In Weissach, wo etwa 5500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, bleibt der Abgasskandal um VW nicht folgenlos. Foto: dpa

Baugeld für Familien, Zuschüsse für Volkshochschulkurse und Musikunterricht: Nach dem Abgasskandal sind die goldenen Zeiten sprudelnder Gewerbesteuereinnahmen für die Porsche- und Audi-Standorte vorbei. Aber nicht alle trifft es gleich hart.

Stuttgart/Weissach - Der Sparkurs des Volkswagen-Konzerns trocknet die Gewerbesteuerströme im Land aus. Vor allem kleinere Gemeinden, die in der Vergangenheit stark von dem Geldsegen abhingen, sind betroffen, wie eine bundesweite Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Im Südwesten ist das am Porsche-Entwicklungsstandort Weissach der Fall. Zwar gibt es in diesem Jahr noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagte. Doch nach noch fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen.

Der Autokonzern hatte im vergangenen Jahr wegen des Abgasskandals Milliardenverluste eingefahren und einen harten Sparkurs angekündigt. Das trifft auch die baden-württembergischen Gemeinden, in denen der immer noch profitable Autobauer Porsche seinen Sitz hat. Denn die Gewerbesteuer wird im VW-Konzern anhand eines Schlüssels umgelegt, der auf der Mitarbeiterzahl basiert.

In Weissach, wo etwa 5500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, waren die Gewerbesteuereinnahmen schon im vergangenen Jahr eingebrochen. Statt 70 Millionen Euro nahm die Gemeinde nur 38,8 Millionen Euro ein. Die allgemeinen Rücklagen - ein komfortables Finanzpolster, in denen die Einnahmen vergangener Jahre geparkt waren - lagen Anfang des Jahres noch bei 90 Millionen Euro. Doch allein in diesem Jahr braucht die Gemeinde 12 Millionen Euro aus dem Sondertopf. 2017 schmilzt er noch einmal um 32 Millionen Euro ab.

In Weissach und Neckarsulm bleibt der Skandal nicht ohne Folgen

Das bleibt in Weissach nicht ohne Folgen. Großzügige Subventionen, die die Gemeinde ihren Bürgern früher gewähren konnte, gibt es nicht mehr. Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen. In früheren Jahren bekamen Familien, die Häuser bauten oder kauften, noch 5000 Euro je Kind. Auch die Zuschüsse für das „Mach-Mit-Programm“, in dessen Rahmen Volkshochschulkurse oder Musikunterricht mit immerhin 40 Euro im Monat pro Kind subventioniert wurden, wurde eingestellt. Erhöht wurden die Gebühren für die Nutzung der Strudelbachhalle und die Kosten für eine Bestattung. So kostet eine Urnenbestattung in der Erde statt bislang 145 Euro nun 420 Euro.

Ähnlich sieht es in Neckarsulm aus. Dort fiel der erwartete Rückgang im vergangenen Jahr zwar nicht so dramatisch aus wie befürchtet. Statt der erwarteten 52 Millionen Euro verbuchte Kämmerer Jürgen Kaufmann schließlich doch Einnahmen von 69 Millionen Euro. Neckarsulm ist dank anderer starker Steuerzahler wie der Schwarz-Gruppe, zu der Discounter Lidl und die Warenhauskette Kaufland gehören, weniger abhängig von dem Audi-Standort mit 160 000 Mitarbeitern als Weissach. Derzeit stammen etwa 25 Prozent der Einnahmen aus der Autobranche. Noch: Denn Lidl verlegt seine Deutschlandzentrale nach Bad Wimpfen.

Trotzdem wird auch in Neckarsulm gerechnet: Grundsteuern und Gewerbesteuern wurden bereits 2015 erhöht, Gebühren und freiwillige Leistungen überprüft. Allerdings bewegte sich die Stadt am Neckar dank der sprudelnden Einnahmen noch weit unter dem Landesdurchschnitt. Ein Beispiel: Der Kitabesuch für unter dreijährige Kinder kostet derzeit 99 Euro je Monat. Der Landesrichtsatz liege bei 241 Euro, so Kaufmann. Dem will sich Neckarsulm nun mit Steigerungen von jährlich 25 Prozent annähern.

Grund ist allerdings nicht nur der VW-Skandal, sondern auch zusätzliche Belastungen durch die gewachsene Zahl von Flüchtlingen und die laufende Haushaltskonsolidierung. Die Stadt will das strukturelle Defizit von acht Millionen Euro trotzdem 2017 schließen.

Stuttgart will die Mindereinnahmen durch Sparmaßnahmen ausgleichen

Ein weiteres Damoklesschwert sind mögliche Rückzahlungen von Gewerbesteuern. Im vergangenen Jahr hatte der Autokonzern Daimler von mehreren Kommunen Geld zurückfordert. Am härtesten traf es Daimlers größten Produktionsstandort Sindelfingen mit 62 Millionen Euro. Neckarsulms Kämmerer Kaufmann kritisiert die „Verschleppung von Finanzverfahren über Jahrzehnte“. Für Neckarsulm gehe es dabei um Summen in zweistelliger Millionen-Euro-Höhe, die mal negativ, aber auch positiv zu Buche schlagen könnten.

Stuttgart, wo an Porsches Stammsitz etwa 8700 Mitarbeiter arbeiten, profitierte im vergangenen Jahr von einer Steuernachzahlung von rund 100 Millionen Euro, so dass der Gewerbesteuerertrag mit 665 Millionen Euro sogar etwas über dem langjährigen Mittel lag. In diesem Jahr plant die Stadt wieder mit 560 Millionen Euro. Das Gewerbesteueraufkommen habe schon seit 2011 etwa 50 Millionen Euro unter dem Aufkommen der Vorjahre gelegen. Sowohl die Übernahme von Porsche durch VW, als auch ein Gewinnabführungsvertrag der Allianz Lebensversicherung mit dem Mutterkonzern schlugen zu Buche. Die „globalen Mindereinnahmen“ von 29 Millionen Euro will die Stadt durch Sparmaßnahmen ausgleichen.