet, kann seine Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die Gewerkschaft Verdi spricht von „einer Tragödie für die Mitarbeiter“, die bereit waren, für drei Jahre auf jeweils rund fünf Prozent ihres Jahresgehaltes zu verzichten. „Umso bitterer ist es, dass nun in der Folge der Insolvenz viele der Menschen ihren Arbeitsplatz und damit ihre berufliche Existenz verlieren könnten.“

Praktiker ist hinter Obi und Bauhaus die Nummer drei in Deutschland

Praktiker, hinter Obi und Bauhaus die Nummer drei in Deutschland, schreibt seit Jahren rote Zahlen. Der Baumarkt-Konzern war durch eine fehlgeschlagene Rabattstrategie („20 Prozent auf alles“) in eine schwere Krise geraten. „In Deutschland gibt es zu viele Baumärkte. Bereits Anfang der 90er Jahre hatten wir doppelt so viel Quadratmeter Verkaufsfläche pro Einwohner wie in Großbritannien. Doch die Branche ist noch weiter expandiert – vor allem in Ostdeutschland. Es war eine Frage der Zeit, dass ein schwacher Teilnehmer ausscheidet“, sagt Thomas Harms, Handelsexperte beim Wirtschaftsprüfer Ernst & Young.

Weil der Kuchen nicht größer, sondern nur umverteilt wird, kämpfen alle Baumärkte mit rückläufigem Geschäft. Zudem lockte das schlechte Wetter im ersten Halbjahr Heimwerker und Gartenfreunde nicht in die Märkte. Vor allem bei Praktiker sorgte das für weitere Umsatzeinbrüche und noch höhere Verluste. Der Versuch, vermehrt mit Rabatten – teils mehr als 30 Prozent – dagegenzuhalten, schlug fehl: Die Margen sanken. Wer zu sehr auf die Schnäppchen-Strategie setzt, lockt zwar kurzfristig Kunden. Doch ist die Billig-Kampagne zu Ende, gehen diese wieder anderswo einkaufen Branchenkennern zufolge hatte Praktiker aber wohl gar keine andere Möglichkeit, um überhaupt an Liquidität zu kommen – Geld, das nötig war, um den Konzernumbau zu finanzieren und Lieferanten zu bezahlen. Offenbar sollen einige Lieferanten nur noch gegen Vorkasse geliefert haben, so dass bei einigen Praktiker-Märkten teils Regale leer blieben.