Akkus: Beim ZSW in Ulm steht eines der wichtigsten Forschungslabors für Batteriezellen weltweit Foto: ZSW

In Ulm arbeiten hundert Forscher am Autoantrieb der Zukunft. Ziel ist es, die zukunftsträchtige Batterieproduktion in Deutschland zu verankern und die Perspektiven der Automobilwirtschaft im Südwesten zu sichern. Eine Herkulesaufgabe.

In Ulm arbeiten hundert Forscher am Autoantrieb der Zukunft. Ziel ist es, die zukunftsträchtige Batterieproduktion in Deutschland zu verankern und die Perspektiven der Automobilwirtschaft im Südwesten zu sichern. Eine Herkulesaufgabe.

Ulm - Manchmal kommt Spitzenforschung ziemlich bodenständig daher. Ölverschmierte Arbeitstische, ein paar Schraubenzieher, daneben silberne Schraubenschlüssel. Und aus einem Stereorekorder scheppert Metall-Musik der australischen Rockband AC/DC. „Hells Bells“ heißt das Lied – Höllenglocken.

Der Titel passt ganz gut zu dem, was im Testlabor des Ulmer Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) so passiert. „Wir foltern hier Akkus“, sagt Werner Tillmetz und blickt durch eine zentimeterdicke Glasscheibe in einen der Testbunker genannten Hochsicherheitsräume. Hier werden jeden Monat Dutzende Batterien zersägt, gequetscht, zerrissen oder wird so viel Strom hineingepumpt, bis sie sich zu einem schmorenden Brei aus Kunststoff und Metall verwandeln. „Fast immer geht dabei irgendetwas in Flammen auf“, sagt der 58-jährige Chemiker.

Tillmetz ist Vorstand und Leiter des Geschäftsbereiches Elektrochemische Energietechnologien beim ZSW, einem Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg. Prägnanter könnte man ihn auch als Batterie-Papst bezeichnen. Unter seiner Leitung forschen in den Hügeln oberhalb Ulms etwa 100 Wissenschaftler an neuen Antriebsformen und deren Energiespendern – hauptsächlich an Batterien für Elektroautos und Brennstoffzellen. Beide Technologien gelten als Schlüsseltechnologien für die Mobilität der Zukunft. Besonders an Elektroautos kommt heute keiner mehr vorbei. Alle großen Autohersteller haben mittlerweile entsprechende Modelle im Programm.

Es gibt da aber ein Problem. Während die besten Verbrennungsmotoren und Karossen der Welt in Deutschland hergestellt werden, sieht es in Sachen Antriebssysteme der Zukunft mau aus. Hier dominieren ausländische Firmen den Markt nahezu unangefochten. Unter den fünf größten Elektroautobauern weltweit ist kein einziger deutscher Konzern vertreten. Stromgetriebene Smarts und VW-Ups tröpfeln bisher in homöopathischen Dosen in den Weltmarkt. Asiatische und US-Technologiekonzerne wie Nissan, General Motors , Toyota oder Tesla haben hier die Nase vorn. Wenn das Geschäft mit E-Mobilität anzieht, könnte es für deutsche Hersteller unangenehm werden.

Besonders bei den Batteriesystemen ist der Rückstand Deutschlands und Europas frappierend. Etwa 98 Prozent aller weltweit hergestellten Zellen kommen aus Asien. Weder im Laptop noch im Akkuschrauber, noch in E-Autos stecken – von wenigen Ausnahmen abgesehen – deutsche Energiespeicher. Der einzige hiesige Hersteller von Hochleistungszellen für Autos – Litec aus Kamenz – ist in schweren Turbulenzen. Nach dem Ausstieg der Essener Evonik Ende März hat Daimler die Technikschmiede übernommen, weniger aus Überzeugung als vielmehr, um einen Abfluss von Technologie zu verhindern, wie es hinter den Kulissen heißt.

Tillmetz, der früher bei Daimler an neuen Antrieben geforscht hat, wurmt das gewaltig. „Wir brauchen in Deutschland wieder eine starke Batterieproduktion“, sagt er. Das sei eine Frage der Zukunftsfähigkeit für den gesamten Standort. Ein Großteil der Wertschöpfung im anbrechenden Zeitalter der Elektromobilität entfalle eben nicht mehr auf mechanische Teile wie Kurbelwellen oder Zylinder, sondern auf chemische Speicher und deren elektrische Regelsysteme.

Dabei war Deutschland in Sachen Batterietechnik jahrzehntelang weltweit top. An Lithium-Ionen-Akkus, der Technologie, die alle modernen E-Autos und Konsumprodukte mit Energie versorgt, wurde hierzulande schon in den 1970er und 80er Jahren geforscht. Der Sprung, die Technologien anwendungsreif zu machen, fand aber in Asien statt. Neue tragbare Geräte wie Walk- und Discmans sowie Laptops wurden von Firmen wie Sony oder Panasonic auf den Markt gebracht. In deren Windschatten entwickelte sich die Akkuproduktion in Fernost. Rund 12 Milliarden Dollar (8,7 Milliarden Euro) schwer ist der Markt mittlerweile – und Tillmetz hätte gerne ein Stückchen davon ab.

Er steht im Eingangsbereich des neuen Elab, des 2011 eingeweihten Herzens der bundesdeutschen Batterieforschung, vielleicht sogar in Europa. Entlang einer 20 Meter langen Wand hat ein Künstler Bilder arrangiert. Jeder, der vorbeigeht, kann sie abhängen und an einer anderen Stelle wieder an die Wand heften. Tillmetz ist fasziniert von der Wand und ihren Bildern. Sie ist für ihn eine Art Metapher. „Jeden Tag sieht sie anders aus“, sagt er. „Genau das brauchen wir. Wir brauchen die permanente Veränderung, den Aufbruch.“

Vor einigen Jahren hat er ihn selbst eingeleitet. Als die Bundesregierung im Jahr 2009 im Rahmen zweier Konjunkturpakete 500 Millionen Euro für Elektromobilität lockermachte, sah er seine Chance gekommen. Als einer der Ersten hob er den Finger und präsentierte ehrgeizige Pläne zum Ausbau der bisher ein Mauerblümchendasein fristenden chemischen Forschung in Ulm. Die Politik biss an. Mehr als 50 Millionen Euro haben Bund, Land und EU mittlerweile in das neue Batterieforschungszentrum investiert. Wuchern konnte Tillmetz damals unter anderem mit dem Umstand, dass in Ulm einer der letzten Lehrstühle für Elektrochemie den Kahlschlag der vergangenen Jahrzehnte überlebt hatte. Die Grundlagen waren intakt. Seit damals ist die Veränderung spürbar. „Die Forschungsaktivitäten gehen hier durch die Decke“, sagt Tillmetz.

Das sieht man auch anderswo. Auf der Online-Stellenbörse des ZSW sind eigentlich permanent Jobs ausgeschrieben. Gerade sucht man einen Chemiker, am besten mit Doktortitel. Er soll das neue Prestigeprojekt des ZSW voranbringen: den Aufbau einer kompletten Forschungsproduktionslinie zum Bau von Lithium-Ionen-Batterien. Im Kleinen soll hier vorexerziert werden, was später von Automobilzulieferern oder den Autokonzernen selbst erledigt werden soll – der Bau von Hunderttausenden Akkus, von der Rohchemie bis zum Einbau in die E-Autos. In der Fertigung spezieller Autobatterien, die sich in wichtigen Punkten von Handy- oder Laptopbatterien unterscheiden, sieht Tillmetz die vielleicht letzte Möglichkeit, der Asien-Konkurrenz von Samsung, LG oder Sanjo Paroli zu bieten. Gelinge das nicht, werde ein immer größerer Teil der Wertschöpfung im Automobilbau ins Ausland abwandern. Ein Prozess, der Branchenriesen wie Daimler, BMW und Volkswagen zusammen mit den Zulieferkonzernen à la Bosch und Conti herb zusetzen könnte.

Wer mit Tillmetz durch den dreistöckigen Fabrikneubau geht, den beschleicht trotz allem das Gefühl, dass das Projekt scheitern könnte. Schon einmal – vor knapp einem Jahrzehnt – versuchte Deutschland die Fertigung eines Massenprodukts – damals waren es Solarzellen – hierzulande zu etablieren. Gefördert durch großzügige staatliche Hilfen wurden vor allem in Ostdeutschland, aber auch im Südwesten Zellfabriken hochgezogen. Mittlerweile sind fast alle Hersteller pleite oder aufgekauft. Mit den Kostenvorteilen der gigantischen Produktionsstätten in Asien konnte keiner mithalten.

Tillmetz und seine Vision einer deutschen Akkuproduktion im Industriemaßstab ficht das nicht an. Das Rennen um den besten Autoakku sei noch nicht verloren, sagt er. Allerdings brauche es Pioniergeist der Unternehmer und eine langfristig angelegte Industriepolitik. „Wir dürfen Asien nicht ziehen lassen“, sagt er. „Wir dürfen das Projekt nicht zerreden.“